Die AIDAnova ist ein Riesenschiff. Wir gingen für eine Norwegen-Kreuzfahrt an Bord. Dabei hielten wir auf Deck 17 die Nase schön in den Wind, genossen Landgänge auf eigene Faust und blickten etwas hinter die Kulissen. Der „Test“-Bericht
Genau 337 Meter Länge, 84.000 PS Maschinen- und 50.306 PS Antriebsleistung, 20 Decks (wobei Deck 13 nicht existiert, hartnäckiger Seemanns-Aberglaube), Baukosten von fast einer Milliarde Euro, über 2.600 Kabinen, die in den Schulferien bei Vollstbelegung mit Kindern fast 7.000 Passagiere „wegstecken“.
Um deren Unterhaltung, um die Sauberkeit an Bord (weshalb stellen so viele Menschen ihre leeren Cocktailgläser vor Aufzügen, auf Treppen und in den Gängen ab?) sowie um Technik, Sicherheit und Vorankommen kümmert sich eine 1.500 Köpfe zählende Mannschaft aus über 50 Nationen, darunter unser wunderbarer Cabin Steward Jerry.
17 Restaurants, 20 Decks, 2.626 Kabinen
Die Versorgung mit Steaks, Sushi, Pasta, Pizza, Fisch, veganen Gerichten, Gemüse, Streetfood-Snacks, Dim-Sum, Braten, Salaten sowie Bier, Wein, Mocktails und Cocktails ist durch sage und schreibe 17 Restaurants sowie 17 Bars und Clubs an Bord der AIDAnova gesichert.
Luxuskreuzfahrer – die auch für ein Mehrfaches des Tagespreises reisen, der für die AIDAnova fällig ist – werden angesichts einer Passenger-Space-Ratio von 28 den Kopf schütteln. Platz ist in der Kreuzfahrt der wahre Luxus. 5-Sterne-Cruiser wie die „Europa 2“ oder „Silver Whisper“ kommen fast auf das Dreifache.
In den Preiskategorien darunter kommt die „Queen Mary 2“ auf das Doppelte an Raum. Selbst die riesige „Oasis of the Seas“ und das neueste Schiff der AIDA-Flotte, die AIDAcosma, bieten ein sattes Drittel mehr Platz.
Auf der anderen Hand sind Kreuzfahrtschiffe mit so effektiver, verdichteter Humanbestückung wie die AIDAnova umweltfreundlicher. Der Pro-Kopf-Verbrauch an Energie fällt geringer aus.
Für die Reise mit der AIDAnova über die norwegischen Häfen Haugesund (mit der wunderbaren Insel Karmøy), Nordfjordeid, Ålesund, Stavanger, Oslo und Kristiansand haben wir eine Verandakabine ganz vorn und ganz oben auf Deck 17 gebucht.
Unsere „Verandakabine Komfort in besonderer Lage“ bietet genügend Platz im Freien, einen großen begehbaren Kleiderschrank sowie einen freien 180-Grad-Blick über die Bugspitze hinweg übers Meer. Aus Sicherheitsgründen gibt es nur zwei Deckchairs, für den Dritten bleibt die Hängematte.
Retreat über dem Bug der AIDAnova
Wir haben Captain’s Point of View: Direkt unter uns ist die Brücke. Dort wird das 183.000 Tonnen schwere Kraftpaket mithilfe eines fast lächerlich dünnen, kurzen Joysticks manövriert.
Der Mehrpreis für die „bevorzugte Lage“ ist gut investiert. Wird es auf dem Schiff, auf dem an Seetagen dreimal so viele Menschen an Bord unterwegs sind wie Amrum Einwohner hat, zu eng, treten wir den geordneten Rückzug aus den Restaurantdecks an.
Wer mehrmals täglich von Deck 6 oder 7 hoch zu Deck 17 und wieder runter die Treppen nimmt, kann sich die Steptrainer oder Laufbänder im Gym sparen. Da kommt einiges an Training zusammen.
Die zweitbeste Entscheidung? Auf das Getränkepaket (ab 24,90 pro Tag und Person in der Kabine) zu verzichten und stattdessen eine Espressomaschine nebst XXL-Vorrat an Kapseln zu bestellen.
Eine Tasse starken Espresso direkt nach dem Aufstehen auf dem großen „Balkon“, das hat einfach was. Die zweite und dritte Tasse sind nach der ausgiebigen Platzsuche und Menschen-Melange am Mittagsbüffet zusammen mit einem guten Buch im Deckchair fällig. Die vierte nach dem Nordsommersonnenbad in der eigenen Hängematte oder zur abendlichen Fahrt durch den Fjord.
Das Ablegen in Oslo ist eine maritime Show, die wir in der ersten Reihe genießen. Eng geht es zu, mit der Nase fast auf den Penthouse-Terrassen des schicken Viertels Tjuvholmen setzt die AIDAnova vorsichtig zurück und dreht über Steuerbord.
Dank der zwei ABB-Azipods und der vier Bugstrahlruder ist der Koloss überraschend agil und behände. Die AIDAnova dreht sich fast auf der Stelle um 180 Grad…
Bei der engen Ausfahrt aus Stavanger hingegen, das uns mit Anti-Cruise-Protesten empfangen hatte, ist vor allem Augenmaß angesagt. Nur jeweils sechs Meter Wasser trennen uns steuerbords von den Felsen der Mini-Insel Tjuholmen und backbords vom felsigen Festland. Und das bei einem Stopweg von über 1.000 Meter. Chapeau, Kapitän Boris Becker!
Slow Steaming: AIDAnova entschleunigt
Ruhe, Platz, Freiraum und im Gesicht immer etwas Fahrtwind! Wobei der am Seetag zwischen Kopenhagen und Kiel eher ein homöopathisches Windchen ist. Slow Steaming ist angesagt, was wie kontrolliertes Treibenlassen wirkt.
Wir sind mit drei bis fünf Knoten unterwegs, also deutlich unter den möglichen 17 Knoten Spitzengeschwindigkeit, die die AIDAnova im Fall des Falles schafft. Das verbrennt weniger Treibstoff und ist besser für die Umwelt als Seemeilen-Kloppen: Der Energiebedarf von Schiffen steigt mit zunehmender Geschwindigkeit exponentiell an.
Vor 23 Jahren pflügte ich auf der bei Blohm + Voss gebauten „Olympic Voyager“, dem damals schnellsten Kreuzfahrtschiff der Welt, durch die Ägäis. Oft mit 28 Knoten Höchstgeschwindigkeit. Tempora mutantur, nos et mutamur in illis …
Smoke On The Water? Nö!
Was wurde und wird nicht über die Kreuzfahrt geschimpft. Wobei gern ignoriert wird, dass die weltweit 350 Kreuzfahrtschiffe weniger als 0,1 Prozent des globalen Schiffsverkehrs ausmachen. Die ganze Schifffahrt wiederum verursacht gut drei Prozent des weltweiten Ausstoßes an Kohlendioxid.
Die gut 60.000 Fracht- und Containerschiffe, die unsere iPhones, Flatscreen-HD-TVs, Autos, Turnschuhe, Bio-Palmöl, Fast Fashion und mehr um den Globus schippern, verbrennen in der Regel Schweröl. Die 350 Millionen Tonnen Kohlendioxid, die allein die sechs größten Internetkonzerne pro Jahr verursachen, sind noch viel seltener Thema kritischer Betrachtungen, von den Energiefressern KI und Kryptowährung ganz zu schweigen.
Schön flüssig bleiben
Die „Aida Nova“ ist Pionierin und fährt mit LNG. Das Flüssigerdgas lagert in drei enormen Tanks, „um die herum das ganze Schiff gebaut wurde“, so der Käpt’n bei der nautischen Fragestunde. Flüssiggas ist der zur Zeit umweltfreundlichste Treibstoff.
Der LNG-Betrieb der AIDAnova reduziert gegenüber Schiffsdieseln den Ausstoß von Feinstaub und Schwefeloxiden auf fast null. Die Verbrennung von LNG setzt zudem bis zu 80 Prozent weniger Stickoxide und gut ein Drittel weniger Kohlendioxid frei sowie keinen Ruß. Der Fußabdruck von Förderung, Transport und Verflüssigung aber steht auf einem ganz anderen Blatt
3.500 Kubikmeter auf minus 162 Grad gekühltes LNG kann die AIDAnova bunkern, das reicht für grob 14 Tage Betrieb. Steht kein LNG zur Verfügung, können die Dual-Fuel-Maschinen mit schadstoffarmen Marine Gas Oil betrieben werden. Wir waren übrigens die ganze 14 tägige Reise zu 100 Prozent mit Gas unterwegs.
Klassenprimus auch dank Bubbles
Die AIDAnova war als weltweit erstes Kreuzfahrtschiff vollständig mit Flüssigerdgas unterwegs. Die Bilanz der Reederei: „Die Emissionen pro Person an Bord konnten durch die Nutzung von LNG und weitere Maßnahmen zur Senkung des Energieverbrauches um 55 Prozent im Vergleich zum Flottendurchschnitt gesenkt werden“.
Der Nachhaltigkeitsbericht schränkt ehrlicherweise ein: „Die Nutzung von LNG ist für AIDA nur ein Zwischenschritt, denn der Beitrag von fossilem LNG zur Reduzierung von Treibhausgasemissionen ist begrenzt“.
Fünf bis zehn Prozent Treibstoff spart das Mitsubishi Air Lubrication System. Bei dieser Technologie gleitet das Schiff auf einem dichten Teppich aus Luftblasen. Diese Luftschmierung reduziert den Reibungswiderstand des Wassers deutlich.
Rauchzeichen der anderen Art
Kommt das Schiff zum Glück ohne Rauchfahne aus, gilt das nicht für einen Teil der Passagiere. Geraucht wird eifrig, auch auf den Veranden der Kabinen und Suiten. Der Qualm zieht das Schiff entlang und über ein halbes Dutzend Decks nach oben, was den Genuss der Meerluft gründlich einschränkt.
Das ist nicht die Regel. Aus Sicherheitsgründen gilt etwa auf den Veranden von Celebrity, Carnival, Azmara, Ponant, MSC, Hurtigruten und vielen anderen ein Rauchverbot. TUI Cruises, Hapag Lloyd und Costa tolerieren das Balkon-Quarzen auch (noch).
Einfach einstöpseln? Schön wär’s
Während in Kiel Tausende von und an Bord gehen, schweißen Techniker ein großes Loch in den Rumpf der AIDAnova. Sie erhält auch backbords einen Anschluss für Landstrom. Schalten Schiffe während der immer länger werdenden Liegezeiten in den Häfen ihre Maschinen ab und holen sie sich den nötigen Strom von Land, spricht man von Cold Ironing.
Da sind schnell 10 bis 20 Megawatt Leistung gefragt. Das ist mehr als eine Kleinstadt benötigt. Dafür müssen Infrastuktur und Netze angepasst bzw. wie in Hamburg der Strom mit LNG-betriebenen Generatoren produziert werden, damit nicht in der ganzen Hafenstadt die Lichter ausgehen, wenn Schiffe die Schalter umlegen und sich einstöpseln.
So bieten erst wenige Häfen in Zusammenarbeit mit den Reedereien Landstrom an, unter anderem Rostock-Warnemünde, Oslo, Göteborg, Hamburg, Kiel, Lübeck, Antwerpen, Kristiansand, Bergen und Southhampton. Insgesamt vier Schiffe der Aida-Flotte sind landstromtauglich.
Die AIDAprima bekam letzten Sommer das bisher größte Batteriespeichersystem der Passagierschifffahrt verpasst. Es hat eine Kapazität von 10 Megawattstunden: Damit könnte man mit dem elektrischen BMW iX1 gut 60.000 Kilometer weit fahren. Und an Bord der AIDAnova wurde im Rahmen des Projektes Pa-X-ell2 die erste Brennstoffzelle auf einem großen Passagierschiff installiert.
Kleine Portionen, sauberes Abwasser
So schwierig es zwischen 18 und 20 Uhr in „East“, „Yacht Club“, „Bella Donna“ oder „Fuego“ sein kann, einen freien Tisch zu finden und so eng es mitunter an den Büffets zuging, so frisch war das Essen. Convenience-Produkte sind zu teuer, deshalb werden Salate, Gemüse frisch und just in time zubereitet sowie Brot und Brötchen aus frischem Teig gebacken.
Joghurt, Desserts, Fruchtsalate und mehr kommen in kleinen Weck-Gläsern aufs Büffet. Die Auslagen sind kleiner als früher und werden häufiger frisch nach Bedarf nachbefüllt. So gelang es, die Nahrungsmittelabfälle gegenüber 2019 um mehr als ein Drittel zu reduzieren. AIDA Cruises hat sich bis 2030 eine Halbierung zum Ziel gesetzt.
Trinkwasser wird an Bord durch Umkehr-Osmose aus Meerwasser gewonnen. Nur nicht dort, wo die offene Ostsee teilweise nur 20 Meter tief ist. Da würde das System zu viele Schlammpartikel und Schwebstoffe schlucken, immerhin hat die AIDAnova fast neun Meter Tiefgang. Was durch Duschen und Toiletten rauscht, landet in der bordeigenen Kläranlage, die so gut arbeitet, dass man das „Abwasser“ trinken könne, wie bei der Fragestunde konstatiert wurde.
Das Advanced Waste Water Purification System arbeitet gründlicher als manche Kläranlage an Land. Als Zyniker würde man feststellen, dass das aufbereitete, durch menschliche Körper, Bordkanalisation und die Membranen der Kläranlage gelaufene Ostseewasser nachher sauberer ist als vorher.
Slots für Aufguss und Schwitzen
Wer rechtzeitig gegen zehn Euro einen Zweistunden-Slot für das „Body & Soul Organic Spa“ bucht, kommt in den Genuss der beiden finnischen Saunen, des Dampfbads und von Bio- bzw. Aromasauna. Es ist schön, mit (leicht verbautem) Meerblick kontemplativ vor sich hin zu schwitzen.
Kalte Duschen, Wasserfallduschen und Platz zum Abkühlen auf dem Sonnendeck mit drei Whirlpools gibt es genug. Die Dimensionen des Ruhebereichs in Gestalt des sehr stylischen „Kaminzimmers“ sind eher ein Witz: sechzehn – natürlich durchgehend besetzte – Liegen für ruhebedürftige Saunierer. Da war das immerhin auch 1.100 Quadratmeter große SPA der nach 25 Jahren ausgemusterten AIDAcara mit ihren 590 Kabinen wesentlich großzügiger. Aber mit Ruheliegen verdient man kein Geld…
Unsere An- und Rückreise erfolgte – klimafreundlich – mit der Bahn. Darüber, wie nervenunfreundlich diese verlief, hüllen wir besser den Mantel des Schweigens. Nur so viel: Zum Glück haben wir einen Tag Puffer eingebaut…
Tipps für individuelle Landgänge
👉 Haugesund und die Badestrände der Insel Karmøy mit dem Auto
👉 Tipps für eine Street Art Tour durch Stavanger
👉 Mehr zur AIDAnova und interaktive 360-Grad-Panoramen von Kabinen, Restaurants, SPA und Gym findet ihr unter diesem Link
Interesse an weiteren Kreuzfahrtthemen? Wie wäre es mit einer Vorstellung der Celebrity Apex? Oder magst du lieber kleine Schiffe, dann könnte der Dreimaster “MS Galileo” etwas für dich sein