Norwegens Erdöl-Kapitale lockt mit Street Art vom winzigen Stencil bis zum fassadenhohen Mural. Wir stellen die spannendsten Werke vor. Zum Abschluss schneeweiße Altstadtfassaden in Reih und Glied und etwas Brutalismus
Schon wenige Schritte vom Schiff, das mitten in der Stadt festmacht, zieren erste Graffiti die Fassaden des Strandkeien. Als erstes empfängt uns „Selfie Surveillance“, eine ironische Reflexion über Selfie-Zwang und Videoüberwachung von Vlek aka Arne Tellefsen. Und ja: CCTV ist in dieser Stadt in der Tat sehr präsent.
Stavanger Street Art: Bakkegata & Øvre Holmegate
Vleks Leichenzug „Future Ceremony“, ein Abgesang auf fossile Brennstoffe, setzt an der Fassade des Clubs „Cementen“ ein unübersehbares Zeichen. Justament in jener Stadt, die durch Erdöl- und Erdgasförderung dem Land Milliardeneinnahmen beschert.
Auf der anderen Seite des Hafenbeckens Vågen warten einige der aus unserer Sicht spannendsten Beispiele für Stavanger Street Art. Beiderseits der Breigata, in der Bakkegata, der Salvågergata, der Netlandsmauet und in der für ihre knallbunten Häuser bekannten und etwas überlaufenen Øvre Holmegate.
Die Fassade der dortigen Hausnummer 24 B, Sitz von „Bob Stylister“, versammelt gleich mehrere Werke des Norwegers Dolk Lundgren aka Andreas Hamran Færø.Das bekannteste Werk des berühmtesten Stencil Artist des Landes ist „Grenade Lovers“, außerdem zu sehen: „Girl with Teddy“ und „Heart Phone“.
Fast zum Inventar gehört das 2009 auf den Sockel der Hausnummer 32 gesprayte „Untitled“ des Kaliforniers David Choe und der New Yorkerin Swoon mit ihrem charakteristischen Linolschnitt-Style.
Stavanger Street Art Credo: Augen auf, Blick nach unten!
Oft sind Detektivsinn, Ausdauer und genaues Hinsehen gefragt. Andernfalls übersieht man die Miniatur-Stencils von Jauna, die mit Lüftungsschächten, Verteilerkästen und Fassadenkanten spielen, schnell. Das gilt nicht für das haushohe „Dünkelziffer“ von Dot Dot Dot über dem kleinen Parkplatz in der Bakkegata, Ecke Salvågergata. Ums Eck vom Thaimassage-Salon …
Auch am Meer warten spannende Werke wie das Mural „The Last Traveller“ am Parkhaus Jorenholmen und im Dunstkreis des Norwegian Petroleum Museum. Das ist nicht nur thematisch weltweit einmalig. Mit seinen Anspielungen auf Bohrplattformen und seiner Fassade aus Gneis ist es auch ein architektonischer Hingucker.
Graffiti sind auch im Geoparken vor dem Museum zu sehen, einem Spielplatz aus Relikten der Erdölindustrie wie Riesenbojen, Pipelines. Dem Schwarzen Gold verdankt das Land so ziemlich alles. Noch vor 50, 60 Jahren war Norwegen eines der ärmsten Länder Europas. Exporteinnahmen – wenn auch ständig schwindend – lieferte nur die Fischerei. Die Wende kam mit der Entdeckung der Nordsee-Ölvorkommen 1969 und einer schlauen Vergabe von Bohr- und Förderrechten.
Längst ist Norwegen, das ironischerweise 100 Prozent seines Stroms aus Wasserkraft bezieht, dank immenser Öl- und Gasexporte mit einem BIP pro Kopf von 106.000 Dollar (Deutschland: ca. 50.000) nicht nur das „reichste Land der Welt“, sondern auch das mit dem weltweit höchsten Lebensstandard für alle. Der norwegische Staat verteilt den nationalen Reichtum intelligent und gerecht unter den etwas mehr als fünf Millionen Norwegern.
Street Art auf Dackelschnauzenhöhe
Etwas schwer zu finden, aber umso lohnender, sind die geistreichen Miniaturen des belgischen Stencil-Graffiti-Künstlers Jaune. Er hat sich im Rahmen der Nuart Festivals immer wieder mit handgroßen Motiven von Straßenarbeitern in Warnweste verewigt, für ihn die „Helden des Alltags“, die unsere Städte in Bewegung halten.
Nicht zu übersehen dagegen ist der „David“ des Norwegers Martin Whatson von 2013 neben dem Café „Sirkus Renaa“ im Østervag.
Die Øvre Holmegate, auch als Fargegaten bekannt, ist eine Straße im Zentrum von Stavanger mit knallbunten Fassaden. Die Popularität des einstigen Scherbenviertels wuchs enorm, nachdem lokale Bewohner die Idee hatten, der heruntergekommenen Straße mit leuchtenden Farben eine Frischzellenkur zu verpassen.
Gamle Stavanger: Reinweiß in Reihe
Alt Stavanger auf der Westseite des Hafens kommt ohne raffinierten Farbplan aus. Die über 170 zwischen 200 und 300 Jahre alten Holzhäuser tragen allesamt Blütenweiß. Bunte Akzente setzen nur prächtige Blühpflanzen in den Vorgärten.
Die Bewohner haben grüne Daumen – und ein massives Problem mit den Kreuzfahrtschiffen, die buchstäblich direkt vor ihrer Nase festmachen: Kein Garten ohne „Cruiseships go home!“-Plakat hinter der Scheibe.
Geht man ein Stück südwärts, erreicht man ein Prachtstück brutalistischer Architektur, die Stavanger Svømmehall. Das öffentliche Hallenbad wurde 1971 nach Entwürfen der Architekten Gert Walter Thuesen und Jacob Grytten fertiggestellt. Sichtbar inspiriert von Le Corbusiers Kloster La Tourette, feinster Brutalismus mit viel Rohbeton.
IDDIS: Ölsardinen und Serifen in toller Kombo
Freunde von Ölsardinen und Grafik sollten dem im Herzen von Gamle Stavanger gelegenen IDDIS Konserven- und Grafikmuseum einen Besuch abstatten. So verrückt die Themenkombi klingt, so schlüssig ist sie mit Blick auf die Wirtschaftsgeschichte.
Die explodierende Nachfrage an attraktiven Etiketten und Verpackungen für die boomende Konservenindustrie befeuerte die Druck-, Lithografie und Grafikbranche der Stadt. Außerdem hat man nur über Museum Zugang zum Altstadthaus mit der Hausnummer 90 aus dem Jahr 1836. Jener Zeit, in der Wohlstand in Stavanger mit Ö wie Ölsardinen buchstabiert wurde und bildende Kunst vor allem in Form von Öl auf Leinwand geschätzt wurde.
👉 Mehr über Stavanger findest du bei fjordnorway.com
👉 Mehr über Street Art in Stavanger auf der Website nuart.com
👉 Mehr über die AIDAnova, die mit LNG vor Norwegens Küste kreuzt, lest ihr hier
Interesse an weiteren Norwegen-Storys? Wie wäre es mit einer Cabriotour hoch im Norden? Oder den schönen Stränden der Insel Karmøy? Lieber nach Schweden, dann lies‘ unsere Story über den Süden. Und hier geht es zum Testbericht der AIDAnova