Der Dreimast-Motorsegler „MS Galileo” kreuzt zwischen Mitte April und Ende Oktober durch die Kykladen. Mit nur 2,80 Meter Tiefgang ankert er in Badebuchten und macht direkt an den Promenaden kleiner Häfen wie Poros, Syros, Folegandros oder Delos fest. So kommt man dem Meer und den Kykladen richtig nah
Die „MS Galileo“ lief 1992 als Zweimaster vom Stapel. 2016 spendierte ihr Lakis Venetopoulos, der Chef von Variety Cruises, eine Schönheitskur sowie einen weiteren Mast. Wozu der dritte Mast, fragt man sich allerdings nach sieben Tagen an Bord der „MS Galileo“. Trotz guten Winds an fast allen Tagen werden nur ein einziges Mal die Segel gesetzt, für eine Stunde und stark gerefft.
Der Traum, man liege auf dem Sonnendeck des knapp 50 Meter langen Schiffs, und über einem plustern sich die weißen Hochsegel an Fock, Großmast und Besanmast, bleibt ein Traum.
Die 45 Passagiere kommen mehrheitlich aus Australien, Kanada und den USA, was für ein internationales Ambiente an Bord sorgt. 18 Frau und Mann zählt die Crew der „MS Galileo“. Sie stammt aus Mauritius (wie Hotelmanager Vick), aus Ägypten (Koch, Bootsmänner und Maschinisten), Indonesien (Housekeeping und Restaurant) sowie der Ukraine (Bar).
16 Kabinen liegen im „Bauch“ des Schiffs auf dem Lower Deck, neun befinden sich zwei Decks höher auf dem Upper Deck der „MS Galileo“. Sie wurden unlängst komplett erneuert. Den Kabinen im Lower Deck sieht man ein wenig an, wie der Zahn der Zeit an ihnen nagt …
Am Ruder der „MS Galileo“:
Captain Vasilis, der Tänzer
Der Käpt‘n der „MS Galileo“ ist einer wie aus dem Bilderbuch: Heißt Vasilis, ist waschechter Grieche, taucht während der Badepausen gern nach Tintenfisch und trägt das Wohlstandsbäuchlein mit Würde.
Eines kann der stoische Vasilis mindestens so gut wie unseren Dreimaster sicher durch die Untiefen vor Delos zu manövrieren: Tanzen.
Vasilis legt am vorletzten Abend zu Rembetiko-Klängen einen Zeibekiko auf den weißblauen Teppichboden. Freestyle. Der Zeibekiko wirkt wie eine Mischung aus orientalischer Dabke und Breakdance mit Schuhplattler-Elementen.
Dieser Tanz kennt keine Regeln, nur eine: Wenn ein Mann den Zeibekiko tanzt, bleiben alle anderen sitzen. Mitzutanzen wäre Ehrabschneiderei und hätte einem in den 1920ern in Piräus‘ Hafenbeizen noch einen Messerstich beschert.
Vasilis stampft mit dem Absatz zum Takt, macht kleine Sprünge, dreht sich um sich selbst, beide Arme ausgebreitet. Mal trippelt er dahin, mal springt er in einen Kniefall. Akrobatischer Ausdruckstanz zum treibenden 9/8-Takt. Wo hat man das schon, dass der Ruderhaus-Chef abends zum Entertainer wird?
Nostalgisches Seefahrt-Gefühl kommt auf der „MS Galileo“ auch auf, obwohl sich das mit dem Segeln als Luftnummer erwies. Zum einen ist man nur wenige Meter über dem Meer unterwegs. Zum anderen prägt noch viel Holz statt laminiertem Kunststoff und Aluminium die Haptik des Schiffs.
Besonders Spaß macht der Blick aus dem Bullauge meiner Kabine bei Wind und voller Fahrt: Das vom Seegang aufgewühlte Meer gurgelt und schäumt wie in der Waschmaschine vor dem massiven Messing-Rund, wenn der Diesel die fast 500 Tonnen lautstark hämmernd durch die kykladischen Gewässer prügelt. Und der Captain‘s Table heißt auf der Galileo Captain‘s Table, weil an diesem Tisch ausschließlich Vasilis und seine Crew essen.
Der Fahrplan der „MS Galileo“ verspricht Insel-Geheimtipps ebenso wie die touristischen Großkaliber Santorin und Mykonos. Über Poros und Poliegos geht es nach Folegandros, Santorin, Antiparos und Paros, Delos, Mykonos, Syros und – sturmbedingt statt Kythnos und Cap Sounion – zur Saronischen Insel Aegina.
Zweiter Stopp der „MS Galileo“:
Kykladen-Tipp Folegandros
Nach einem ausgiebigen Bade- und Schnorchelstopp vor einer Bucht der Insel Poliegos geht es nach Folegandros. Dessen sehenswerte Chora klebt, ein wenig wie Oia auf dem 40 Kilometer entfernten Santorin, direkt an einer 200 Meter hohen Klippe.
Die Insel Folegandros zählte erst 1975 die ersten Touristen. Bis dahin diente das Eiland der brutalen Militär-Junta in Athen als Verbannungsort für politische Gefangene. Kurz davor erst hatte die Insel Strom bekommen.
Die „MS Galileo“ macht im kleinen Hafen von Karavostasis fest. Der Bus bringt uns zur Chora, vorbei an der spektakulären Panagia-Kirche in Paliokastro mit ihrer weißen Zickzack-Treppe. Enge Gassen und hübsche kleine Plätze prägen das Bild. Das Restaurant „Belégra“ begeistert uns mit erstklassiger Küche jenseits des andernorts so gern servierten öltriefenden Musakabiftekikalamari-Einerlei.
Das Wunder von Santorin:
So schön leer hier (ohne Scheiß!)
Am kommenden Morgen trauen wir unseren Augen nicht. Die „MS Galileo“ liegt in der bis zu 600 Meter tiefen und damit jede Ankerkette überfordernden Caldera von Santorin. Um uns herum, soweit das Auge reicht, kein Schiff.
Cruise Coordinator Vicky und unser Guide geraten in ungläubige Ekstase: Das habe es seit Monaten nicht gegeben. Üblicherweise liegen in der Caldera drei, vier Kreuzfahrtschiffe, aus denen sich bis zu 15.000 Passagiere erst über die kleine Seilbahn und dann über die Orte Thira und Oia mit ihren ikonischen weißen Häuserkaskaden ergießen.
An solch normalen Tagen schieben sich die Massen im Trippelschritt durch die Gassen und die Wartezeit vor der Seilbahn, die die Landgänger wieder runter zum Alten Hafen und den dort ablegenden Tenderbooten bringt, betrage bis zu zwei Stunden, erzählt Jannis.
Wir haben unfassbares Glück. Das erste Schiff, das an diesem 22. Oktober noch in der Caldera aufkreuzt, ist die knapp 1.500 Passagiere fassende „Celestyal Olympia“, die für den späten Nachmittag erwartet wird.
So genießen wir ohne Hektik und in Ruhe, wie in Thira das sonntägliche Glockenspiel statt brüllender Guides den Ton angibt und in Oia der Liturgiegesang aus der Kirche Panagia Akathistos, eine von 289 Kirchen auf Santorin, für eine geradezu besinnliche Stimmung sorgt.
Nur zehn Minuten sind es bis zum 800 Meter entfernten Sunset View Point auf dem alten Kastro. Für diese Strecke benötigt man beim ansonsten üblichen Geschiebe gern 45 Minuten. So dürfte es am Folgetag ab 8 Uhr morgens zugegangen sein, als „Norwegian Jade“, „MSC Musica“, „Carnival Pride“ und „Resilient Lady“ mit insgesamt 35.000 Passagieren an Bord eingelaufen sind…
Entsprechend wunderschön „leer“ geht es auf der sehenswerten Ausgrabungsstätte von Akrotiri zu. Was dort an bis zu 4.000 Jahren alten Resten der Minoischen Kultur zu sehen ist, erschließt sich uns in voller Breite dank der kundigen Ausführungen von Guide Jannis, der studierter Archäologe ist.
Zu sehen sind die Reste von drei- bis vierstöckigen Gebäuden mit wassergespülten Toiletten auf allen Etagen, Stücke von Alfresco-Wänden mit Blumen und Schwalben. Hier wurde auch das berühmte Blue Monkey Alfresco mit Lapislazuli aus dem späten Bronzezeitalter gefunden, welches von Reisen bis Ägypten erzählt. Die ebenfalls in Akrotiri freigelegte, gut 3.750 Jahre alte Abbildung zweier Boxer mit Boxhandschuhen und Gürteln dürfte, so Experte Jannis, eines der ersten Menschenabbilder sein.
Die Häuser hatten raffinierte Kühlungssysteme mit Schächten. Fundamente und Stützmauern waren recht erdbebensicher, weil stoßdämpfende Balken in die Mauern integriert worden waren. Das Kälken der Wände, Gassen und Böden sorgte dafür, dass sich Krankheitserreger nicht so leicht ausbreiten konnten.
Ob wohl die autochthone Rebsorte Assyrtico den Menschen auf Santorin schon vor über 2.000 Jahren den Sonnenuntergang verschönte wie den Gästen des netten „Aion“ im Old Port von Thira? Darüber grüble ich bei einem Glas „Mythos“, bevor wir wieder zurück zur „MS Galileo“ getendert werden.
Ach ja, wer selbst segelt oder generell flexibel in der Routenplanung ist: Hier sieht man Monate im voraus, wann welche Riesenkreuzfahrtschiffe in der Caldera einlaufen.
Kykladen-Tipp Paros:
Jetset und Weihrauch
Da ist es auf Paros, wo die „MS Galileo“ nach einem ausgiebigen Badestopp in der Bucht von Krios festmacht, leichter mit dem Landgang. Da die „MS Galileo“ so klein ist und keine drei Meter Tiefgang hat, macht sie einfach in der ersten Reihe fest. Nach einem Lunch am Hafen Parikia besuchen wir das Dorf Marpissa mit seiner berühmten, buntfassadigen „Taverna Charoulas“ unter großen Maulbeerbäumen.
20 Meter weiter hat Marigoula Fyssilani in einem traditionellen Inselhaus ihre Werkstatt. Auf ihrem Webstuhl von 1858 webt Marigoula aus Stoffresten schöne Teppiche und Taschen. Sie lässt es sich nicht nehmen, die ganze Truppe mit Glyko Tou Koutaliou (Teaspoon Sweets) und mit Souma-Schnaps zu bewirten.
Naoussas Hafen mit der Ouzeri „Tsachpinis ton Nautikon“ und dem kleineren „Sigi Ikthos“ könnte als prototypische Beschreibung eines idealen „picturesque cycladic port“ im Handbuch für Filmlocation-Scouts stehen.
Fast schon jetset-kompatibel geht es einige Schritte weiter zu. In den schattigen Gassen zwischen den relaxten Strandbars „come back“ und „Vavaja’s“ und der Kirche Pantanassis verstecken sich feine Restaurants wie das in stylischem Weiß-in-Weiß gehaltene „UMI“ mit japanisch-peruanischer Küche. Exklusive Boutiquen und Juwelierläden sowie lässige Bars warten auf ausgabefreudige Gäste.
Bevor an Bord der „MS Galileo“ die Greek Night beginnt, bleibt Zeit, den außerordentlich schönen Kirchenkomplex Ekatontapyliani rund um die frühchristliche Kreuzbasilika aus dem sechsten Jahrhundert zu erkunden, die auf die Heilige Helena, die Mutter von Konstantin dem Großen, zurückgeführt wird.
Der griechische Name Ekatontapyliani bedeutet übrigens übersetzt „die Kirche mit den 99 Türen“. Die Legende will, dass sich die 100. Türe öffnet, wenn die Hagia Sophia in Istanbul wieder zum christlich-orthodoxen Gotteshaus geworden sei.
Landgang auf Mykonos:
Zeit für Pflicht, Zeit für Kür…
Auf Mykonos macht die „MS Galileo“ im New Port fest, im Schatten eines Kreuzfahrt-Giganten von MSC. Wassertaxis shutteln die Landgängerherden zum Old Port. Dort und in „Little Venice“ geht es extrem geschäftstüchtig und voll zu.
So begnüge ich mich mit einer Speedbesichtigung der aus der Zeit gefallenen Kirche Panagia Paraportiani, des Viertels Alefkandra (aka Little Venice) und der fünf von den Venezianern errichteten Windmühlen (Kato Mili), und trete dann den Rückzug mit der Fähre an. Leider ohne, wie bei der Hinfahrt, Delfine zu sehen.
Quasi ums Eck des Cruise-Terminals, knapp 15 Minuten zu Fuß, wartet der überraschend schöne und saubere Strand Paralia Agios Stefanos. Für mich genau der richtige Standort, um den Abend zu verbummeln. Nach dem Sunset Swim mit Blick auf die Insel Rinea wartet ein kühles Bier im warmen Sand.
Nach dem bombastischen Sunset geht es in der Blue Hour 111 Stufen hoch zum in der zweiten Generation geführten Restaurant „Limnios Tavern“. Die Lamb Chops und das Stifado schmecken wunderbar, der ausgeschenkte Hauswein ist ein guter Deal. Alles für weniger als die Hälfte dessen, was in Old Mykonos einkassiert wird.
Insel Syros:
Schöne Überraschung!
Ermoupoli, der Hauptort der bevölkerungsreichsten Insel der Kykladen, ist auf eine angenehme Weise „untouristisch“: Coole Cafés, Bars und Läden tragen vor allem den Bedürfnissen der Insulaner Rechnung. Die wenigen Unterkünfte im Stadtbereich sind zu schönen Boutiquehotels umgebaute Altstadthäuser.
Lang vor dem Aufstieg von Athen und Piräus war Syros das Handels-, Schifffahrts- und industrielle Herz Griechenlands. 1860 liefen fast 70 Prozent der griechischen Importe über Ermoupolis Hafen.
Ermoupolis über 750 Bürgerhäuser, Gewerbe- und Bankhäuser, das riesige Rathaus und das Opernhaus, das sich klar an der Mailänder Scala orientierte, sind so weit weg vom weiß gekälkten Kykladenidyll, wie man sich das nur vorstellen kann.
Doch weit ist es nicht bis zu diesem vertrauten Bild: Ano Syros zieht sich steil und über viele Treppen den Berg hinauf, beduftet von mächtigen Jasminsträuchern und Bougainvilleabäumen.
Dort wurde vor fast 120 Jahren Markos Vamvakaris geboren. Der begnadete Bouzoukispieler gilt als Vater des Rembetiko. Vamvakaris arbeitete als Hafenarbeiter und Fleischer in Piräus, um sich und seine Familie ernähren zu können. In den Hafenkneipen war damals der Rembetiko populär: Diese Musik galt als der Sound der Kiffer, Taschendiebe, Ganoven und Anarchisten.
Vamvakaris gelang es mit der Gründung des Ensembles „Ksakousti Tetras tou Pirea“, diese Musik aus dem Dunstkreis der Verrufenheit zu holen. Seit 2017 steht der Rembetiko auf der Unesco-Liste des immateriellen Kulturerbes der Menschheit.
Das in Syros von Antonis Maragos organisierte Rembetiko-Festival ist der jährliche Höhepunkt für Fans dieser Halsabschneidermusik. Antonis gab Crew und Passagieren an Bord der „MS Galileo“ eine längere Kostprobe seines Könnens an der Bouzouki und lockte dabei auch Captain Vasilis zur eingangs erwähnten Tanzeinlage aufs Parkett …
„MS Galileo“ und Aegina:
Finale im Saronischen Golf
Drohender Sturm führt zur Kursänderung. Statt mit Blick auf den gravitätischen Tempel von Kap Sunion endet der letzte Kreuzfahrttag auf der Insel Aegina im Saronischen Golf, nur 20 Kilometer von der Marina Zeas, dem Heimathafen der „MS Galileo“.
Die Wetterlaune entpuppt sich als Glücksfall: Schweißtreibende 25 Wurzelweg-Minuten über dem Anleger von Agios Marina wartet der einzigartig schöne Aphaia-Tempel. Er wurde im sechsten Jahrhundert in erhabener Lage mit Doppelmeerblick errichtet.
Seine wertvollen Friesfiguren allerdings sind nicht im kleinen, gut gemachten Museum zu sehen, sondern aufgrund Kronprinz Ludwigs Antikenfaible in der Münchner Glyptothek. Dafür sind noch Reste der Farbigkeit des Tempels und die an Legosteine erinnernden Tropfenplatten zu sehen.
Ein Besuch von Aegina ist eine Reise zurück in die 1980er. Viele etwas runtergekommene 2- und 3-Sterne-Hotels, reichlich Müll im Straßengraben, Tavernen mit blauweißen Tischdecken, auf die eine Papiertischdecke geklemmt wird. Und laminierte Speisekarten, auf denen wie im „Kiriakakis“ das Bifteki für 8 und das Mythosbier für 3,50 Euro notiert sind – die Hälfte dessen, was dafür auf Santorin fällig wird.
Vor dem letzten Bad im Mittelmeer hat die Inselgöttin einen längeren Fußmarsch gesetzt, da die letzte Regenflut Teile des Küstenwegs zum Meltemi-Strand wegriss.
Endlich geht es über eine rostige Leiter am Felsen ins Meer. Dann ist es da, das Meergefühl. Salzig auf den Lippen. Wildwellig. Gurgelnd. Das kleine Blowhole neben der Schwimmleiter prustet im Takt der Brandung. Treiben lassen …
Aber ich muss nochmals richtig weit raus aufs Meer. Schwimmbrille auf und los geht’s. Das Meer hält dagegen. Pochender Puls nach 20 Minuten gegen die Strömung. Das reicht. Lege mich auf den warmen Fels, lasse mich ein letztes Mal von der Spätherbstsonne trocknen. Der Oktober ist goldrichtig für die griechischen Inseln …
Bei Direktbuchung über die Reederei Variety Cruises kostet die hier beschriebene, 7-tägige Seereise “Jewels of the Cyclades” ab/bis Athen ab 1.295 Euro pro Person
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