Serbien für Anfänger Teil I. Party in Belgrad. Brutalismus in Novi Beograd. Die Mäander der Ovcar-Kablar-Schlucht. Und Emir Kusturicas kurioses „Küstendorf“ in den Bergen von Mokra Gora
Weiße Flecken kennt die Weltkarte des modernen Reisenden nicht mehr. Vorausgesetzt natürlich, das Konto ist gut gefüllt. Nordpol per Atomeisbrecher? Antarktis per Luxus-Cruiser? Dschungelinsel-Retreat im Nichts von Myanmars Mergui-Archipel? Alles machbar. Alles weit weg. Alles bekannt.
Ein exotisches weißes Fleckchen, fast Terra incognita, aber wartet vor der Haustür. Und wird hartnäckig übersehen: Serbien. Nur 80 Flugminuten von München – und manchmal doch Jahre – entfernt.
Das Desinteresse ist vermutlich der Tatsache geschuldet, dass Serbien einige Jahre Europas politischer Paria war. Im Frühjahr 1999 wurde „Rest-Jugoslawien“ zum ersten Kriegsgegner der NATO. Verbunden sind diese Jahre mit Ratko Mladic und Radovan Karadzic und Begriffen wie Sarajevo, Sniper Alley und Srebrenica.
Von den jugoslawischen 260.000 Quadratkilometern auf ein Drittel geschrumpft, grenzt Serbien an Kroatien, Ungarn, Rumänien, Bulgarien, Albanien (nebst ewigem Zankapfel Kosovo), Montenegro, Nord-Mazedonien sowie Bosnien-Herzegowina.
Ovcar Kablar Gorge: Serbiens Kurvenstar
Zwischen den Bergen Ovcar und Kablar, 230 Kilometer südlich von Novi Sad, mäandert die Westliche Morava (Zapadna Morava) in sich ineinander schmiegenden Schleifen vor sich hin. Wir besuchen das am Fluss gelegenen Manastir Nikolje, eines von zehn Klöstern in der Schlucht.
Äbtissin Elisabeth führt durch ihr kleines Reich. Anschließend hilft sie meinem Kreislauf mit Türkischem Kaffee auf die Touren und tröstet mit mildem, aber kräftigen Rakija-Schnaps aus eigener Produktion über den strömenden Regen hinweg. Der ließ die geplante Radtour ins Wasser fallen. Dafür bleibt mehr Zeit für die schönen Kirchen-Fresken aus dem Ende des 16. Jahrhunderts.
Die Wolkenbrüche vermasselten uns den besten Blick auf den mäandernden Fluss: „Der 15 Kilometer lange MTB-Rundkurs führt ohne große Steigungen hoch zum Gipfel des Kablar. Von dort hat man den besten Blick auf die Schleifen der Morava, die nur von denen des Uvac übertroffen werden“, so Dejan Zvikovic. Er muss es wissen, denn er ist für die 150 Kilometer Bike- und Hike-Trails der umliegenden Berge zuständig.
360-Grad-Panorama der Kirche im Kloster Manastir Nikolje mit Fresken aus 1587
Die Nacht davor verbrachten wir in Cacak, Anfang des 19. Jahrhunderts die Keimzelle des Zweiten Serbischen Aufstands gegen die Osmanen. Dort stachen uns beim Stadtbummel die vielen bis zu sechs Geschosse hohen Murals an Miethäusern ins Auge, aber auch die Stencil-Grafitti von Ratko Mladic an Hauseingängen und auf Fassaden.
Moka Gora: Der wildgrüne Westen von Serbien
Durch das Mittelgebirge Zlatibor geht es in den Westen von Serbien. Den gleichnamigen Bergort kann man sich getrost schenken. Mit Dutzenden unschönen Hochbauten, neonbunten Wett-Cafés und Fastfood-Buden wirkt er wie eine grotesk aufgeblasene Sölden-Wiedergeburt.
Darüber tröstet auch das pfiffige Brunch in the Air in der längsten Seilbahn der Welt, der neun Kilometer langen Gold Gondola, nicht hinweg. Dabei verkostet man mit Blick auf den Ribnica-See regionale Käse- und Wurstspezialitäten, Kajmak, Propeć (eine Art Cheese Pie) – und natürlich Prepecnica-Schnaps.
Dreißig Kilometer nordwestlich liegt Sargan Vitasi. Dort steigen wir in die historische Schmalspurbahn Sarganska Osmica. Sie schüttelt und rüttelt seit 2003 wieder Touristen über 15 Kilometer und garniert mit einer Achterschleife durch die Berge in Richtung Mokra Gora.
Nur fünf Kilometer Luftlinie sind es von Mokra Gora zur Grenze mit Bosnien. Zwei Kilometer oberhalb von Mokra Gora – und damit 200 Kilometer vom Meer – liegt das legendäre „Küstendorf“.
Der balkanesische Bewegtbild-Berseker Emir Kusturica hat dieses Dorf in traditioneller Bauweise errichten lassen. Die Holzhäuser kann man als Hotelgast buchen.
Drvengrad: Küstendorf ohne Meer
Küstendorfs Straßen sind nach Regisseuren, Filmstars, Kosmonauten oder Fußballern wie Diego Maradona benannt. Das Kino heißt „Stanley Kubrick Theatre“, das Sportzentrum „Damned Yard“ zu Ehren des jugoslawischen Literaturnobelpreisträgers Ivo Andrić.
Das Filmfestival „Internacionalni festival filma Kustendorf“ findet im Winter statt und kennt keinen Roten Teppich. Dennoch kommen ab und an Stars wie Johnny Depp, Jim Jarmusch oder Isabelle Huppert vorbei. Nicht im Zug natürlich, sondern via Helikopter oder Limo.
Wie Kusturica auf den Namen „Küstendorf“ kam, weiß der Teufel. In Anspielung an seinen in Serbien gängigen Spitznamen Kusta? Oder auch nur, weil der Regisseur ein wenig verrückt ist? Wenige Monate nach Gründung wurde die Bergregion rund um Mokra Gora („Nasses Holz“) zum Naturschutzgebiet.
Die UN-Welttourismusorganisation hat den Ort in West-Serbien unlängst zu „einem der besten touristischen Dörfer der Welt“ erklärt. Was immer das bedeuten soll.
Belgrad: Brutalismus und Party
Ein Straßencafé neben dem anderen schmiegt sich auf der Promeniermeile Obilicev Venac unters Blätterdach. Rechts und links der Fußgängerzone Kneza Mihaila hingegen bestimmen Designer-Shops und viel Mode „made in Serbia“ das Bild.
Die Straße führt über einen Kilometer hinweg vom Platz der Republik bis zur Festung mit tollem Blick auf Donau und Save, osmanischen Mausoleum, Kriegsmuseum und Siegessäule mit dem nackten Pobednik.
Belgrad hat sich im letzten Jahrzehnt einen Ruf als Partymetropole erarbeitet. Dabei spielen die Clubs, Lokale und Partyboote auf Donau und Save die Hauptrolle. Am Neujahrsmorgen 2023 ging der heillos überfüllte „Freestyler“ in der Save unter.
Nun schaukelt er kieloben gegen die Beats aus der Nachbarschaft an: Clubs wie „Splav River“ und „HotMess“ heizen Feierlustigen auf dem Wasser kräftig ein.
Novi Beograd ist ein Traum für Brutalismus-Fans. Rabiate Betonburgen wurden dort in den 1970ern aus dem Boden gestampft, in einer für Europa seltenen Dichte.
Zu den herausragenden Bauten gehören die drei Rudo-Türme des Eastern Gate, der 115 Meter hohe Genex-Doppelturm (aka Kula Geneks), der seit 1980 am Western Gate direkt neben dem Autoput in die Höhe ragt, und die sage und schreibe 70 Wohnblöcke des Blokovi.
Im Nightlife-Viertel Skadarlija sorgt der abendliche Schaulauf für Kurzweil. Auffällig viele Männer tragen auffällig mächtige Bizepspakete und Nackenmuskeln spazieren. An ihrer Seite staksen rausgeputzte Damen auf hohen Absätzen und mit sehr knappem Textil geradezu artistisch übers Kopfsteinpflaster.
Allzu lang wird die Nacht nicht. Unsere Gruppe hatte mittags ausgiebig in die Rakija-Fässer der „Belgrade Urban Distillery“ hineindegustiert. Dort gibt es Schnaps-Pairing zum Menü: Zu jedem der fünf Teller einen anderen kräftigen, doppelt destillierten Obstbrand.
Willkommen im „Anderland“
Was uns verblüffte? Auf Hunderten von Buskilometern durch Serbien nur eine Hand voll Solardächer zu sehen, von Sonnenfarmen und Windparks ganz zu schweigen. Autoposer kreuzen ausschließlich in soundgetunten Verbrennern aus München, Ingolstadt oder Sindelfingen durch die Städte. Surrende Stromer? Fehlanzeige!
Meist vergebens sucht man in Serbien vegane Lokale oder dezidiert vegetarische Gerichte auf den Speisekarten, nach dem Motto: „Wer kein Fleisch isst, isst Gulasch oder Cevapcici!“ Auf gewisse Weise erscheint Serbien wie ein entspanntes, hier und da politisch etwas unkorrektes Nostalgie-Reservat für den „alten weißen Mann“.
Keine Frage: Damit ist das Schnappatmungspotenzial für mitteleuropäische Öko-Bohèmiens und Klimakleber, aber auch für Oat Milk Latte-Fanatiker und Teslafahrer dramatisch hoch [Ende der Trigger-Warnung].
Allen anderen seien Entdeckungen auf eigene Faust in dieser balkanesischen Terra obscura ans Herz gelegt.
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INFO SERBIEN
INFO
Anreise nach Serbien
Von Frankfurt nach Belgrad (1h 50 Min) mit Lufthansa ab 155 Euro. 7 Tage Mietwagen Kompaktklasse ohne Selbstbeteiligung ab 270 Euro. Schnellzug von Belgrad nach Novi Sad: 8,70 Euro.
Geld
Euro lassen sich problemlos und transparent an den vielen Wechselstuben (Menjačnica) tauschen. Kurs: 1 Euro = ca. 116 Dinar. Kreditkarten sowie Apple Pay und Google Pay sind verbreitet.
Die Nebenkosten sind in Serbien niedriger als in Kroatien: Espresso 1,50 Euro, Bier 2 bis 2,50 Euro, Mineralwasser 0,90 Euro, Super-Benzin 1,50 Euro, Hauptgerichte sieben bis zehn Euro, Seilbahnticket 10 Euro.
Hotel-Tipps
Die Zahl der Sterne ist nicht aussagekräftig. In der Regel kann man getrost einen bis zwei Sterne abziehen
Mama Shelter
Keine 200 Meter von Belgrads Festung und direkt an der Fußgängerzone. Bunt, verrückt, kreativ, wie es die Marke verspricht. Tolles Rooftop-Restaurant. DZ ab 150 Euro. mamashelter.com/belgrade
Glamping Jezero
Einfache Holzbungalows für 2 oder 4 Personen. Vom Fluss getrennt nur durch die ( mitunter dicht befahrenen) Straße. Alternativ? Privatferienhäuser in Ovcar Banja oder das Hotel frisch renovierte Hotel „Morava“ am Rand des 10 Kilometer entfernten Cacak.
Tourist Resort Mecavnik/Küstendorf
Umfasst die Holzhäuser im Küstendorf wie ein stilvolles, großes Vollholzhotel weiter oben am Berg. DZ/HP ab 110 Euro. mecavnik.info
Infos zu Serbien
Die offizielle Website der Nationalen Tourismusorganisation von Serbien serbia.travel