Serbien für Anfänger, Teil II. Raus aus Belgrad und ab aufs Land. Es warten der teuerste Käse der Welt, tolle Weine in der Fruska Gora und jede Menge Multikulti in der Stadt Novi Sad
Von Stechmücken umschwirrt stehe ich in den Marschen des Naturreservats Zasavica, an einem Alt-Arm der Sava gelegen, rund 65 Kilometer südestlich von Novi Sad, Serbiens zweitgrößter Stadt. Die Menschen hier nennen solche amphibischen Landstriche Mrtvaja, „totes Wasser“, Zasavica aber erweist sich als putzlebendig.
Nicht nur, weil dort gut 400 Balkanesel (Domaci balkanski Megara) und Dutzende Mangalitsa-Schweine über die Sumpfwiesen streifen. Über ihnen kreisen Seeadler mit bis zu 2,5 Meter Spannweite. Durchs Wasser staksen ornithologische Raritäten wie Schwarzstorch, Nachtreiher, Ibis und Tüpfelsumpfhuhn.
„In den ein bis zwei Meter tiefen Altwassern liegen neun Meter Schlamm“, erklärt Vuk, unser kettenrauchender Guide.
In den Gewässern tummeln sich Süßwasser-Medusen. Die Lebewesen mit dem höchsten H2O-Gehalt (99,3 Prozent) seien Indiz für außerordentlich reines Wasser.
Pule: Serbien hat den teuersten Käse der Welt
Gut 25 Liter Milch gibt die deutsche Durchschnittskuh am Tag. Eine spendable Balkanesel-Stute kommt auf 0,2 Liter. Vorausgesetzt, sie wird drei Mal täglich von Hand gemolken. Mit schnöden Melkmaschinen geht da gar nichts.
Die Milch der 300 Eselstuten ist fettarm und proteinreich, hat 60-mal mehr Vitamin C als Kuhmilch. „Über 24 Monate liefert eine Eselstute 25 bis 40 Liter Milch“, rechnet Vuk vor.
Der Liter Rohmilch kostet 40 Euro. Für ein Kilo Pule-Käse (serbisch: Magareci sir),den Slobodan Simic, der Manager des Reservats Zasavica nach einem Geheimrezept herstellen lässt, sind 25 Liter Milch nötig. Macht 1000 Euro pro Kilo.
Damit lässt der Edelkäse aus der Vojvodina alle Konkurrenten im Preis-Rennen hinter sich. Und der Geschmack? Erinnert an milden spanischen Manchego.
Vuk schwört auf die Heilkraft von Eselsmilch: „Ich rauche seit Jahren drei Päckchen Zigaretten am Tag, trinke jeden Tag ein Glas Milch und wurde nie krank!“
Fruska Gora: Wein, Mufflons, Orchideen
Südlich von Novi Sad erstreckt sich über 80 Kilometer und parallel zur Donau der Höhenzug Fruska Gora quer durch den Norden von Serbien, als Rückgrat der Vojvodina. Der 1960 ins Leben gerufene Nationalpark ist Lebensraum von über 30 Orchideenarten sowie von Luchs, Mufflon, Kaiseradler und Salamander.
Die Römer nannten den Höhenzug Alma Mons, „fruchtbarer Berg”. Seit fast 2.000 Jahren wird dort Wein angebaut, auch autochthone Rebsorten wie Neoplanta, Zupljanka und Kadarka.
Probus: Tiefrote Hommage an den Kaiser
Das Weingut Deuric, gut 45 Autominuten von Novi Sad entfernt, setzt neben Chardonnay, Pinot Noir und Gewürztraminer auch auf die nach dem hier geborenen Römerkaiser benannte Probus, eine Züchtung aus Kadarka und Cabernet-Sauvignon.
Deurics Probus 276 ist eine positive Überraschung mit Noten von Pflaumen, gewürzig-nelkigem Touch und Schokolade. Kräftiger Körper, tiefdunkles Rot und ausbalancierte Tannine.
Marcus Aurelius Probus, geboren in Syrmien, dem heutigen Sremska Mitrovica. Syrmien war ein regelrechter Soldatenkaiser-Inkubator: Vier römischer Herrscher aus dem dritten Jahrhundert wurden dort geboren: Decius, Aurelian, Probus und Maximian.
Probus regierte ab 232 über fünfzig Jahre als römischer Kaiser. Kurz vor Amtsende kassierte er das von Domitian verhängte Verbot, außerhalb von Italien Rebstöcke anzupflanzen. Damit begann der Weinbau an Rhein, Main, Mosel – und in der Vojvodina.
Novi Sad: Serbiens schöne Nummer zwei
Die zweitgrößte Stadt in Serbien ist ein Multikulti-Juwel. Dutzende Straßencafés unter Bäumen säumen die Fußgängerzone von Novi Sad, die beim Nationaltheater beginnt. Die Gassen im Ausgehviertel zwischen Svetozara Miletica, Mite Ruzica und Zmai Jovina sind geprägt von bunter Streetart sowie cool designten Bars und Lokalen.
Ganz wild geht es in Novi Sad zum Exit Festival zu, das 2000 das erste Mal stattfand. Vier Tage feiern und tanzen jeden Juli 50.000 udn mehr Musikfans zu Top-Acts wie Skrillex, The Prodigy, Wu-Tang Clan, Guns N Roses, Motörhead, Nina Kraviz, New Order, Nick Cave & The Bad Seeds oder Paul Kalkbrenner. Von Donnerstag bis Sonntag treten insgesamt über 70 Musikerinnen und Musiker auf der Festung Petrovaradin auf.
In der Altstadt und der Fußgängerzone zwischen der katholischen Kirche Maria Namen, dem Freiheitsplatz mit pompösen Neorenaissance-Rathaus und der orthodoxen Georgskathedrale ist allschönwetterabendlich Schaulaufen angesagt.
Bunte Fassaden prägen die Altstadt von Novi Sad. Dort verbergen sich hinter Torbögen langgezogene grüne Innenhöfe, mal in Form sinistrer Passagen mit viel Patina, mal mit Balkons, Terrassen und kleinen Topfpflanzen-Dschungeln.
Petrovaradin: Novi Sads XXL-Festung
Petrovaradin, die bei ihrer Fertigstellung im 18. Jahrhundert größte Festung Europas, thront über dem Südufer der Donau. 16 Kilometer lang ist das Netzwerk unterirdischer Gänge und Tunnels, 12.000 Schießscharten und 400 Kanonen kauften den osmanischen Angreifern den Schneid ab.
Bis Ende 2025 ist dort eine spannende digitale Ausstellung zu sehen über Einsteins erste Frau, Mileva Marić, deren Anteil an der Relativitätstheorie bis dato im Unklaren ist.
Novi Sads Brücken über die Donau fielen 1999 im Kosovokrieg NATO-Bomben zum Opfer. Sechs Jahre lang kam man nur über Pontons zum Südufer mit der Festung und dem „Štrand“, einem beliebten Badestrand an der Donau. An Sommertagen tummeln sich dort bis zu 20.000 Sonnenhungrige.
Kabinet Brewery: Oat Dirty Bastard?
Auf dem Weg von Novi Sad nach Belgrad machen wir einen Umweg weit in den Süden, um „Kabinet“, die erste Craft-Beer-Brauerei Osteuropas, zu besuchen. Sie hat in Nemenikuce ein modernes Sichtbeton-Gebäude auf die grüne Wiese unterhalb des Bergs Kosmaj gesetzt.
Gebraut werden – zu ohrenbetäubendem Heavy-Metall-Sound – über 20 Sorten Bier, bei deren Herstellung es ebenso kreativ zugeht wie bei den verspielten Namen und Etiketten.
Die Craftbeer-Kreationen tragen Namen wie Olga on Cardamom, Oat Dirty Bastard, Janis Hoplin, Bob Barley oder Pop my Visnaj. Sie werden beim Beer Pairing Lunch nicht als Flight mit den weltweit üblichen kleinen Gläsern serviert, sondern in bis zum Rand gefüllten 0,4-Liter-Gläsern.
So erstaunt wenig, was dann kam. Beim Besuch der mosaikprunkenden Kirche des Heiligen Georg in Oplenac wähnte ich mich dank der Überdosis Bier in der rotlichternden und güldenen Krypta eher in einem unterkühlten Nightclub als in der Gruft einer Herrscher-Dynastie.
Weitere Reiseberichte aus Serbien und Kroatien:
👉 Belgrad
👉Seakayaking
INFO NOVI SAD
INFO SERBIEN / NOVI SAD
Anreise nach Serbien
Von Frankfurt nach Belgrad (1h 50 Min) mit Lufthansa ab 155 Euro. 7 Tage Mietwagen Kompaktklasse ohne Selbstbeteiligung ab 270 Euro. Schnellzug von Belgrad nach Novi Sad: 8,70 Euro.
Geld
Euro lassen sich problemlos und transparent an den vielen Wechselstuben (Menjačnica) etwa am Platz der Freiheit in Novi Sad tauschen. Kurs: 1 Euro = ca. 116 Dinar. Kreditkarten sowie Apple Pay und Google Pay sind verbreitet.
Die Nebenkosten sind in Novi Sad wie in ganz Serbien niedriger als in Kroatien: Espresso 1,50 Euro, Bier 2 bis 2,50 Euro, Mineralwasser 0,90 Euro, Super-Benzin 1,50 Euro, Hauptgerichte sieben bis zehn Euro, Seilbahnticket 10 Euro.
Hotel-Tipp Novi Sad: Centar
Die Zahl der Sterne ist nicht aussagekräftig. In der Regel kann man getrost einen bis zwei Sterne abziehen. Das Centar aber ist ein neues, zentral in Novi Sad und vis-à-vis des Serbian National Theatre gelegenes Hotel mit schönen Zimmern. DZ/HP ab 110 Euro. hotel-centar.rs
Infos zu Novi Sad und Serbien
Die offizielle Website der Nationalen Tourismusorganisation von Serbien serbia.travel