Die Insel ist ein Paradies für Teeliebhaber. Zwischen tropischem Grün wachsen am Maokong Mountain hervorragende Tieguanyin- und Oolong-Tees. Weiter im Süden, in Nantou, gedeihen neben Schwarztee auch famose Kaffees
Schwüle Hitze liegt schwer über den Hängen des Bergs Maokong. Ein Dutzend älterer Frauen pflückt Tee. Breite Hüte spenden Schatten. Kaum schafft es die Sonne durch den Dunst, wird es heiß. Taiwanbartvögel trällern im nahen Unterholz ihr ausdauerndes Stakkato. Die Chinesen nennen ihn Fünffarbenvogel. Der Ruf des kleinen Kerls in schmuckem Grün, Gelb und Blau ist ebenso extravagant wie sein Federkleid. Und passt zum fröhlich-bunten Outfit der Damen nebenan…
Maokong Mountain: Unterwegs in den Teegärten
Die Frauen zwischen den Teesträuchern sind konzentriert und flink bei der Arbeit. Am Zeigefinger haben die meisten mit Klebeband eine halbe Rasierklinge befestigt. Mit den Fingern knipsen sie die jüngsten Triebe der Teesträucher ab, gezupft wird kaum. Das geht schneller und präziser. Verlangt aber Übung.
„Wir nehmen immer nur die letzten drei Triebe und die Knospe“, erklärt der Vorarbeiter, trotz der Hitze in schweren Gummistiefeln und dicker Weste. „Probier‘ mal! Eins, zwei, drei – und ab!“ fordert er mich auf, die Kippe lässig im Mundwinkel.
Eine viertel Stunde zuvor saß die Pflückerinnen-Runde noch im Gras und machte Mittag. Die Damen stäbelten Verlockendes aus den Proviantboxen und beobachteten die vorbeitrippelnde Seniorengruppe. Fotografiert werden wollten die Pflückerinnen nicht: „Wir sind hässlich, wenn wir essen!“ scherzte eine. Die anderen giggelten und aßen weiter.
Also marschierten wir auf einem der vielen Pfade, die sich die Flanken des Maokong Mountain entlangschlängeln, dem weitgehend eben verlaufenden Camphor Tea Trail, ein Stück weiter.
Der Trail beginnt unweit der Bergstation der Seilbahn Maokong Gondola, die über vier Kilometer Länge und mit Stopps am Zoo Tagesbesucher aus dem nahen Taipei hochbringt. Ein Köhlerofen, Teiche, ein paar alte Holzhäuser, Gemüsegärten, Teeplantagen. Dazwischen immer wieder Bambushaine, aus denen Wasser gurgelt. Viele der Terrassenfelder sind zur Düngung mit Lupinen bepflanzt. Sie werden im Frühjahr für ein Farbspektakel sorgen. Für Farbtupfer jetzt im Herbst sorgen Orchideen und Kosmeen.
Taipei 101: Bambus aus Stahl und Beton
Einige Kilometer Luftlinie entfernt, reckt der jadegrüne 101 Taipei, das Wahrzeichen von Taipei, seine Spitze in die dunstige Höhe. Der 508 Meter „One-O-One“ ist ein besonderes Gewächs. Das einst höchste Gebäude der Welt wurde aus 40.000 Tonnen Stahl und Beton just dort errichtet, wo in Taiwan die Erde am häufigsten bebt.
Die 101 Stockwerke bieten den Naturgewalten in Form von Beben und Taifunen bis dato erfolgreich die Stirn. Die Spitze schwankt nicht mehr als die erlaubten 150 Zentimeter.
Das Konstruktionsprinzip von Architekt C. Y. Lee orientiert sich am Bambus. Der wächst auch in Segmenten und jagt seine Wurzeln unfassbar weit und tief ins Erdreich. So auch der vor 18 Jahren eingeweihte 101, dessen Basis über 555 Betonpfeiler bilden, die 80 Meter tief in den weichen Untergrund getrieben worden waren. Oben stabilisiert ihn eine 660 Tonnen schwere Kugel aus Stahl, die zwischen 87. und 92. Stockwerk pendelt.
Analog zu den Segmenten des Bambus wurde der Skyscraper, der in der Tat oft in den Wolken verschwindet und nicht nur daran kratzt, in acht Module aufgeteilt. Am pyramidalen Sockel sind für ein gutes Chi vier riesige Glücks-Münzen zu sehen, falls das Pendel mal nicht genügt.
Dort, wo sich das teure Geschäftsviertel Xinyi mit dem 101 erstreckt, sah es bis in die 1970er noch ausgehen wie am Maokong. Dichtes, tropisches Grün. Der krächzend-glucksende Soundtrack von Buschwachtel und Bambushuhn. Schwüler Dunst, dichte Bambushaine, Elefantenohr-Stauden und Reisfelder, auf denen Bauern schwitzen.
Tieguanyin: Die eiserne Göttin vom Maokong
Der Maokong Mountain ist in ganz Taiwan bekannt für den dort wachsenden, blumigen Muzha- Tieguanyin-Tee. „Eiserne Göttinnen“-Tee, so eine Bedeutung seines Namens, wird nach sechs bis acht Stunden Fermentierung meist stark geröstet, um die Oxidation zu stoppen. Er verliert dabei (leider) etwas von seinem markanten, beerig-fruchtigen Grundgeschmack.
Die zweite am Maokong kultivierte Sorte, Baozhong oder Wen Shan Pouchong, ist ein feiner, nur sehr kurz fermentierter Tee mit einer blassgoldenen Farbe von fast süßlichem Geschmack. Dieser großblättrige Tee wird nur mit 80 Grad heißem Wasser aufgegossen.
Die Tees am Maokong werden zweimal im Jahr, im Herbst und Frühling, gepflückt, verrät mir der Vorarbeiter. Und nur bei klarem Wetter.
Die dunkelgrünen Blätter des Tieguanyin werden nach der Ernte zu kleinen Kugeln gerollt getrocknet. Aufgegossen entfalten sie sich wieder auf vielfaches Volumen. Fünf bis acht Aufgüsse sind möglich, erzählte mir am Vortag die Verkäuferin im „Jiufen Teahouse“: „Mit 90 Grad heißem Wasser, bitte!“ Die Kanne werde in Taiwan immer mit dem ersten Aufguss, den man nur 20 Sekunden ziehen lässt, gewaschen und vorgewärmt.
Am Maokong, einst das größte Teeanbaugebiet der Insel, steht alles im Zeichen des Tees, auch das, was die vielen Restaurants und Teehäuser auftragen lassen. Lunch-Stop im „Morning Glory Teahouse Six Seasons“ (No. 53, Lane 34, Section 3, Zhinan Rd, Wenshan District) neben der Tea Master Chang Nai-Miao Memorial Hall. Es gibt Teenudeln, Dumplings mit Tee und mit Tee gebratenen Reis.
Wer Genaueres über Tee und seine Verarbeitung in Taiwan lernen will, stattet dem Taipei Tea Promotion Center einen längeren Besuch ab. Es liegt 15 Gehminuten von der Bergstation. Fünf Minuten sind es von dort dann noch zu den Maokong Potholes, die dem „Katzenklo“-Berg zu seinem wenig schmeichelnden Namen verhalfen.
„Tee hat nicht die Arroganz des Weines, nicht das Selbstbewusstsein des Kaffees,
nicht die kindliche Unschuld von Kakao. Im Geschmack des Tees liegt ein zarter Charme, der ihn unwiderstehlich macht“
(Laotse)
Vom Maokong hoch über Taipei geht unsere Reise dann 250 Kilometer weiter in den Süden, ins bergige Herz der Insel, vorbei an der Hafenstadt Lukang, die für ihre Papierlaternen-Künstler bekannt ist.
Nantou: Kaffee, Tee und Bergpfeffer
Beim Besuch der Markthalle des Städtchen Shila, das an drei Flüssen liegt, staune ich über die Vielzahl an Früchten, die ich noch nie gesehen habe. Essbare Steine etwa und Rosenäpfel, die bedauerlicherweise wesentlich langweiliger schmecken als sie aussehen. Erstaunlich ist auch, mit welcher Selbstverständlichkeit die Leute auf ihren Rollern durch das Gebäude tuckern.
Weiter geht die Fahrt ins frühere Holzfällerdorf Checheng mit der Endstation der Schmalspurbahn Jiji Train, dessen enge Gassen geduckte, bunte Häuschen säumen.
Nantou County ist Heimat der besten Schwarztees, auf Chinesisch sagt man übrigens Roter Tee. Dort, in Zentraltaiwan, wachsen auch erlesene Kaffees, die von Hand gepflückt und nur in kleinen Mengen geröstet in den Städten des Landes für viel Geld über die Tresen gehen. Meist Arabica, Liberica und Robusta. Seit kurzem experimentieren die Taiwaner auch mit einer eigenen Züchtung namens Tainung No. 1, die kleinere Blätter, aber größere Bohnen produziert und besonders nussig im Geschmack ist.
Taiwan ist regelrecht kaffeeverrückt. Fast drei Milliarden US-Dollar werden rund um den Kaffee pro Jahr umgesetzt, fast 100 Dollar pro Kopf. Daher bekommt man bekommt in fast jedem x-beliebigen Coffeeshop besseren Kaffee als in good old Tschörmänie. Auch Cold Brews, und zwar ohne den obligatorischen brummigen Hipster.
„Die großen Temperaturunterschiede zwischen den Temperaturen tags und nachts sowie die extrem mineralienreichen Böden in Anbauregionen wie Guoxing und Yuchi sorgen für viel Geschmack und tolles Aroma“, erklärt drei Tage später die Barista im „SanFormosa“ in Taipeis Dihua Street.
Sie hält mir eine 227-Gramm-Packung entgegen. 30 Euro? Da muss ich schlucken – und begnüge mich mit einer Tasse frisch aufgegossenen Kaffee. „Viele Kaffeebauern in Nantou setzen auf ein spezielles Verfahren: Schale und Fruchtfleisch der Kaffeekirsche werden entfernt. Diese werden aber ungewaschen in der Sonne getrocknet. So bleibt die klebrig-süße Fruchtschicht erhalten. Dieser sogenannte Honig sorgt für eine ganz besondere Geschmacksnuance“, so die Barista weiter.
In den oft nebelumflorten Bergen um Xinyi wächst neben Zigtausenden Betelnuss-Palmen an steilen unzugänglichen Hängen der umwerfend duftende Bergpfeffer. Scharf auf der Zunge, zitronig im Duft, mit einem Touch Verbene.
Maqva nennen die Menschen hier, die fast alle zum indigenen Stamm der Bunun gehören, den Bergpfeffer. Zwei junge Bunun-Frauen zeigen uns später im Homestay „Nakas“, wie man aus Extrakten dieses Pfeffers, der gar kein Pfeffer ist, auch wenn er so aussieht, sondern ein Zitrusgewächs (Szechuanpfeffer), zusammen mit Moos-, Farn- und Holz-Extrakten naturbelassene Parfüms mixt.
Rainbow-Bridge: Hart am Abgrund
Zu einem deutlich bunteren Gewächs auf im Herzen von Taiwan. Im Juni 2020 wurde die Rainbow-Hängebrücke eröffnet. Sie führt auf 342 Metern und 100 Meter über dem Abgrund zu den Drachen-Wasserfällen. Wer sie begehen will, stapft erstmal im Schweiße seines Angesichts und Rückens gut 20 Minuten den steilen Berg hinauf.
Der Weg hoch zur Hängebrücke führt vorbei an Tausenden Betelnuss-Palmen. Einmal wage ich, nach dem Lunch in Chengcheng, einen Versuch. Wollte wissen, was dran ist an der Nuss. Der Betelnuss-Konsum ist in Taiwan unverändert populär, nicht zuletzt wird ihr von Fans eine aphrodisierende Wirkung nachgesagt.
Also stopfe ich mir eine in grüne Blätter gerollte Nuss, die eigentlich eine Beere ist, in den Mund. Und kaue. Kaue. Kaue. Furchtbar. Bitter. Sonst nichts. Unter allen auffälligen Gewächsen Taiwans vom Elefantenohr über Riesen-Bambus und Tiger-Orchideen bis zum Tee ist die Betelnuss die wohl unsympathischste: Ihr Genuss sorgt für hässlich gelbe Zähne, schlechten Atem und Mundhöhlenkrebs. Dann doch lieber einen zu süßen Cold Brew, diesmal ökologisch unkorrekt aus der Dose. Hello, Mr. Brown!
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Taiwan. Travel Hacks
Öffentliche WC
Gibt es reichlich, sie sind fast immer blitzsauber, aber es fehlt öfter mal Toilettenpapier, also vorsorgen!
Anreise nach Taiwan
Eva Air fliegt mit dem Dreamliner Boeing 787-9 vier mal in der Woche von München nach Taipei. Tickets ab 750 Euro. Lest hier unseren Test der Business Class im 787-9 von EVA Air. evaair.com
Von Frankfurt aus fliegt die taiwanesische Gesellschaft China Airlines sechsmal pro Woche
Benimm
Schlürfen und Schnäuzen am Tisch sind, anders als in der Volksrepublik, tabu
Geld
30 NTD = ca. 1 Euro. Kreditkarte auch bei kleinen Beträgen kein Problem. In den Convenience Stores kann man an ATMs Geld abheben.