Grün und bergig ist das Herz der Insel. Der Sonne-Mond-See funkelt zwischen Banyanbäumen und Bambus. An seinen Ufern warten Tempel, Pagoden – und moderne Architektur. Leider herrscht Badeverbot, also fahren wir mit dem Rad um den See
Die japanischen Kolonialherren machten es den Thao, einem der sechzehn anerkannten indigenen Völker Taiwans, nicht leicht. Erst tauften sie deren heiligen „Perlen-Berg“ in „Jade-Berg“ um. Wenige Jahre später stauten die Japaner das Wasser und ließen den Berg weitgehend absaufen. So wurde er zur Insel.
Diese Insel wiederum bekam 1948 von Chiang Kai-Shek den Namen Kwangha Island und Ende der 1990er den Thao-Namen „Lalu“. Beim verheerenden Jiji-Erdbeben von 1999 versank die Insel nochmals ein Stück tiefer im Sonne-Mond-See.
Was sich dem Besucher als malerische Naturlandschaft darbietet, ist mithin Menschenwerk. Trotzdem erweist sich das Achtquadratkilometer-Gewässer mit dem wohl romantischsten Namen der Welt als Juwel. Eingefasst von saftig-grünen Bergen voller Riesenbambus und Banyanbäume und ein paar hochgeschossigen Architektursünden.
Kleine schwimmende Gärten sind in vielen Buchten zu sehen. Spontan möchte man zur Badehose greifen. Aber am ganzen See gilt ganzjährig ein striktes Badeverbot, mit Ausnahme des Swimming Carnival jeden Septemberanfang.
Echt astral! Sonne Mond und zurück
Rund um den See führt ein 30 Kilometer langer, landschaftlich reizvoller Radweg. Er verläuft teils direkt am Ufer des Sees, zum Teil auf Stelzen ein Stück oberhalb des Ufers und auf der öffentlichen Straße. Die Gesamtstrecke ist nicht lang. Aber der erste Eindruck von „Rentnertour“ beim Blick auf die Karte ist trügerisch: Es geht fast ständig bergauf und wieder bergab.
Der Abschnitt bei Bo Shan Ji ist nurmehr ein schmaler Pfad auf einem von dichtem Bambus bewachsenen Grat, angereichert durch zwei lange Treppenpassagen. Wer deren Rampen runter will, prüft besser nochmals Bremsen und Gegenverkehr.
Sonne-Mond-See: Konfuzius und Farn-Lunch
Erster Stopp. Der konfuzianische Doppeltempel Wen-Wu ist ohne besondere historische Bedeutung, weil erst in den 1930ern errichtet. Aber schön bunt ist er, kunstvoll verziert und geschmückt mit Tausenden „goldener“ Gebetsglocken.
Vom See aus erreicht man den Wen-Wu-Tempel über eine Treppe mit 365 Stufen, auch als Stairway to Heaven bekannt. Jede Stufe trägt den Namen eines Promis, der an besagtem Tag Geburtstag hat. Wer dem Tempel aufs Dach steigt, genießt einen tollen Blick über den Sonne-Mond-See.
Mittags empfiehlt sich ein Stopp in dem von außen wie innen unscheinbaren „New Restaurant Lusihan“, gut 100 Meter vom Ita Thao Pier und dem Sonne-Mond-See. Ein kleiner Raum, im Eck lärmt der Fernseher, sechs runde Tische. Über allem ein Duft, der einem das Wasser im Mund zusammenlaufen lässt. Transparente Plastikfolie ziert die Tische. Nicht schön, aber praktisch.
Chef Aseng Si kochte vorher in einem Fünfsterne-Hotel in der Nähe, so unser Guide Lilly. Nun setze Aseng Si in seinem Restaurant auf die Küche des lokalen Stamms der Ita Thao, die sich selbst lieber „Barawbaw“ nennen.
Der Graskarpfen mit Ingwer, Koriander und Frühlingszwiebeln wie die würzige Suppe, der Wasserspargel, der Farn oder das Huhn gefüllt mit Reis waren allesamt positive Überraschung. Zu den Spezialitäten der Ita Thao, die man in den Garküchen links und rechts der Wenhua Street bekommt, gehört Gua Bao (eine Art Burger) mit Wildschwein. Und Mochi. Die Klebreisbällchen sind ein süßes kulinarisches Erbe aus der japanischen Kolonialzeit.
Die sorgsam angefutterten Kalorien werden wir auf dem langen Anstieg bis zum Parkplatz unterhalb der Ci’en-Pagode nur teilweise wieder los…
Ci’en-Pagode: 12 Etagen für Mutti
Den topografischen „Höhe“-Punkt der Sonne-Mond-See-Runde markiert die Ci’en-Pagode auf dem 954 Meter hohen Berg Shabalan. Errichtet Anfang der Siebziger auf Geheiß von Staatsgründer Chiang Kai-shek zu Ehren dessen Mutter Wang Caiyu.
Der Aufstieg bis zur Aussichtsplattform des 46 Meter hohen Baus rentiert sich: Das Treppenhaus mit seiner doppelläufigen Wendeltreppe ist ein Hingucker. Noch schöner ist der weite Blick über den gesamten Sonne-Mond-See. Dort oben durchbricht die Nase eindeutig die 1.000-Höhenmeter-Marke.
Buddhistische Hotspots am Sonne-Mond-See
Jetzt geht es topografisch bergab, aber sprachlich wird es steil und zungenbrecherisch. Der Tempel Xuanzang, auch Syuentzang genannt, ist eine ruhige Anlage aus den Sechzigern. Errichtet wurde er zu Ehren des buddhistischen Mönchs Xuanzang, der auch als Hsüantsang bekannt ist.
Vom Xuanzang auf dem Berg Cinglong bietet sich ein schöner Blick auf den Sonne-Mond-See. Von dort erreichen wir nach einem munteren 2.600-Meter-Downhill den kleinen Xuanguang-Tempel. Drinnen meditiert ein Mönch mit gekreuzten Beinen auf einem Schreibtischstuhl – Apple AirPods im Ohr.
Der Tempel wurde zu Ehren einer Reliquie des oben erwähnten Mönchs Xuanzang aka Hsüantsang errichtet. Dieser hatte sich Anfang des siebten Jahrhunderts, so die Infotafel, gemäß einem Befehl des Tang-Kaisers auf den Weg nach Indien gemacht, um buddhistische Schriften zu beschaffen. Verewigt wurde Xuanzangs religiöse Odysee in dem klassischen chinesischen Roman „Xiyouji. Die Reise in den Westen“.
Nach 17 Jahren, so die Legende, kehrte Hsüantsang mit 650 Sutren und 1.335 Schriftrollen nach China zurück. Er befeuerte somit wesentlich die Verbreitung des Buddhismus in China und von dort aus später in Korea und Japan. Insofern steht die Bescheidenheit des Gebäudes zu Ehren seiner Reliquie in einem krassen Gegensatz zur enormen religions- und kulturhistorischen Bedeutung des Mönchs.
Radrunde: 30 Kilometer um den Sonne-Mond-See
Für die Umrundung des Sonne-Mond-See kann man getrost einen Tag einplanen, ohne sich wegen eines lächerlichen Stundenschnitts Gedanken zu machen. Es gibt rechts und links des Wegs einfach viel zu sehen und zu erleben, wobei ich mir die Fahrt mit der Sun Moon Lake Ropeway ersparen würde.
Die urlaubenden Taiwaner strampeln nur in zwei Ausfertigungen um den Sonne-Mond-See. Auf kleinen E-Bikes, die auch fahren, wenn man nicht tritt. Und als Lycra-Renndress-Maske-Ärmelschützer-Gesamtkunstwerk auf der federleichten Carbon-Rennmaschinen.
Sollte irgendjemand aus unserer Gruppe nur einen Moment an der Heldenhaftigkeit der sportlichen Leistung gezweifelt haben, wird uns diese zum Abschluss des Tags in Form eines sehr offiziösen Zertifikats nochmals bestätigt. Grund genug, uns zum Sonnenuntergang ein paar eiskalte Heldenbiere zu gönnen.
Gutes Mietrad? Ehrensache in der Heimat von Giant
Die Bikes bekamen wir vom Giant Flagship Store in Suishe für 15 Euro pro Tag. Noch nie fuhr ich ein Leihrad in einem so guten Zustand. Kein Wunder. Taiwan ist der größte Fahrradexporteur der Welt. Zuliefererbetriebe und Großhersteller wie Giant (einer der Carbonrahmen-Pioniere) oder Maxxis (Radreifen) exportierten 2021 Bikes und Komponenten im Wert von fünf Milliarden Dollar.
Hinzu kommen viele kleine Original Equipment Manufacturer. Fairly Bike aus New Taipei etwa fertigt dezent die Rahmen für die Edel-Schmiede Wilier und Kenstone aus Taichung liefert die Sport Utility Bikes von Morrison.
Japanische Kopfnote: Architektur, Sushi, Onsen
Ein letzter Stopp am Sonne-Mond-See gilt dem phänomenalen Xiangshan Visitor Center. Der Anblick des futuristischen Baus lässt Laien wie mich vermutlich spontan an Zaha Hadid denken. In der Tat aber stehen wir vor einem Werk des preisgekrönten japanischen Architekten Norihiko Dan. Aus jedem Blickwinkel erschließen sich neue Welten. Weich, wellig, kurvend. Spannend, wie sich der rüde Beton harmonisch in die Landschaft schmiegt.
Grünteespezialitäten. Kaffees und Klebreiskuchen Mochi gibt es im „Xiangshang Café“. Da ist sie wieder, die japanische Kopfnote. Am schönsten erlebe ich sie an diesem Tag übrigens im „Mountain Mist Onsen“ des luxuriösen Hotels „Fleur de Chine“. Und eine Stunde später bei traumhaften Sashimi- und Nigiri-Kreationen.
Info Sonne-Mond-See
Anreise
Eva Air fliegt mit dem Dreamliner Boeing 787-9 viermal in der Woche von München nach Taipei. Tickets ab 750 Euro. Economy-Kunden dürfen kostenlos zweimal 23 Kilo Gepäck einchecken, da kann man also auch das eigene Rad mitnehmen. Von Frankfurt aus fliegt die taiwanesische Gesellschaft China Airlines sechsmal pro Woche nach Taipei.
Vom Flughafen sind es rund 250 Kilometer im Mietwagen. Wer das Umsteigen nicht scheut, nimmt die Taiwan High Speed Rail nach Taichung und von dort den Sun Moon Lake Tourist Shuttle E-Bus
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