Die Mongolei ist ein Land extremer Kontraste. Nach ein paar Tagen in der neuerdings hippen Hauptstadt fühlt die Steppe sich umso surrealer an
Dschingis Khan ist überall. Am ersten Tag in Ulaanbaatar fühlt man sich an Orwells „Großen Bruder“ erinnert. Als hätte der legendäre Mongolenherrscher nach 800 Jahren Pause gerade seine zweite Amtszeit angetreten: Seinem Gesicht mit dem langen, weißen Bart kann man nicht entkommen. In manchen Darstellungen erinnert er dabei an den freundlichen Scheinriesen bei Jim Knopf. Meist aber fixiert er mit ernster Miene und buschigen Augenbrauen von Plakaten, Keksschachteln und Wodkaflaschen aus den Betrachter.
Heldenkult der Mongolei: Dschingis Khan ist überall
Oder als Schnitzfigur im Souvenirladen und, besonders imposant, als Messingkoloss vor dem Regierungspalast. Dorthin gelangt man durch den hübschen Dschingis-Khan-Park, danach weiter über den riesigen Dschingis-Khan-Platz, wo man am Nachmittag kleinen Rotznasen in winzigen Elektro-BMW und -Mercedes ausweichen muss. Die Kinder-Scooter sind neben dem berühmtesten Mongolen aller Zeiten die Hauptattraktion auf dem absurd überdimensionierten Platz.
Für sich allein hat man die Statue allerdings selten, denn kaum ist die eine Hochzeitsgesellschaft weg, bremst an der Straße am Platz schon die nächste Stretch-Limousine, diesmal der Marke Hummer. Dahinter parkt die Blechkarawane der Hochzeitsgäste. Dann eilen alle hastig zum Steppenfürsten, der es sich breitbeinig auf seinem Jurtenthron bequem gemacht hat und mit leichtem Silberblick seine Betrachter mustert. Das Gruppenfoto unterm All-Time-Hero ist für Frischvermählte in der Mongolei Pflicht.
Bunt gemischt wie die Hochzeitgesellschaft auf dem Dschingis-Khan-Platz präsentiert sich die Stadt als Mix aus mongolischen Welten, die irgendwie nicht zusammenpassen wollen: Unterm Denkmal für Revolutionsheld Süchbaatar sitzen Männer in staubigspeckigen Wollmänteln, die nach einer langen Reise durch die Steppe aussehen. Daneben machen junge Frauen Selfies von sich und den prallen Einkaufstaschen, die sie gerade aus der Designer-Mall im neuen Central Tower geschleppt haben.
Kontraste: Mönche vor dem „Hugo Boss“-Laden
Vor dessen Eingang, am „Hugo Boss“-Laden, sitzen buddhistische Mönche unter einem Baum über ihren Smartphones. Das neue Hochhaus stellt sogar den riesigen Dschingis-Khan-Platz buchstäblich in den Schatten. Und der verspiegelte Bau des neuen „Blue Sky“-Hotels auch, wie der des neuen Hotels „Shangri-La“. Ulaanbaatar boomt, was unter anderem am Geld aus den frisch angezapften Kohle-, Gold- und Kupferminen in der Mongolei liegt.
Nur in angehenden Olympiastädten sieht man mehr Baukräne. Südlich vom Dschingis-Khan-Platz ist in wenigen Jahren eine Skyline entstanden, in der sich die Pagodendächer des Tschoidschin-Tempel mickrig ausnehmen. Der Kontrast zum Landleben, das wir in den nächsten Tagen kennenlernen, könnte größer nicht sein.
Gorchi-Tereldsch: Traumlandschaft und Ziegenmilchschnaps
„Also, vom Schaf essen wir eigentlich alles. Außer das Fell!“ Frau Batchuluun lächelt, reibt sich die drallen Wangen, die ganz rosig sind von der gesunden Landluft und auch vor Verlegenheit – Fremde sind selten zu Besuch in der Familienjurte! Eines ist aber mal klar: Vegetarier wie ich haben es jenseits von Ulaanbaatar nicht leicht in der Mongolei.
Und für die fleischlosen Alternativen muss man eine Menge Appetit mitbringen, um Geschmack und Konsistenz zu ertragen. Aaruul etwa – getrocknete, bittere Quarkstücke. Oder Ziegenmilchschnaps, mit dem Aroma von verschwitzen T-Shirts. Zum Glück befüllt unsere Gastgeberin zur Mittagspause einige Teigtaschen – Buuz genannt – mit Gemüse statt Schaf-Allerlei. Buuz ist die Lieblingsmahlzeit der Nomaden.
Riesenland Mongolei: Platz für fünf Deutschlands
Und auch der Familienhund, riesig wie ein Bär, wedelt draußen am Zelteingang schon aufgeregt mit dem buschigen Schwanz. Von den drei Millionen Mongolen lebt rund die Hälfte in der Hauptstadt, der Rest verteilt sich gleichmäßig auf ein Land, das fast fünfmal so groß ist wie Deutschland. Und oft so surreal schön wie die Heimat von Familie Batchuluun, der Gorchi-Tereldsch-Nationalpark.
Knapp zwei Stunden nur sind wir rausgefahren aus dem weiten Tal von Ulaanbaatar oder „UB“, wie sie hier liebevoll ihre Hauptstadt nennen, über einen flachen Bergkamm und ein Stück durch die Steppe. Und sind nun umgeben von einer äußerst bizarren Landschaft. Wie Inseln ragen runde Felsen aus dem hügeligen Grasland und Baumgruppen aus Lärchen darauf wirken von Weitem betrachtet wie Wäldchen aus Bonsaibäumen. Für mongolische Verhältnisse leben die Batchuluuns dicht gedrängt, der nächste Nachbar ist 500 Meter entfernt.
Nomaden in der Mongolei: Satellitenschüssel und Pick-up
Oft ist der weiße Minifleck, den so eine Jurte in die Unermesslichkeit der grünen Grasweiten tupft, beim 360-Grad-Rundblick der einzige Bezugspunkt fürs Auge. Obwohl sie sich auf dem Land fast alle Nomaden nennen, haben die meisten das Umherziehen auf der Suche nach dem saftigsten Weideland längst aufgegeben und sich dauerhaft eingerichtet im Ger, so das mongolische Wort für Jurte. Satellitenschüssel, TV und Solarzellen gehören fast immer dazu. Die große Mehrheit der Landbewohner zieht das traditionelle Rundzelt noch immer richtigen Häusern vor.
Sogar viele Außenbezirke Ulaanbaatars bestehen aus Ger-Siedlungen. Ist aber auch verdammt gemütlich und mit nur drei Schritten ist man von der Küchenzeile am Bett. Und statt mit Yaks oder Kamelen zum Verwandtenbesuch zu reiten, nimmt man lieber das Motorrad, wenn das Geld aus der Viehzucht nicht zum Pick-up reicht. Am Nachmittag schauen wir in einem Talschluss des Gorchi-Tereldsch-Nationalparks das gleichnamige Kloster an. Über eine Hängebrücke und eine steile Treppe gelangt man hinauf zum Heiligtum, das jüngst frisch renoviert worden ist.
Religion: Schamanismus und Buddhismus
So wie das neue Nationalbewusstsein erleben auch die Religionen ein Comeback und nicht nur die buddhistischen Klöster – das Gandan-Kloster in Ulaanbaatar kann sich vor Pilgern und Betenden gar nicht retten – haben regen Zulauf. Auf Bergrücken und Flussläufen wehen überall im Land bunte Fahnen von aufgeschichteten Steinhäuflein und dreibeinigen Holzgestellen herab. Was an die Gebetsfahnen der Buddhisten Tibets erinnert hat in der Mongolei schamanistische Bewandtnis.
Die Anhänger des Tengrismus, der Urreligion der Mongolen, finden ihre Altäre, eng verbunden mit den Elementen, mitten in der Natur. Und sogar im Schnaps: Vor jedem Schluck werden ein paar Tropfen mit dem Zeigefinger als Opfergabe in Richtung Zeltdecke geschnipst, wo ein Loch den Blick auf den tiefblauen Himmel freigibt.
Es gibt diese besonderen Orte und Momente in diesem Land, die einfach nur archaisch wirken und wo nichts ist, was noch stört, weil es fast nichts gibt außer unendliche Weite. In wenigen Tagen nur sehen wir einige davon, etwa das wilde Orchon-Tal, durch das schon Marco Polo wanderte, der es in der alten Hauptstadt Karakorum so bezaubernd fand, dass er sich erst einmal niederließ.
Mongolei-Gegensätze: Wildpferde und Skyline
Von der alten hölzernen Stadt ist nichts mehr übrig. Nur das im 16. Jahrhundert in der Nähe erbaute Kloster Erdene Dsuu steht noch und gilt als wichtigste buddhistische Pilgerstätte des Landes. Wir fahren in den Chustain-Nuruu-Nationalpark und entdecken auf einem Berg einige der 500 Przewalski-Wildpferde, die dank strenger Schutzprogramme und mit tatkräftiger Unterstützung deutscher Züchter hier heute wieder leben.
All das ist in wenigen Stunden von Ulaanbaatar aus zu erreichen und wirkt doch Welten entfernt von der Skyline der Hauptstadt. Auf dem Weg zurück legen wir einen Stopp ein bei Familie Udwal. Wie viele Mongolen entdecken auch die Udwals begeistert ihre Wurzeln und zeigen Touristen den traditionellen Lebensstil der Yak-Nomaden.
Eigentlich ist ja Vater Timur der Boss, aber die Zügel hat der fünfjährige Bahuduur in der Hand. Den zotteligen Rindviechern, die im Stehen einschlafen, reicht er gerade mal bis zum Po, bringt sie aber spielend leicht auf Trab. Nur beim Aufsteigen muss Papa noch helfen.
Eine große Ziegenherde ist die Haupteinnahmequelle der Udwals. Und auch die spurt beim Anblick der Rotznase. Was er später mal werden will, möchte ich von ihm wissen. „Yak-Nomade“, sagt der Steppen-Steppke trotzig. „Aber ein echter. Papa hat mir erzählt, dass die Leute früher mit den Yaks auf Reisen gingen“ und wirft seinen Yaks einen strengen Blick zu. „Ich will ein richtiger Nomade werden!“
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Mongolei
INFO MONGOLEI
Anreise
Flüge in die Mongolei gibt es ab 850 Euro, etwa mit KLM/Air France, Singapore Airlines oder Lufthansa
Beste Reisezeit
Beste Reisezeit, weil warm und garantiert regenarm, ist der Sommer. Mongolen schauen sich ihr Land allerdings am liebsten im späten Frühling an, wenn die Steppe blüht.
Veranstalter
15 Tage ist man bei der Reise “Land des blauen Himmels“ von Hauser Exkursionen unterwegs. Dabei stehen auch leichte Wanderungen auf dem Programm; ab 2.778 Euro. Die Mongolei in einem Zug kann man in der Transsib erleben. Lernidee-Erlebnisreisen hat Touren mit dem Sonderzug „Zarengold“ im Programm, z.B. ab/bis Moskau, 17 Tage, 5.130 Euro.
Covid 19
Covid 19 hat weiterhin Einschränkungen im internationalen Luft- und Reiseverkehr und bei Einreisen weltweit zur Folge. Achtet bitte deshalb unbedingt auf die aktuellen Reiseinformationen des Auswärtigen Amts unter auswaertiges-amt.de