Kyoto im Herbst, was für ein Spektakel! Explodiert das Laub der Ahorn- und Gingkobäume in allen denkbaren Rot-, Gelb- und Orangetönen, bläst Japan zur Rote-Blätter-Jagd „Momijigari“
Keine Ahnung, wie viele Japaner, Koreaner, Chinesen und Amerikaner Kyoto zum Indian Summer jeden Tag fluten. Aber es müssen Hunderttausende sein. Die Vorzeigestücke unter den insgesamt 300 Schreinen und 1.600 Tempeln der alten Kaiserstadt sind rund um die Uhr überlaufen. An einigen Tempel wie dem Eikan-dō Zenrin-ji oder dem Nanzen-ji werden die herbstbunten Bäume nachts illuminiert. Dann kann man nochmals nach Herzenslust Schlange stehen, um „Rot zu sehen“.
#1 Raus aus Kyoto: Adashino Nenbutsu-ji
Der erste Tag. Was tun? Sparen Sie sich die Very Important Temples für später auf. Es gibt keinen besseren und schöneren Auftakt als den Besuch des Tempels Adashino Nenbutsu-ji in Arashiyama, 25 Bahnminuten westlich vom Stadtzentrum. Er ist viel schöner, deutlich kleiner, ungewöhnlicher und mit tollerem Blick auf die Stadt gelegen als seine 1.599 Konkurrenten. Man erreicht ihn in rund 30 Minuten Fußmarsch vom berühmten Sagano Bamboo Grove über die Saga Toriimoto Street, die von traditionellen Holzhäusern gesäumt ist.
Über 8.000 Buddhasteine stehen im Garten des Tempels, dahinter wiegt sich ein kleiner Bambuswald im Wind. Kontemplativer kann der Kyoto-Aufenthalt nicht starten. Zumal die Bäume der Umgebung und im Tempelbezirk beim Wettbewerb „Wer treibt’s bunter“ weit vorn mitmischen. Zehn Gehminuten weiter liegt der Tempel Otagi Nenbutsu-ji mit 1.200 Raka-Statuen.
Wer den ganzen Tag in Arashiyama verbringen will, schaut noch beim sehenswerten Zen-Tempel Tenryū-ji und der populären Togetsukyō Bridge vorbei. Im Sommer können Besucher beobachten, wie auf dem Fluss Hozu mit dressierten Kormoranen gefischt wird.
Die erste Nacht bucht man sich am besten im „Kyoto Arashiyama Onsen Ryokan Togetsutei“ unweit der Togetsukyō Bridge ein. Für eines der 25 Tatami-Zimmer, in denen man auf Futons schläft, zahlt man pro Nacht ab 370 Euro pro Kopf inklusive Onsen-Nutzung und Halbpension mit klassischem Kaiseki-Dinner und japanischem Frühstück. Arashiyama erreicht man in 25 Bahn-Minuten von der Kyoto Main Station, Ausstieg in der JR-Station Saga Arashiyama.
#2 Rein ins pralle Leben
Entspannt? Erholt? Beseelt? Dann geht es vom Tempel Adashino Nenbutsu-ji wieder den Berg runter und einmal durch den Bambuswald Sagano Bamboo Grove, eine der bekanntesten Sehenswürdigkeiten von Kyoto. Am besten nachmittags, wenn die biegsamen, hohen Bambusstämme beleuchtet sind und die Besuchermassen ein wenig nachlassen.
Staunen, spazieren – und nochmals Luft holen. Dann zurück ins Zentrum von Kyoto und ein wenig durchs Altstadtviertel Higashiyama bummeln. Schöner kann man Japan im Herbst nicht erleben!
Hunger bekommen? Würzige Hühnerspieße gibt es im kleinen, gemütlichen „Yakitori Tarokichi“ in Gion. Das Grilllokal liegt rund 150 Meter von der Station Gion-Shijo. Die Spieße mit saftig-zartem Hühnerfleisch kosten 160 bis 240 Yen, dazu gibt’s Bier oder Sake. Unser Tipp: Yakitori mit Rote-Bohnen-Paste und Wasabi.
#3 Zeit für eine Bergtour: Fushimi Inari
Der Fushimi Inari Taisha ist ein wichtiger Shinto-Schrein im südlichen Teil Kyotos. Hauptattraktion und eine der weltweit bekannten Sehenswürdigkeiten. Der Weg Senbon Torii zum Gipfel des 233 Meter hohen Mount Inari führt unter Tausenden von zinnoberroten, mit Kalligrafien verzierten hölzernen Torii-Toren hindurch.
Auf den ersten 300 bis 400 Metern bis zur Plattform Okusha Hohaisho mit ihren berühmten Steinlaternen und weiter bis zum Teich Kodamagaike geht es im Tippelschritt dicht gedrängt voran – für Besucher mit einschlägigen Psychosen ein Horrortrip. Wer Kondition hat und Zeit mitbringt, hat den Rest des Wegs zum Gipfel fast für sich.
#4 Menbakaichidai: Japans heißeste Nudel
Auf den ersten Blick wirkt das Lokal „Fire Ramen Menbakaichidai“ nördlich der Burg dunkel, fettig und abgerissen. Auf den zweiten Blick ist es das auch. Vor Beginn der pyromanen Pasta-Show bemüht sich der grimmig dreinblickende Chef Masamichi Miyazawa (der verblüffend dem Kabarettisten Wilfried Schickler ähnelt), den Gästen Angst zu machen.
„Abstand halten!“ „Hände hinter den Rücken!“ „Keine Fotos!“ Dann bereitet er zusammen mit seinem Assistenten die Green Onion Ramen in einer riesigen Feuerwolke zu: Die Nudeln werden mit brennendem Öl flambiert. Dabei geht es heiß, wild und ölig zu. Der Geschmacksgewinn rechtfertigt den Aufwand und die Kosten von 1.250 Yen zwar nicht, aber die Show ist schon eine Nummer.
#5 Nishiki Ichiba: Fugo, Bohnen, Luxus-Pilze
Den Nishiki-Markt muss man sehen, es ist der lustbetonte Bauch der Stadt. Über 100 Shops und Lokale liefern genügend Stoff für zwei, drei Stunden Bummeln, Verkosten und Staunen. Man kann zusehen, wie Tofu hergestellt wird, oder Shibori Kuramame, delikat geröstete Black Beans, knabbern. Die werden zu Apothekenpreisen verkauft: 8 Euro für 80 Gramm.
Man sieht echten Wasabi und dazugehörige Haifischhaut-Wasabihobel, feinste Tees, hochwertige Messer von Aritsugu, Yaki Mochi mit Rote-Bohnen-Paste oder in Sake marinierte Fugoflossen für 130 Euro – der Markt bietet alles!
Yakitori Tarokichi“ in Gion.
#6 Burg Nijo-jo: Des Shoguns singender Boden
Eine riesige Gartenanlage im Herzen von Kyoto umgibt den großzügigen, von den Shogunen errichteten Ninomaru-Palast. Dessen Böden wurden aus Angst vor heimlich heranschleichenden Meuchelmördern, die dem Herrscher und seiner Entourage an den Kragen wollten, so verlegt, dass sie bei jedem Schritt und Tritt „singen“ und quietschen. Die Japaner nennen die Dielen Nachtigallenböden. Schmankerl für Buntlaubsucher: die knallgelben Gingkobäume und deren farbenprächtigen Laubteppiche in der weitläufigen Gartenanlage rund um die Burg, die zu den großen Sehenswürdigkeiten in Kyoto zählt.
#7 Ab ins Gedränge: Philosophenweg
Einer der bekanntesten Tempel von ganz Kyoto ist der Ginkaku-ji, auch Jisho-ji genannt. Dieser „Silber-Pavillon“ markiert den Startpunkt des sogenannten Philosophenwegs entlang eines kleinen Baches. Unser Spaziertipp: Abends nach Schließung der Tempel um 17 Uhr ist so gut wie nichts mehr los. Allerdings haben dann auch alle Cafés und Shops entlang des während der Kirschblüte überfüllten Fußwegs geschlossen. Nach gut 20 Minuten erreicht man den Tempel Eikan-dō Zenrin-ji.
Japan im Herbst – und die Leafpeeper drehen durch. Der Tempel Eikan-dō Zenrin-ji zu Füßen der Higashiyama-Berge geht auf das 9. Jahrhundert zurück und wurde nach Zerstörungen im desaströsen Onin-Krieg von 1472 bis 1497 neu erbaut. Er zieht abends die „Leafpeeper“ in Heerscharen an: Sie stehen geduldig Schlange, um das illuminierte Buntlaub zu bestaunen. 700 Meter weiter steht der Nanzen-ji.
Der Haupttempel der Rinzai-Sekte ist einer der bedeutendsten Zen-Tempel Japans und bekannt für seinen kunstvollen Garten. Der akribisch gerechte und geharkte Hojo-Steingarten gilt als ein Höhepunkt meditativer Kieselpflege. Im Schatten des imposanten Holzturms des San-mon Gate stehen sich Leafpeeper abends ebenfalls geduldig die Füße platt.
#9 Kyoto-Genuss: Grüner Tee und teure Kimonos
Maiko-san Tomitsuyu ist eine junge Frau, die sich im vierten Jahr ihrer Ausbildung zur Geisha befindet. Für uns zelebriert sie „Ochaya Asabi“: klassische Teezeremonie, Gesang und Tanz. Die Bewegungsabläufe bei der Teezeremonie Chado sind hyperakurat und extrem ritualisiert.
Wie ein Roboter führt Tomitsuyu, die aus einer Dynastie bekannter Kimono-Hersteller stammt und vor ihrer Ausbildung acht Jahre in Neuseeland lebte, die sorgsamst einstudierten Handgriffe aus. Zum sämigen, fast suppenhaften Tee reicht sie uns süße Snacks – und ein Einblicke in ihren Alltag im „Ochaya Tomikiku“ unweit des Yasaka-Tempels.
„Schon auf der Junior Highschool wusste ich, dass ich Geiko werden will. Die Ausbildung in Tanz, Gesang, Lauten- und Flötenspiel ist hart, die meisten Freundschaften liegen auf Eis. Ich habe im Jahr nur zwei-, dreimal eine Woche Urlaub, nur dann kann ich meine Familie und Freundinnen treffen.“
Handys sind in dem Ochaya im Viertel Gion Higashi verboten, Internet auch. Jeden Tag verbringen die Maikos eine Stunde mit Schminken: „Die aufwendige Frisur wird geschont, indem wir auf einem Holzgestell statt eines Kissens schlafen, immer den Kopf auf der Seite und bewegungslos. Das war zu Beginn ganz schön schmerzhaft.“
#10 Noch ein Tempel: Daitoku-ji
Hohe Mauern umgeben den Tempelkomplex Daitoku-ji, der 22 Bauten aus dem 16. und 17. Jahrhundert umfasst. Von all diesen Sehenswürdigkeiten hat es uns der kleine Kōtō-in besonders angetan. Dort stehen zahlreiche farbenprächtige, kühn gewachsene Ahornbäume.
Japanische Besucher sitzen in dem offenen Raum und starren wie die Zuschauer in einem Theater andächtig auf die bunten Bäume und auf das Laub am Boden. Mit etwas Glück sieht man im Daitoku-ji auch einen Rinzai-Priester mit übergroßem, kastenförmigem Hut und klobigen Schuhen.
Bekannt ist diese Tempelanlage in Kyoto für die kunstvollen Steingärten. Unter denen ist der Daisen-in der bekannteste, gilt er doch als Inbegriff des perfekten Zen-Gartens. Daitoku-ji entwickelte sich im 16. Jahrhundert nach dem Wiederaufbau – der Onin-Krieg hatte den Großteil von Kyoto samt seiner Tempel in Schutt und Asche gelegt – zu einem Zentrum der Teezeremonie und setzte damit ebenfalls landesweit Maßstäbe. Noch heute kann man sich hier einen traditionell zubereiteten feinen Tee servieren lassen, so man die nötige Zeit fürs Warten hat.
#11 Inunaki: Wellness am Bellenden Berg
Ein erschwinglicher Ryokan in zauberhafter Landschaft. Mit schönem Onsen. Nur 30 Minuten vom Flughafen Osaka und 90 Minuten von Kyoto? Den gibt es! Selbst viele Japaner kennen den Mount Inunaki und die Region Izumisano nicht. Unser Tipp für ein authentisches Japan im Herbst-Erlebnis.
Wir verbrachten dort die Nacht vor dem Rückflug im „Fudouguchikan“. Der Ryokan bietet neben netten Tatami-Zimmern und raffiniertem Washoku-Dinner ein richtiges Rotonburo, also ein Open-Air-Bad, mit Thermalwasser vom Mount Inunaki. Die Nacht mit Halbpension für zwei Personen kostet ab 290 Euro. Wer sich mehr Zeit nimmt für den „Bellenden Berg“, der kann in der Umgebung den mehr als 1.300 Jahre alten taoistischen Tempel Shipporyuji besuchen.
Der Mount Inunaki sei, so versichert mir der Chef des Hotels, auch zur Kirschblüte im Frühling und im Winter ein Hit, nicht nur während der Herbstlaubverfärbung. Weiterer Vorteil: Man habe es nicht weit bis nach Osaka, und „das ist ja nun mal die Stadt mit den besten Restaurants ganz Japans“.
Was schamlos übertrieben ist, denn immerhin verzeichnet Tokio allein 13 Restaurants mit drei Sternen, 51 mit zwei Sternen und 153 mit einem Stern. Eines aber stimmt wohl: Die Bewohner von Osaka sind landesweit bekannt als Gourmets und Gourmands, die sich für ihre Leidenschaft ruinieren. Selbstverständlich hält das präzise Japanisch auch dafür ein eigenes Wort bereit: Kuidaore (= Futtere dich in den Bankrott). Klingt so sympathisch, dass ich Osaka ein Jahr später besucht habe!
Lust auf mehr Japan-Themen? Auf nach Tokio und Hokkaido!
Kyoto
INFO KYOTO
Anreise
Ab 549 Euro in unter elf Stunden reiner Flugzeit und mit Zwischenstopp in Helsinki nach Osaka/Kansai International Airport mit Finnair ab 650 Euro. In 90 Minuten mit dem Shuttle Bus oder in 75 Minuten mit dem Zug Limited Express Haruka ins 100 Kilometer entfernte Kyoto.
Unterkünfte
Wer zur Kirschblüte Sakura (Ende März bis Mitte April) oder zur Foliage (Ende Oktober bis Anfang Dezember) nach Kyoto will, der ist gut beraten, seine Unterkunft viele Monate im Voraus zu buchen. Eine große Auswahl an Ryokanen und Guesthouses auf japaneseguesthouses.com