Hauptstadt mit Kleinstadt-Feeling: Vientiane ist wuselig, aber nicht chaotisch. Gelassenheit ist das Karma der Laoten
Punkt vier am Morgen wirft Mak eine große Portion Klebreis in den Topf. Bis der kocht, wickelt er kleine Mangostücke in Zellophan und brutzelt Gemüse. Den Gemüsereis formt er zu handlichen Päckchen und hüllt sie in Bambusblätter. 20 Minuten später rollt Mak eine dünne Bastmatte auf der Khamvongsa Street aus. Rechts von ihm sitzt Lue, links Lueng. Mak zündet eine Kerze an – und wartet.
Es ist noch dunkel in Vientiane, Laos‘ Hauptstadt. Dunkel und still. Dann rollt von Weitem ein harmonisches Summen wie entfernter Donner durch den Morgen. Um die Ecke kommt, einer nach dem anderen, eine Schar Mönche: barfuß, in langen, orangefarbenen Roben, die Blicke ernst.
Morgenritual: Opfergaben an die Mönche
In einer langen Reihe halten die kahl geschorenen Männer vor jedem der Knienden an und strecken ihnen silberne Opferschalen entgegen. Mak, Lue, Lueng und die anderen, die auf Bastmatten am Straßenrand sitzen, lassen ihre Essensgaben langsam in die Töpfe sinken.
Die orangefarbene Mönchskette steht wie perfekt choreografiert vor den Spendern und beginnt einen tiefen Singsang. Mak schließt lächelnd die Augen. „Sai Bath. Segen für die Toten. Als Dank für das Essen“, erklärt Mak.
„Seit ich morgens spende, passiert viel Gutes in meinem Leben“, sagt der 37-Jährige. Er habe einen sicheren Posten an der Universität bekommen, eine günstige Wohnung und sei gesund. Und so beginnt seit zwei Jahren jeder einzelne Tag von Mak mit Klebreis, den er über eine knappe Stunde hinweg an neun Mönchsgruppen verteilt.
Am Mekong-Ufer trifft sich Jung und Alt
Die Laoten lieben nicht nur ihre Mönche. Sie lieben ihre Rituale. Als ich nach der Sai-Bath-Parade gegen sechs zum Mekong-Ufer spaziere, den Klang der Gesänge noch im Ohr, wartet dort eine ganz andere Szenerie. Die lange Promenade am Fluss gleicht einem Outdoor-Fitnessstudio.
Jeden Morgen wird sich in der nächsten Woche das gleiche Spektakel wiederholen: Mit den ersten Sonnenstrahlen walken, joggen, tanzen oder „thai-chien“ die Vientianer hier in den Tag. Alleine, zu zweit oder in größeren Gruppen wird zu laotischer Popmusik, westlichem Techno oder auch traditionellen Weisen gestreckt und gedehnt.
Die Energie der Sportler ist ansteckend. Die ganze Stadt scheint auf den Beinen. Touristen sind kaum darunter, die tauchen erst auf, als die Sonne bereits um acht erahnen lässt, dass der Tag heiß und schwül wird – doch dann ist der Sport-Spuk bereits vorüber.
Die kollektive Bewegungseuphorie, überlegt Singkham Clion, der auch Mr. Sy genannt wird, sei auf der einen Seite „klassisch kommunistisch“, gleichzeitig könne sie als Instrument der Selbstbestimmung gesehen werden. „Ich bevorzuge diese Version“, nickt Mr. Sy mit sarkastischem Grinsen.
Mittagshitze? Lieber Pause machen!
Einen Tag lang wird er Fotograf Thomas Linkel und mich durch die Hauptstadt führen. Und nein, in politische Themen wolle er sich gar nicht erst verfangen. Seit 1975 wird das einstige Königreich Laos von einer marxistischen und kommunistischen Regierung als sozialistischer Staat geführt, das sei nun mal so.
Korruption? „Pfff, eine Geschichte für sich“, winkt Mr. Sy ab. Punkt. Ende der Diskussion. Nur um dann mit einem leichten Seufzen anzufügen, dass die Laoten eben ein genügsames Völkchen seien. So genügsam, dass böse Zungen behaupten, die englische Abkürzung „LPDR“, die für „Lao People’s Democratic Republic“, also den offiziellen Staatsnamen steht, bedeute eigentlich: „Laos: Please Don’t Rush“ (Laos: Bitte keine Eile).
Per Tuktuk durch die Straßen
„Versucht mal, in der Mittagshitze, ein Tuktuk zu bekommen“, sagt Mr. Sy. „Ihr müsst den Fahrer erst aufwecken und dann mit Mangoscheiben bestechen!“ Unser persönlicher Tuktuk-Fahrer, Mr. Lo, sieht zum Glück ausgeschlafen und wohlgenährt aus, die Mittagshitze ist ebenfalls noch ein paar Stunden entfernt.
Und so (tuk-)tuckern wir durch den mitunter verstopften Verkehr der gut 760.000 Einwohner zählenden Stadt in Richtung Wat Si Saket gegenüber dem weiß schimmernden Präsidentenpalast.
Die golden verzierten Dächer der Tempelanlage ragen in den knallblauen Himmel auf, die eigentliche Attraktion sind allerdings die 6.840 Buddhas, die hier in allen Größen in kleinen Wandnischen sitzen oder pompöswuchtig mitten in den Gängen thronen.
Ein ohrenbetäubender, scheppernder Gong hallt durch die Stille der Anlage: Essenzeit. Die Mönche treffen sich für die erste ihrer zwei Mahlzeiten des Tages – gegessen werden nun die Klebreisbällchen von Mak und die süßen Nachspeisen von den anderen Spendern. „Ich war auch mal einer“, sagt Mr. Sy ganz nebenbei. „Ah, echt?“, entfährt es Fotograf Linkel etwas ungläubig. Der dunkle Haarschopf, das gebügelte Hemd, die Bundfaltenhose – Mr. Sy wirkt nicht gerade mönchsgleich.
Unser Guide klopft sich auf den Bauchansatz und lacht: „Damals war ich um einiges dünner, heute kocht meine Frau.“ Es sei aber ganz normal, dass junge Männer und auch kleine Jungen in Laos einer Gemeinschaft beitreten. Nur so könnten sich viele Familien die Schulbildung ihrer Söhne leisten. Die Mönche bekämen Geldspenden von den Einheimischen, das ermögliche den Teenagern die Universität. Knapp 80 Prozent der Laoten sind gläubige Buddhisten, lernen wir.
Tempel an jeder Ecke
Zum Beten, Danken und Traditionenpflegen haben es die Laoten nie weit: An jeder Ecke steht ein Tempel oder Schrein. Zur riesigen goldenen Stupa des Pha That Luang, dem Wahrzeichen der Stadt, pilgern am Morgen und in den Abendstunden Familien wie Mönche, um dreimal um das schimmernde Gebäude zu gehen – auch das bringt Glück.
Wem das nicht reicht, der sollte die knapp 45-minütige Fahrt in den Südosten der Stadt auf sich nehmen und einen Vormittag im Buddha Park verbringen. Der Skulpturengarten ist ein Sammelsurium aus meterhohen Statuen mit skurrilen Fratzen und überdimensionalen Ornamenten.
Nach so viel Buddha-Kultur steht als nächstes Vientianes Kulinarik auf dem Plan. Neben den zahlreichen Food Markets und Straßenbuden hat sich das kleine „Sernder Restaurant“ zu unserem Lieblingsrestaurant entwickelt.
Hier gibt es das beste Lao Laap, eine Mischung aus Schweinehack, Kerbel, Frühlingszwiebeln, Gewürzen und Reis. Wie oft in den Seitengassen wird direkt aus der eigenen Familienküche heraus gekocht, in der offenen Garage sind ein paar Plastikstühle aufgestellt – fertig ist der Schnellimbiss.
Die Hipster-Kultur lebt!
Doch Vientiane kann auch anders, cooler und stylischer. Ein Gang entlang der Rue Setthathirath oder auch der Rue Samsenthai zeigt: Die Hipster-Kultur ist längst im sonst etwas verschlafen wirkenden Städtchen angekommen.
Der Sog des modernen, durchdesignten Westens ist in den niedlichen Shops wie „Patu Xay“, den schimmernden Bars rund um die Nam Phou Fountain und in den prall gefüllten Trend-Restaurants wie „Sputnik Burger“ oder lässig dekorierten Boutiquehotels spürbar.
Gleichzeitig hat Vientiane es geschafft, seine Traditionen nicht aus den Augen zu verlieren. Auf den Speisekarten finden sich immer ein paar laotische Leckereien, gerne scharf, immer würzig. Die Accessoires und Mitbringsel in Boutiquen wie dem „Les Artisans Lao“ oder „Saoban“ basieren auf natürlichen, heimischen Zutaten und Materialien – hergestellt in Handarbeit.
Auch bei Carol Cassidy’s Lao Textiles verschmelzen die traditionellen Techniken mit modernen, schicken Schnitten. In ihrem Workshop und der angrenzenden Galerie kann man laotischen Künstlern beim Weben eleganter Schals oder Teppiche zusehen.
Vientianes Jugend mixt Tradition mit Moderne
Der eklektische Mode-Mix der Jugend tummelt sich dann am Abend in lässigen Bars wie dem „Earth“. Man kombiniert westliche Marken-T-Shirts, bunte Sneakers oder hohe Sandaletten mit dem Sinh, dem traditionellen, knöchellangen Wickelrock. Cool balanciert man ein Beerlao in der einen und einen Caramel Latte aus dem gemütlichen „Comma Coffee“ oder dem artsy „Little House Vientiane“ in der anderen Hand.
Der Einfluss der französischen Kolonialherrschaft ist heute noch spürbar – in den Straßennamen, beim Essen und dem abendlichen Freizeitsport der Herren, dem Boule. Auf dem Night Market entlang der Rue Hanoi kaufen Einheimische und neugierige Touristen gegrillten salzigen Fisch, Suppen in To-go-Tütchen oder auch geröstete Frösche am Spieß.
Der Tag beginnt und endet am Mekong
Die oft belächelte Gelassenheit der Laoten hat eine beruhigende Wirkung. Vientiane schockt nicht wie eine der vielen hektischen asiatischen Metropolen mit lautem Chaos, sondern hat den gemütlichen Charme einer Kleinstadt. Und wie auf Zuruf scheint es am Abend alle – nach einer weiteren Spendenrunde für das Dinner der Mönche – wieder dahin zu ziehen, wo der Tag begonnen hat: ans Ufer des Mekong.
Lust auf noch mehr Südostasien bekommen? Wie wäre es mit einem Stopover in Singapur oder einem Insel-Aufenthalt in der Andamanensee
Vientiane
INFO VIENTIANE
Anreise
Am einfachsten erreicht man die laotische Hauptstadt von Bangkok aus. Tgl. mehrere Flüge mit Bangkok Airways oder Thai Airways.
Schlafen
Hotel Ansara
Eine schicke Oase mitten im Stadtzentrum: Im weißen Gebäude im Kolonialstil ist die Rezeption sowie ein feines Restaurant untergebracht, die lichtdurchfluteten Zimmer warten in kleinen Villen um den Pool. Hotel Ansara