Dornröschen auf italienisch? Heißt Asmara und schlummert ausgerechnet am Horn von Afrika vor sich hin. Zeitreise zu einer Perle des Modernismo
Abessinische Marmorlöwen wachen wie scharfe Hunde zwischen Leinwand und Zuschauerraum. Die römischen Fasces-Rutenbündel, von denen sich das Wort Faschismus ableitet, haben sich in orientalische Palmwedel-Packen verwandelt. Eigentlich hatte der italienische Architekt Mario Messina das elegante Cinema Impero noch viel gewaltiger angedacht: für 1.800 Menschen und mit drei Geschossen.
Filmreifes Cinema Impero
Aber Eindruck schindet es auch 90 Jahre später. In den oberen Rängen des dämmrigen Kinosaals gurren Tauben, und nach Beendigung der Kino-Führung schmerzen die Augen. Das hat mit Eritreas grellem Licht und dem knallblauen Himmel zu tun, mit der Höhe von 2.325 Metern, aber vor allem mit der Hauptstadt Asmara selbst.
Faschismus plus Futurismus
Nur wenige Orte weltweit können mit einem ähnlich geschlossenen Ensemble an futuristischen Bauten aufwarten, die binnen weniger Jahre und im kreativen Rausch der 1930er-Jahre aus dem Hochlandboden gestampft wurden. Dabei verband sich mit der radikalen Vision einer faschistischen Stadtplanung vor allem Kalkül. Dem Bau von Kinos fiel dabei eine besondere Rolle zu. Synchron mit Hollywood war das Medium Film vor dem Zweiten Weltkrieg das Propagandamittel schlechthin.
Mussolinis Showcase
Zur echten Stadt wurde der Flecken erst ab 1889, als die italienischen Kolonialherren dort einen Militärstützpunkt errichteten und Asmara 1900 zur Hauptstadt Eritreas machten. Dann kam der Duce. Mussolini, der bereits 1922 fest im Sattel saß, veränderte Rom, das bis heute seine monumentalen Wunden leckt, bekanntlich mit der Spitzhacke. Für Asmara lautete der Plan des Diktators: Afrika-Showcase im kolonialen Wettbewerb.
Dafür sorgte eine Unzahl an jungen italienischen Architetti und Ingenieri, die dem verschlafenen Militärposten im entlegenen Hochland zwischen 1935 bis 1941 futuristische Fabrikgebäude, mondäne Kinos und Bars bescherten, rationalistische Villen, Boulevards, Tankstellen und monumentale Verwaltungsgebäude, die Architektur-Fans in die Knie gehen lassen. Das Heck eines dieser, am Asphalt gestrandeten Ozeandampfer, birgt eine berühmte Bar: Die „Bar Zilli“. Schiebt man sich durch ihre Drehtür, so katapultiert man sich ein knappes Jahrhundert zurück.
Modernismus-Ikone: Fiat Tagliero
Modernistische Eleganz im Stil der „architettura razionale“, kombiniert mit dem morbiden Charme des Verfalls – und lange Zeit off limits. Das chronisch isolierte Asmara beherbergt eines der größten erhaltenen Ensembles moderner europäischer Architektur, vergleichbar mit gehypten Szene-Locations wie der Art-déco-Perle Miami South Beach, der Bauhaus-Beauty Tel Aviv oder dem nicht ganz so gut bekannten Architektur-Tipp Tanger. Dabei standen diese Bauten für ungehemmte Fortschrittsgläubigkeit.
So wundert es kaum, dass Asmaras berühmtestes Wahrzeichen ausgerechnet eine Tankstelle ist. Die Story der 1938 errichteten “Fiat Tagliero” lautete: Jetzt tanken hier Autos. Aber die Zukunft gehörte der Luftfahrt, auch wenn das umliegende Stadtviertel den Namen Alfa Romeo erhielt. Daran erinnern bis heute gespreizte Betonflügel mit 30 Meter Spannbreite.
Vor allem aber staunt man über feine Marmortreppen und Handläufe im Stil von Ozeanriesen, über feine Terrazzoböden, konstruktivistisches Fliesen-Dekor und radikal geometrisch geschnittene Fensteröffnungen. Kurz: über das ganze Arsenal der Moderne, aber ausgebreitet mit der für Italien typischen Passion und dem besonderen Auge fürs schöne Detail.
Ein Hauch von Don Camillo & Peppone
So spielt Asmara gleich die nächste Stärke aus, mutiert zum Zeitreiseziel der Extraklasse: Kellnerinnen in altmodischen Kostümen sind hier im Einsatz. Lokale wie die „Bar Zilli“ oder das “Bistro Alba” könnten mühelos aus „Don Camillo & Peppone“ stammen, jener Welt, in der viele Männer noch weiche Fedora-Filzhüte trugen und sich die Gastronomie so spartanisch und ehrlich anfühlte wie ein großer Teller Spaghetti al burro e parmigiano mit sonst nichts darauf!
Zeitreise durch Bars und Caffés
Es sind Bar-Oasen, die italophile Nostalgiker nicht hoch genug schätzen könnten. Im grandiosen „Bistro Alba“ in der Asmara Street glänzen kugelförmige Zuckerdosen und zylindrische Eiswaffel-Behälter. Sie liegt gleich neben der „Bar Posta“ mit den Herz-Karo-Pik-Treff-Schnitzwerk am Tresen und nicht allzu weit von der „American Bar“. Hier sind wir bereits auf Asmaras Hauptstraße gelandet, der Harnet Avenue, die früher mal Viale Mussolini hieß und eigentlich nur eine zum Boulevard aufgeblähte Dorfstraße ist.
Campanile am Horn von Afrika
Asmara ist überschaubar, leicht zu Fuß auszuloten und lockt dabei mit immer neuen Einladungen zum schnellen Macchiato plus süßer Sünde. Da wäre die fantastische „Bar Crispi“ in der Denden Street. Die süßen, knusprigen Palmblätter und Eclairs im „Cake Cafe“ hinter dem Cinema Impero.
In dieselbe Kerbe schlägt der 1923 nach normannisch-lombardischem Vorbild errichtete, rote Campanile der katholischen Kathedrale Beata Vergine del Rosario, die neben dicken Dattelpalmen auftaucht. Oder als Spiegelung in der Auslage des Schuhgeschäfts der Familie Negusse, die ab 1971 dort weitermachte, wo die Italiener 30 Jahre zuvor, nach der Vertreibung durch britische Besatzer im Jahre 1941, aufgehört hatten.
Originale 50er Bowling-Bahn
Immer wieder mal schaute die Weltpolitik bei der schlafenden Schönheit Asmara vorbei. Etwa in Form amerikanischer Soldaten, die 1943 den italienischen Seefunk „Radio Marina“ übernommen und zur eigenen Funkstation ausgebaut haben. Besser ist aber Bowling Alley, ein wahres Kleinod: Vermutlich handelt es sich um die letzte, unverändert gebliebene 1950er-Jahre-Bowlingbahn weltweit, mit flotten Kugelrampen, die ein wenig an die vorne abgeschrägten Streamliner aus jener fernen Zeit erinnern.
Nicht alles ist dolce vita
Trister ist die politische Gegenwart. Die Kollegen von „Lonely Planet“ vergleichen das 6 Millionen Einwohner zählende Land, das erst 1991 unabhängig wurde, gar mit Nordkorea. Besonders verhangen: die Aussichten für Menschenrechte und Wirtschaft. Ein Blick in Asmaras Vorstadt verleiht weitere Einblicke. Dort liegt der Tank Graveyard, noch so eine bizarre Sehenswürdigkeit dieses exzentrischen Reiseziels.
In vielen rostigen Schichten übereinander gestapelte Militärtransporter mit und ohne Camouflage-Look. Aber auch Kinder die nun mit Lederkugeln ballern. Auch auf ihnen ruht die Hoffnung des Landes.
Lust auf mehr Afrika bekommen oder lieber Städteporträts aus Japan oder USA?
Asmara
INFO ASMARA
Einreise
Das Visum muss vor der Ankunft besorgt werden. Botschaft Eritrea, Berlin: www.botschaft-eritrea.de Achtung: Bis zu 30 Tage Wartezeit! Bei Einreise aus Anrainerstaaten wie Äthiopien Gelbfieber-Impfung vorgeschrieben.
Hotel-Tipp
Asmaras ältestes Hotel wurde 1899 eröffnet und 2004 generalsaniert. Der an der 13 Nakfa Avenue، Shegali St gelegene Albergo Italia Asmara bietet sechs Zimmerkategorien mit antiker Ausstattung. Definitiv das feinste Boutiquehotel des Landes.
Restaurant-Tipp für Asmara
Das terrassierte Gartenlokal Ghibabo Pizzeria & Restaurant an der Beleza Str. 175-4 hinter dem Asmara Theater gilt als Lieblingsadresse ansässiger Diplomaten und zählt zu den feinsten Lokalen des Landes.
Covid-19
Covid 19 hat weiterhin Einschränkungen im internationalen Luft- und Reiseverkehr und bei Einreisen weltweit zur Folge. Achtet bitte deshalb unbedingt auf die aktuellen Reiseinformationen des Auswärtigen Amts unter
auswaertiges-amt.de