Wer mit dem Hausboot auf dem Canal du Centre unterwegs ist, erlebt weltberühmte Weingüter, idyllische Landschaften und französisches Lebensgefühl
Sind das weiße Tauben? Oder Möwen? Hunderte Vögel kreisen über dem Canal du Centre, auf dem wir mit unserem Hausboot gerade durchs Burgund schippern. Gegen die Frühlingssonne sind sie schwarze Schatten, mit dem Licht gleißen sie wie geflügelte Edelsteine.
Mit unserem Hauboot „Loisy“, Modell „Pénichette Flying Bridge“, tuckern wir seit vier Tagen zwischen blühenden Rapsfeldern, sanft gewellten Weinbergen, stillen Dörfern und Kleinstädten durch das berühmte französische Weinbaugebiet. Unsere Fahrräder stehen auf dem Vordeck, in ihren Körbchen transportieren wir Weinflaschen und Crémant, die wir bei Weinproben in Châteaus abstauben.
Mit Baguettes und Croissants aufs Hausboot
Wenn wir genug vom burgundischen Landleben haben, kaufen wir in der nächsten Boulangerie noch schnell Baguettes, Croissants, Brioche und knusprige Flûte und verschwinden dann mit halber Kraft unseres Hausbootes hinter der nächsten Kanalschleife.
Früher harte Arbeit, heute Entschleunigung
So ein französisches Hausboot entschleunigt schon beim ersten Kennenlernen: Péniche wurden früher die Lastkähne auf den Kanälen genannt, die im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert über die Kanäle und Flüsse Frankreichs dampften, beladen mit Eisenerz, Kohle und Getreide. Diese Lastkähne waren nicht auf Tempo ausgelegt, sondern sollten ihre Ladung sicher transportieren, genauso wie unsere Pénichette, übersetzt „Lastkähnchen“.
Hausboot statt Speedboat
Und deshalb sieht unser Hausboot auch nicht wie ein schnittiges Speedboat aus, sondern kommt breit und gemütlich daher. Und, ganz wichtig, der Seitenrumpf unseres Hausbootes ist rundherum mit dicken Hartgummipollern ausgestattet. Wenn man so mag, Schutzröllchen, die die „Loisy“ vor Beulen und Schrammen durch schlecht einparkende FreizeitkapitänInnen bewahren. Fahren darf man das Hausboot nämlich ohne Führerschein, die Höchstgeschwindigkeit ist auf 10 km/h gedrosselt.
In der Hochzeit der Flussschifferei, zwischen Erstem und Zweitem Weltkrieg, fuhren täglich mehrere Dutzend Lastkähne auf dem 112 Kilometer langen Canal du Centre quer durch das Burgund. Gebaut wurde er zwischen 1784 und 1792, und nicht einmal die Französische Revolution stoppte den Bau.
Schiffbare Verbindung von Nord- nach Südfrankreich
Vermutlich hatten auch die Revolutionäre den Vorteil erkannt, Waren per Schiff von der Loire zur Saône zu transportieren. Mit der Eröffnung des Canal du Centre war es endlich möglich, vom Atlantik und der Loire bis zum Mittelmeer zu fahren, denn die Saône mündet in die Rhône und die fließt nicht weit von Marseille ins Mittelmeer.
Wir haben keinen Ehrgeiz, Strecke zu machen, vielmehr lassen wir in aller Langsamkeit des Gleitens das Burgund an uns vorüberziehen. Die efeuüberwucherten Überreste der aus dem 11. Jahrhundert stammenden L`eglise de La Loyère ziehen an uns genauso vorbei wie die Weingüter von Rully. Ein Jogger am Ufer überholt uns genauso wie eine radelnde ältere Dame im bunten Kopftuch. Nichts hetzt uns und wenn wir ein wenig den Gashebel nach vorne drücken, dann stoppt uns bestimmt die nächste Schleuse gleich hinter den tief ins Wasser hängenden Weiden.
Mit dem Hausboot zum Schleusen
Denn Schleusen, das ist ein ganz eigenes Thema, wenn man mit dem Hausboot auf dem Canal du Centre unterwegs ist: Auf 112 Kilometern sorgen 61 Schleusen für erstens ein beinahe stehendes Gewässer und zweitens eine zusätzliche Entschleunigung. Wer mit seinem Hausboot nur vorankommen will, der sollte sich ein anderes Revier aussuchen.
Bootseinführung: Ein Muss für Alle
Wie man schleust, lernt man übrigens gleich während der Bootseinführung durch die Basisleitung am Anreisetag. Je nachdem, wie man sich anstellt, wie viele Fragen man hat oder wie oft man schon ein Hausboot gesteuert hat, dauert die Bootseinführung zwischen 20 und 90 Minuten.
Alle Lenkmanöver werden erklärt und gezeigt, das An- und Ablegen genauso wie das sichere Vertäuen des Hausboots und die Nutzung von Schleusen. Manche der Schleusen auf dem Canal du Centre werden von einem Schleusenwärter bedient, manche bedient man selbst.
Schleusen: Selbst Hand anlegen
Hört sich für AnfängerInnen vielleicht schwieriger an, als es ist. Meistens hängt eine Art Seil an der Steuereinheit der Schleuse, und sobald man daran zieht, wird der Schleusenmechanismus in Gang gesetzt, die Schleusentore schließen sich, anschließend wird Wasser abgelassen oder hineingepumpt.
Damit das Hausboot in der Schleusenkammer nicht umherdriftet, befestigt man es locker am Schleusenrand.
Welche Vertäuungsmöglichkeiten es gibt, wird bei der Einführung ausgiebig gezeigt. Zu dieser Lerneinheit gehört auch, dass man selbst ans Ruder geht, die Steuerung ausprobiert und das Hausboot selbst sicher am Ufer befestigt. Alles keine Raketenwissenschaft, aber wenn man dann das erste Mal alleine lostuckert, ist man schon ein wenig aufgeregt.
Canal du Centre: Farbspektakel am Himmel
Wir übernahmen unser Hausboot in Saint-Léger-sur-Dheune, einem unspektakulären Dorf im Burgund. Spektakulär wurde es aber dann doch, als ein farbensprühender Sonnenuntergang uns beim Abendessen störte.
Dieses ließen wir uns vom örtlichen „Restaurant le Marchand“ liefern und wurden überrascht von Rillettes de truite au citron, Gratin dauphinois und, im Burgund wohl selbstverständlich, zartem Boeuf Bourguignon.
Mit der Hausbootbuchung erhält man ein Handbuch mit Fahrzeiten, Häfen, Kilometerangaben, Schleusendetails und Infos zu Orten inkl. Weingütern, Einkaufsmöglichkeiten und Lokalen entlang der Route. Jedes Hausboot verfügt über eine vollausgestattete Küche, und bevor wir am nächsten Tag aufbrachen, versorgten wir uns im örtlichen Supermarkt mit allem Nötigen für unsere Hausbootfahrt.
Hausboot auf Französisch: Café au lait an Bord
Mit einem Café au lait an Deck verließen wir danach den Hafen von Saint-Léger-sur-Dheune und glitten durch den kühlen Morgen. Ein paar Enten flatterten vor unserem Bug auf und verschwanden ärgerlich schimpfend in der Morgensonne, in einem Garten klopfte jemand einen Teppich aus.
Das Besondere an unserem Hausboot-Modell „Pénichette Flying Bridge“ ist der zweite Steuerstand oben an Deck, die Flying Bridge. Für Fahrten bei gutem Wetter die bessere Wahl, an Deck steuernd sieht man mehr von der Umgebung als unten von der Kabine aus, tut sich mit dem Steuern allgemein leichter und spürt den sanften Fahrtwind auf der Haut.
Zwei gemütliche Fahrstunden und vier Schleusen später tauchten die Weinberge von Santenay auf. Zeit, zumindest etwas in die Weinbaukultur des Burgunds einzutauchen. Nicht weit vom Château de Santenay schlugen wir deshalb zwei Stahlpflöcke in die Uferböschung und vertäuten daran die „Loisy“.
Diese Stahlpflöcke ermöglichen es, irgendwo an der Strecke anzuhalten. Übrigens ist es nur in Frankreich erlaubt, auch die Nacht auf dem Hausboot außerhalb eines Hafens zu verbringen, kein anderes Revier in Europa bietet diese Möglichkeit.
Mit dem Hausboot zu den Weingütern des Burgunds
Wer sich das Burgund als Bootsrevier aussucht, wird vermutlich auch an Wein interessiert sein, immerhin genießt die Region dafür einen einzigartigen Ruf. 90 Prozent der Weinberge sind mit Pinot Noir und Chardonnay bepflanzt, den Rest teilen sich vor allem die Rebsorten Gamay und Aligoté.
Etwas oberhalb der stillen Gassen von Santenay liegt das Château de Santenay, ein von einer Mauer und einem Graben umgebenes Herrenhaus. Die dort auf dem Gelände entspringende Quelle veranlasste bereits die Römer, ein Kastell zu bauen, über die Jahrhunderte wandelte es sich dann im Mittelalter zu einer mächtigen Burg, und erlangte in der Zeit von Philippe le Hardi, Herzog von Burgund, seine Blütezeit.
Herzog bevorzugt Pinot Noir
Dieser Philippe war nicht nur ein tapferer Ritter, daher der Name le Hardi, der Kühne, sondern er erließ auch ein Dekret zur Verbesserung der Weinproduktion, das die Gamay-Traube zugunsten des Pinot Noir in seinem Herzogtum verbot. Eine historische Entscheidung und wohl die Geburtsstunde der hochwertigen Terroirweine.
Heute gehört das Weingut der Bank Crédit Agricole und umfasst 98 Hektar bester Weinlagen. Seit 2021 wird nach Bio-Standard produziert, Weinproben sind auch ohne Vorankündigung möglich. Sich in die Weine des Burgunds einzuarbeiten, ist eine Wissenschaft für sich, nur so viel, das Château de Santenay produziert hervorragende Weine, viele sind aufgrund ihrer Komplexität allerdings eher etwas für Afficionados.
Beeindruckt von den bis an die Decke mit Eichenfässern gefüllten Gewölbekellern aus dem 9. Jahrhundert und beschwingt von Grand und Premier Crus trugen wir mit edlem Traubensaft gefüllte Flaschen zurück zu unserem Hausboot und gönnten uns eine ausführliche Brotzeit an Deck, bevor wir zufrieden in den Himmel blinzelnd den Nachmittag verstreichen ließen.
Hausboot im Burgund: Blinzelnd den Tag genießen
Überhaupt blinzeln wir in den vier Tagen auf unserem Hausboot sehr viel in den Himmel, auf vorüberziehende Wolken, auf das Glitzern des Wassers, auf über Weiden galoppierende Pferde, auf mit Traktoren pflügende Landwirte und in den Bäumen sitzende Krähenschwärme. Und vielleicht ist das auch das Schönste an einer Hauboot-Tour auf dem Canal du Centre: Die Möglichkeit des ausgiebigen Blinzelns durch Entschleunigung.
Diese Entschleunigung verstärkt sich beim abendlichen Gang zu urigen Lokalen wie dem in einem ehemaligen Salzspeicher untergebrachten „Le Grenier à Sel“ in Chagny, wo wir auf offenem Feuer zubereitete Spezialitäten wie Brochette de volaille aux herbes bestellen. Zugegeben, Geflügelspieß mit Kräutern hört sich weniger mondän an, es schmeckt trotzdem außerordentlich gut.
Burgund: Heimat des Crémants
Ganz entspannt lassen wir uns im Dorf Rully im international berühmten Weingut André Delorme in die Kunst der Crémant-Produktion einführen, um zu erschmecken, dass die Qualität der Crémants de Bourgogne an die des Champagner problemlos heranreicht.
Stressbefreit schleusen wir uns Kilometer um Kilometer bis nach Chalon-sur-Saône, nach 20 und mehr Schleusenvorgängen jagt uns auch die zweithöchste Schleuse Frankreichs, Höhenunterschied 10,76 Meter, keine Angst mehr ein. Kurz nach diesem Hebewerk mündet der Canal du Centre dann in den Fluss Saône, und eine Stunde später legen wir im Hafen von Chalon-sur-Saône gekonnt elegant zwischen anderen Hausbooten an.
Zurück liegen da vier Tage langsam vorüberziehende Landschaften, das leise Tuckern der „Loisy“, das sanfte Plätschern, mit dem man einschläft und aufwacht, das farbige Flirren des Wassers auf der Kabinenwand, betörend schöne Lichtstimmungen und ganz viel Blinzeln.
Lust auf mehr Wassersport? Wie wäre es mit einem Segeltörn auf den Seychellen? Wir waren auch auf einem Viermaster in Thailands Inselwelt unterwegs. Wenn ihr in Europa beliben wollte, dann vielleicht auf eine Segeltour in den Kykladen? Und falls ihr mehr französisches Flair sucht, dann schaut euch doch unseren Beitrag über Aquitaine an.
Info Hausboot
Anreise
Der Hafen von Saint-Léger-sur-Dheune liegt 315 Kilometer südwestlich von Freiburg i. Breisgau. Mit dem Auto braucht ihr von Freiburg etwa 3,5h. Ihr könnt auch mit dem Zug bis nach Dijon fahren und euch dann von dort per Taxi abholen lassen. Oder ihr nehmt den Regionalzug von Dijon nach Saint-Léger-sur-Dheune nehmen.
Hausboot mieten
Wir waren mit der Hausbootklasse Pénichette Flying Bridge unterwegs und fanden die zwei Steuerstände (unter Deck und oben an Deck) klasse. Weitere Infos, Preise und Sonderangebote rund um einen Urlaub auf dem Hausboot in Frankreich, aber auch in Irland, Deutschland, Italien und den Niederlanden findet ihr bei Locaboat. Eine Woche auf einem Hausboot für zwei Personen kosten im Burgund ab 795 Euro. Locaboat hilft euch übrigens auch bei der An- und Abreise zu den Häfen.
Region Burgund/Franche-Comté
Ausführliche Informationen und Reisetipps zu unserem Fahrtgebiet findet ihr bei Burgund/Franche-Comté.
Alle Fotos: Thomas Linkel