Afrikas Außenposten im Indischen Ozean hat über 110 Inseln. Wer davon viele sehen und erleben will, geht an Bord des Vintage-Seglers „Sea Pearl“ – das ist günstiger, als man denkt
Haben wir nicht“, sagt Monsieur Lubin, ein dünner Mann mit Nickelbrille und grauen Haaren. Das höre ich nun schon zum dritten Mal in diesem Souvenir- und Gemischtwarenladen auf Praslin, der zweitgrößten Insel der Seychellen. Meine Koffer sind irgendwo zwischen Deutschland, Abu Dhabi und hier hängen geblieben, mein Segeltörn startet in einer Stunde und ich habe immer noch diese schweißtreibenden Winterklamotten von meiner Anreise an. Ich brauche dringend ein Sommeroutfit!
Aber hier gibt es kein einziges weißes, unbedrucktes T-Shirt, keine schwarzen Flipflops, nicht einmal unifarbene Boxershorts, von Badehosen ganz zu schweigen. Alles ist mit Schildkröten, Papageien oder Fischen bedruckt. Wenn ich mich so einkleide, dann bin ich bunt wie ein Paradies-Fliegenschnäpper, aber für die Seychellen gerüstet.
Mit der Plastiktüte zum Check-In
Aber es muss sein, und so decke ich mit dem allernötigsten Fummel in Knallbunt ein. Dann geht es mit einer gefüllten Plastiktüte ab ins Beiboot, das mich zur „Sea Pearl“ bringt. Der beinahe 100 Jahre alte Zweimast-Topsail-Schoner ankert vor Praslin und wird uns in den nächsten Tagen durch die Gewässer rund um die Tropeninseln und zu den schönsten Stränden der Seychellen bringen.
Kurz nach dem Einschiffen auf dem alten Segler stellt sich schon ein Gefühl der Vertrautheit ein, man fühlt sich sofort wohl. Das liegt nicht nur an der kleinen, aber gemütlichen, holzverkleideten Kabine, sondern auch an der entspannten und gastfreundlichen neunköpfigen Crew. Die Gäste an Bord? Sind alle entweder urlaubsreif, in Vorhochzeitsstimmung oder in den Flitterwochen. Wie sich später in einem Gespräch mit Kapitän Ron herausstellt, ist das ein durchaus repräsentativer Gästequerschnitt.
Die Lieder des seychellischen Sängers Ralph Amesbury, eine Mischung aus Reggae, Blues und Samba, klingen leise aus dem Steuerhaus und verbreiten perfektes Urlaubsfeeling. Wer meint, Käpt’n Ron würde uns Zeit zum Sonnenbaden und Dösen lassen, der täuscht sich. Kurz nachdem alle ihr gemütliches Plätzchen an Deck gefunden haben, lässt er die Segel setzen und eine Stunde später in einer kleinen Bucht den Anker werfen.
Praslin. Schildkröte voraus
Am Ufer wedeln die Palmen, das Meer schimmert unverschämt türkis um Granitblöcken. Ron entscheidet, wir sollten nun die Schnorchelausrüstung packen und endlich ins Wasser gehen. Schlafen könnten wir schließlich auch nachts. Tagsüber seien Abenteuer angesagt. Bitte schön! Wer so freundlich von Bord gejagt wird, der springt eben in den 28 Grad warmen Indischen Ozean der die Seychellen umplätschert.
Ich paddle über ziemlich hässliche Seegurken, die rund um die Felsen auf dem sandigen Meeresgrund liegen, und folge gelb-schwarz gemusterten Mondsichel-Falterfischen. Ich lasse mich von neugierigen Seychellen-Anemonenfischen anknabbern und treibe schwerelos in der Strömung. Plötzlich sehe ich einen ovalen Schatten tief unter mir. Beim Näherkommen stellt er sich als Meeresschildkröte heraus. Dass ich bereits beim allerersten Schnorchelgang eine Schildkröte gesehen habe, wird mir später an Bord niemand glauben, weil ich in der Aufregung vergesse, ein Foto zu knipsen.
Dafür folge ich ihr einige Minuten, beobachte, wie sie knapp unter der Wasseroberfläche durch das Wasser schwebt und das Sonnenlicht bunte Lichtflecken auf ihren stromlinienförmigen Panzer wirft. Näher als fünf Meter lässt sie mich aber nicht an sich heran. Dann schnappt sie kurz nach Luft, um mit wenigen Flossenschlägen in die Tiefe zu entschwinden. Zurück an Bord stehen die Schnorchler tropfend auf dem Vordeck zusammen und tauschen Erlebnisse aus, während Hostess Belinda Kaffee und Kuchen reicht.
Segelschiff mit langer Geschichte
Die 37 Meter lange „Sea Pearl“ hat acht Kabinen, 520 Quadratmeter Segelfläche, einen Motor – und eine lange Geschichte. 1915 in den Niederlanden gebaut, diente sie unter dem Namen „Dirk“ zum Fischfang und war 1930 das letzte Segelschiff der holländischen Heringsflotte. Nach bewegten Jahren als Transporter, Fischtrawler und Schulungsschiff in der Nordsee, segelte sie in der Karibik, bis sie 1999 umgebaut wurde, um bei den Seychellen zu kreuzen.
Das erzählt uns Käpt’n Ron, als wir am späten Nachmittag von Praslin aus Kurs Nordwest in Richtung Curieuse nehmen. Ron lehnt am Steuerrad, wir Gäste haben es uns unter dem Sonnensegel bequem gemacht, lesen, hören Ron zu oder beobachten einfach nur das Meer. Zwar sind wir erst kurze Zeit unterwegs, aber schon werde ich ruhig, lasse die Hektik des Alltags hinter mir und lebe im leicht schwankenden Rhythmus des Schiffs.
Nichts muss schnell gehen, es zählt der Moment und die letzten Sonnenstrahlen tauchen unsere Segel in orangefarbenes Licht. 20 Minuten später ist es dunkel, wir gehen in einer Bucht vor Anker, während Koch Hensley mit einem grünen Jobfish in der Kombüse hantiert.
Logenplatz im Bugnetz
Die Schiffsglocke ruft uns ans Buffet mit Salat, Gemüse, Jobfish und Grillfleisch. Wie Hensley es geschafft hat, den armlangen Fisch in dem kleinen Ofen der Kombüse zuzubereiten, bleibt ein Rätsel, jedenfalls schmeckt er wahnsinnig gut.
Mein Lieblingsplatz ist das Bugnetz. Dort strecke ich mich nach dem Abendessen lang aus und höre auf das satte Schlagen und Klatschen der Wellen. Über meinem Kopf ragt der Bugspriet in den dunkelblauen Nachthimmel, schwache Lichtpunkte glimmen vom Land herüber. Dazu leises Lachen von Deck, das Knarren aus den Wanten –die Zeit scheint stillzustehen. Ein Traum! Chillen in seiner schönsten Form.
La Curieuse. Heimat der Riesenschildkröten
Die Sonne scheint, als wir am kommenden Morgen im Beiboot zur Anse St. Jose auf der Insel Curieuse fahren, einem als Naturreservat geschütztem Eiland in Sichtweite von Praslin. Obwohl arabische Händler, portugiesische und englische Seefahrer die Insel seit dem 14. Jahrhundert immer wieder besuchten, wurde sie erst nach 1768 von den Franzosen besiedelt. Männer wie der in den Diensten der Französischen Ostindienkompanie stehende Kapitän Lampériaire sahen die Natur als einfach auszubeutende Ressource, ein ökologisches Desaster für die Seychellen.
In den Folgejahren wurde die nach seinem Schiff benannte Insel von Sklaven fast vollständig abgeholzt, die unzähligen Seychellen-Riesenschildkröten als Frischfleisch genutzt und bis Mitte der 1850er Jahre ausgerottet. Weil Curieuse strategisch wertvoll war, wechselte es im 18. und 19. Jahrhundert genauso wie der übrige Archipel mehrfach den Besitzer.
Charles Darwin und die Coco de Mer
Die Insel ist neben dem Vallée de Mai auf Praslin der einzige Ort, an dem die berühmte, etwas obszön geformte Coco de Mer wächst. Die wegen ihrer heilenden und stimulierenden Wirkung jahrhundertelang bei Königen und Herrschern begehrte Nuss rief auch Charles Darwin auf den Plan. Er empfahl 1874 der britischen Krone die Wiederaufforstung und damit, den Bestand der Coco de Mer zu schützen – und wieder Aldabra-Riesenschildkröten anzusiedeln, um sie vor dem endgültigen Aussterben zu bewahren.
Heute verläuft ein Bohlenweg von der Anse St. Jose durch Mangrovenwald, in dem einen glupschäugige Schlammspringer anstarren, hinüber zur Baie Laraie, dem Quartier der Insel-Ranger. Auf dem Spaziergang sehen wir immer wieder Riesenschildkröten, die an Blättern kauen, in der Sonne dösen oder von ignoranten Touristen – man glaubt es nicht! – als Sitzgelegenheit missbraucht werden. Nirgends ist ein Ranger zu sehen, der diese Dummheit unterbinden würde.
Wind in den Segeln
Der Wind hat aufgefrischt. Als ich auf die „Sea Pearl“ zurückkehre, ziehen bauschige Wolken über den Himmel und werfen Schatten auf die grünen Hügel von Curieuse. Die Wellen tragen Schaumkronen, ich taumle über das Schiff wie ein beschwipster Leichtmatrose. Weil in den Sommermonaten das Meer unruhiger ist, fährt die „Sea Pearl“ nur kürzere Strecken mit windgeschützten, sicheren Ankerplätzen. Im Winter gehen die Törns auch zu weiter entfernten Inseln der Seychellen, allerdings wird dann weniger gesegelt, erzählt Ron, es fehlt einfach der Wind“.
Vom Knarzen der hölzernen Kabinenverkleidung wache ich auf, durch das Deckenfenster fällt blaues Licht. An Deck steht Ron mit wollener Rastafari-Mütze am Steuerruder und hält unser Schiff auf Kurs Richtung La Digue. Die Luft ist noch kühl und feucht von der Nacht, das Meer unruhig. Am Horizont steht ein Wolkengebirge, das von ersten Sonnenstrahlen rötlich-gelb angestrahlt wird. „Es gibt nichts Schöneres, als einen Tropenmorgen auf See“, sagt Ron.
Das Meer sei sein Leben, meint er, auch wenn er die Zeit an Land mit seiner Familie sehr genieße. Steuerbords taucht eine kleine Felsinsel auf und Tauchlehrer Cedric macht die Ausrüstung fertig. Der Ave Maria Rock gilt als gutes Tauchrevier, um Rochen und Haie zu sehen. Um den Namen ranken sich unterschiedliche Legenden. Eine besagt, dass Seeleute in früheren Zeiten jedes Mal ein Ave Maria beteten, wenn ihr Schiff sicher an den tückischen Felsen vorbei war. Eine andere Legende weiß von einem portugiesischen Schiffbrüchigen, der auf der Insel strandete und nach seiner Rettung als Dank ein Ave Maria in seiner Heimatkirche anbringen ließ.
La Digue. Radeln zum Traumstrand
Während ein Teil der Gäste abtaucht, fährt die „Sea Pearl“ einige Kilometer weiter bis zur Insel La Digue. Seychellen-Touristen besuchen sie vor allem wegen ihrer Traumstrände. Außer Taxis gibt es nur Fahrräder als Fortbewegungsmittel auf der Trauminsel.
Aber welchen Strand besuchen, wenn man nur einen Tag auf La Digue hat? Drei „Traumstrände“ liegen nebeneinander auf der östlichen Seite der Insel. Vom Hafen La Passe radelt man 20 Minuten über einen kleinen Berg bis zur Bucht Grande Anse. Dort empfängt einen eine große, knallweiße Sandsichel mit Palmen und Strandlokal. Geparkte Räder, Picknickkörbe, entspannte Stimmung. Aber ich will weiter, wandere barfuß am Strand entlang und schließlich über eine Anhöhe zur zweiten Bucht. Diese schweißtreibende Viertelstunde lohnt sich, die Petite Anse ist deutlich weniger besucht.
Hierher zieht es vor allem verliebte Pärchen, die gerne händchenhaltend in der Brandung stehen – mit den typischen Granitfelsen als Kulisse. Ein Marsch von weiteren 20 Minuten bringt mich nach einem kurzen Bad auf sandigen Pfaden über einen Hügel weiter zur Anse Cocos. Die 1.000 Meter gleißenden Sandstrand teile ich mir nur mit Krebsen, Eidechsen und drei Strandwanderern. Besser geht es nicht. Zumindest dann nicht, wenn man Wert auf viel Privatsphäre legt.
Anse Source d’Argent. Strand als Werbestar
Der berühmteste Strand von La Digue, ja der gesamten Seychellen, ist natürlich die Anse Source d’Argent. Hier wurden berühmte Schoko- und Rumwerbespots etwa für Raffaello und Bacardi gedreht, die den Strand zum Sehnsuchtsort für Millionen machten. Die Anse Source d’Argent mag vielleicht nicht wirklich der schönste Strand der Welt sein, der meistfotografierte aber ist die „Silberquellen-Bucht“ auf jeden Fall.
Der Eintritt ins Paradies kostet. Fünf Euro! Dafür darf man auch die alte Kokos- und Vanilleplantage besichtigen, die auf dem Weg zum Strand liegt. Weil sich viele Menschen an einem der schönsten Strände der Welt ihr Ja-Wort geben wollen, finden zwischen großen, glatt geschliffenen Granitfelsen unter einem blumengeschmückten Plastikbaldachin Trauungen im Stundentakt statt, Fotos für Instagram im Preis inklusive. Die Seychellen sind mehr als IG-tauglich.
Gleichwohl ist dieser Teil von La Digue wunderschön. Und er sieht auch wirklich fast so aus wie in der Werbung: Das Meer schimmert türkis, die Granitfelsen liegen majestätisch und von der Sonne aufgewärmt im feinen Sand. Die Wellen schlagen sanft an die Strände der vielen kleinen Buchten und darüber rascheln die Palmen in einer leichten Raffaello-Brise, die die schwüle Hitze gut erträglich macht. Man muss nicht besonders romantisch veranlagt sein, um diese Kulisse zu lieben.
Praslin. Und noch ein Traumstrand. Und noch einer
Die „Sea Pearl“ bringt uns zurück nach Praslin, wo wir an der Anse Lazio –wieder so ein „Traumstrand“! der Seychellen, – ankern, schnorcheln, vom Bugspriet ins Wasser springen und frischen Fisch grillen. Die folgenden Tage vergehen schnell, irgendwie viel zu schnell.
Auf der Insel Cousin, einem Naturreservat der Naturschutzorganisation BirdLife, beobachten wir Tausende Seevögel, die unablässig zwischen Meer und Insel pendeln oder schnatternd und piepend in den Bäumen sitzen. Und wir bestaunen die etwa 160 Jahre alte Riesenschildkröte „Mr. Thomas“, die sich bis zum Hals in tiefem Schlamm suhlt. Frühe Anverwandte dieser gepanzerten Schwergewichte krochen schon mit den großen Sauriern über die Erde – vor gut 100 Millionen Jahren.
Auf Praslin besuchen wir das Vallée de Mai, in dem nicht nur der größte Bestand an Coco-de-Mer-Palmen zu sehen ist, sondern das auch viele endemische Tierarten beheimatet. Die berühmteste dürfte der Black Parrot sein. Die 300 verbliebenen Exemplare zu schützen ist schwer, da sie in abgestorbenen Baumstämmen brüten und so leicht zur Beute für Ratten und Katzen werden. Ausgefuchster ist der Schutzmechanismus des Giant Bronze-Eyed Gecko: Der kann bei Lebensgefahr einfach aus seiner Haut fahren und in neuem Gewand verschwinden.
Der Abend meiner Seychellen-Abreise . Ich liege ein letztes Mal im Bugnetz. Noch einmal wiegt mich der Indische Ozean. Ich lausche dem vertrauten Glucksen der Wellen und dem Schlagen der Takelage. Was für eine friedliche Stimmung. Und oben sehe ich die Spitze des Fockmasts zwischen den Sternen tanzen. „Live slow, sail fast!“ – dieser abgedroschene Spruch vieler Segler ist so falsch nicht.
Lust auf Segeln mit einem Viermaster in der Andamanensee? Oder doch eine luxuriöse Kreuzfahrt mit der “Europa 2”?
Seychellen. Segeltörn
INFO SEYCHELLEN SEGELTÖRN
Anreise
Auf die Seychellen kommt man im Moment nur mit Umsteigeverbindungen z. B. mit Etihad oder Emirates.
Reisezeit
Die Seychellen haben konstant ein schwül-warmes Klima. Im Winter herrscht of Flaute, dann wird wenig gesegelt und mit Motor gefahren. Dafür allerdings auch weiter entfernte Inseln angelaufen. Der Sommer ist in der Regel windreicher, es wird öfter gesegelt, dafür hält man sich in einem kleineren Gebiet auf.
Info
Allgemeine Informationen und Tipps zu allen Inseln bietet das Fremdenverkehrsamt Seychellen.
Segeltörn
Der beschriebene Segeltörn zu ausgewählten Inseln der Seychellen gibt es erstaunlich preisgünstig unter Silhouette Cruises.
Covid-19
Covid 19 hat weiterhin Einschränkungen im internationalen Luft- und Reiseverkehr und bei Einreisen weltweit zur Folge. Achtet bitte deshalb unbedingt auf die aktuellen Reiseinformationen des Auswärtigen Amts unter auswaertiges-amt.de