Japan kann nur Sushi? Bullshit! Das wichtigste Gericht sind Nudeln. Eine verschlürfte Tour d’Horizon zwischen Japans Ramen-Hauptstadt Kitakata, der Frage nach der besten Brühe und Soba, die man mit Lauchzwiebel statt Stäbchen isst
Der frühere Reisbauer Takashi Yamada hat ein historisches Lagerhaus in der Stadt Kitakata in der Präfektur Fukushima renoviert und dort das Ramen-Restaurant „Shiokawa-ya“ eröffnet. Klein und fein ist das Credo: „Wenige Plätze, beste Qualität, regionale Zutaten, das war die Idee.“ Die Ramen, die sein Team in der kleinen, dampfenden Küche aus den Töpfen zaubert, sind regelrechte Geschmacksbomben voller Umami.
„Wie macht ihr das nur, Takashi?“ „Na, das ist ein Geheimnis und das soll es auch bleiben!“, schmunzelt Takashi. „Aber so viel kann ich verraten: Viel liegt am Egoma Pork, das schmeckt mild, denn die Schweine werden mit wildem Sesam gefüttert. Die Shio-Brühe kochen wir mit Shijimi, kleinen Süßwassermuscheln, die auf der Hochebene von Aizu seit Jahrhunderten gezüchtet werden.“
Für die dezente Würze der Shio-Brühe sorgt Aizu-Bergsalz. Dieses milde, mineralreiche Aizu Yamashio war lang der Kaiserfamilie vorbehalten. Es wird es aus der Thermalquelle Oshio Urabandai, 30 Kilometer östlich von Kitakata in den Bergen von Aizu, durch schonendes Eindampfen in großen Pfannen gewonnen. So wird aus 100 Litern ein Kilo delikates, gesundes Salz mit sehr hohem Kaliumgehalt.
Kitakata, Japans Nudel-Kapitale
Kitakata hat die höchste Dichte an Ramen-Lokalen im Land. Auf die 46.000 Bewohner von Kitakata kommen exakt 91 Ramen-Lokale. Die Stadtverwaltung ist die landesweit einzige mit eigener Nudel-Abteilung. Die Mission der Angestellten bringt Frau Sakae Hanami so auf den Punkt: „Sich um die Förderung des Ramen Business zu kümmern.“ Man führe einen Kampf gegen das Verschwinden von Restaurants, eine Folge der Überalterung: „Fast 130 Ramen-ya waren es noch vor wenigen Jahren“.
Kitakata war über Generationen für die vielen Miso-Manufakturen sowie Sojasoßen- und Sakebrauereien bekannt. Das brachte großen Wohlstand. Die Karriere als Nudel-Hauptstadt begann erst, als der chinesischstämmige Ban Kinsei 1927 das „Genraiken“ eröffnete. Noch heute serviert man dort Nudelsuppe.
Bei all der Nudelei wundert es nicht, dass der einzige Shinto-Schrein Japans zu Ehren von Ramen in Kitakata steht. Man betritt ihn durch einen Tori-Torbogen aus riesigen Essstäbchen an der Fureai Street, keine 200 Meter vom „Shiokawa-Ya“. Er ist nicht der einzige Exot: In Japan gibt es auch einen Verlorene-Katzen-Schrein, einen Warzen- und einen Comic-Schrein.
Die für die Stadt typische leichte Kitakata-Variante gilt in Japan unbestritten als eine der drei besten Ramen-Varianten des Landes. Neben Sapporo Ramen von der Insel Hokkaido und Hakata Ramen aus Fukuoka auf der Insel Kyushu im tiefen Süden.
Wichtig für Kitakata Ramen sind flache, breite und gewellte Nudeln. Die Brühe wird mit dem Mark von Schweineknochen, getrockneten Sardellen sowie mit Salz (Shio) oder Sojasoße (Shoyu) zubereitet. Nicht fehlen darf die Scheibe Narutomaki (rot-weißes Fisch-Surimi).
Ramen, Soba, Udon: Kleine Nudelkunde
Was unterscheidet Ramen von Soba und von Udon? Udon sind dicke, weiche und helle Weizennudeln. Sie werden in würzigem Dashi-Sud aus Seetang und Bonitoflocken mit Tempura, Frühlingszwiebeln oder Tofu serviert.
Soba sind dunkle, dünne und zartbissige Buchweizennudeln mit nussigem Geschmack. Auf besonders originelle isst man Soba in Ouchi-juku, 45 Kilometer von Kitakata. Der Ort ist für seine bis zu 300 Jahre alten Reetdachhäuser bekannt und für Negi Soba, die „Lauchzwiebel-Nudel“.
Im traditionellen Gasthaus „Misawaya“ sitzen Nudelfreunde auf duftenden Tatami-Matten, zirkeln die Beine unter niedrige Chabudai-Tische und versuchen, die dünnen Buchweizennudeln mit daumendicken Lauchzwiebeln statt mit Stäbchen zu essen. Das ist für Ungeübte wie den Reporter ein frustreiches Unterfangen, sorgt aber für viel Heiterkeit bei den Gästen.
Für alle Nudeln gilt: Man schlürft sie. Genüsslich. Mit der inhalierten Luft verstärkt sich der Geschmack. Ist die Brühe heiß, läuft früher oder später die Nase. Dann unter keinen Umständen die Nase putzen. Der Knigge verlangt: Maximal tupfen, aber lieber die Nase immer wieder – gern auch geräuschvoll – hochziehen.
Der Nudelmarkt in Japan ist groß. Heimische Hersteller setzen mit den drei Klassikern sowie Instant-Nudeln pro Jahr fast neun Milliarden Euro um. Und japanische Restaurantketten wie Ichiran oder Hakata Ippudo eröffnen immer mehr Filialen in den USA und in vielen asiatischen Nachbarstaaten.
Welche Nudel ist die beste im Land?
Mit Feuereifer wird in Japan die Frage diskutiert, welche Ramen-Art die landesweit beste sei. Schnörkellose Shoyu Ramen mit Sojasoße? Oder kräftige Tonkotsu mit Brühe aus Schweineknochen, reich an Kollagen, Kalzium und Magnesium? Oder die mit Miso, durch Fermentation reich an Probiotika, Vitamin K, Kupfer, Zink und Mangan. Oder die helle, leichte Shio-Variante auf Salzbasis?
Dieser essenziellen Frage und der Sichtung neuer, spannender Köche widmen sich Tag für Tag Hunderte von Nudel-Influencern und Autoritäten wie Hiroshi Osaki. Der Direktor der Japan Ramen Association rühmt sich, in 28 Jahren 29.000 Schüsseln Ramen gegessen zu haben.
Bleibt noch Kitakatas besondere Architektur. 4.000 historische, sogenannte Kura, Lagerhäuser mit massiven Lehm-Fensterläden und Türen, die jedem Banktresor zur Ehre gereichen, sind dort zu sehen. Ähnlich reich ist das Architekturerbe nur noch in den Städten Kurashiki und Kawagoe.
Die meisten Kura in Kitakata haben kunstvolle, schwarz-weiß gemusterte Namako-Fassaden oder sind durch dunkle Yakisugi-Fassaden aus geflammten Holz vor Witterung und Feuer geschützt.
Zum hochprozentigen Abschluss des Kitakata-Aufenthalts noch ein Besuch der 235 Jahre alten Yamatogawa-Sake-Brauerei. Unweit des Bahnhofs informiert eine topmoderne Ausstellung in alten Brauereihallen über den anspruchsvollen Brauprozess von Sake.
An der digital gesteuerte Zapfstelle gibt es zehn Sorten Sake zum Degustieren. Sake-Brauer Tetsuya Sato schenkt uns zum Abschluss von einem seiner besten Sakes (Preisklasse 30 Euro plus) ein. Der leichte, trockene Yauemon Junmai Daiginjo duftet nach Pfirsich und schmeckt melonig, hat eine ausgewogene Säure.
Der beste Sake sei der 16-prozentige Yaemon Junmai Daiginjo Inochi in Bio-Qualität, sagt Tetsuya. Der kann gegen einen Unkostenbeitrag von 2,50 Euro verkostet werden.
Neben vielen Sorten Sake, darunter einer Sparkling-Variante, verkauft der Yamatogawa-Shop auch Sake-Kuchen – und Nudeln. Schließlich ist man in Kitakata. Und dort geht es früher oder später immer um Nudeln. Und nur selten um Sushi.
SCHLEMMERTIPPS RAMEN & SOBA
Kamukura
Mehr Chinakohl ist in keiner anderen Ramen zu finden. Dieses Lokal in Nara bei Osaka gehört wie das in Dotonbori/Osaka zu einer Kette mit landesweit 30 Filialen, die für ihre hohe Qualität gerühmt wird. Es liegt am Bahnhof Nara, wo alle aussteigen, die die so berühmten wie aufdringlichen Hirsche besuchen. Längere Warteschlangen möglich.
Nara, 19-1 Higashimuki Nakamachi
Osaka, Dotonbori, 1 Chome-7-25
Nakiryu
Dieses Tokioter Ramen-Restaurant bekam 2017 für seine Tan Tan Ramen mit Sesam- und Chilipaste einen Michelin-Stern. Für umgerechnet 8 Euro bekommt man ein wunderbares Gericht. Von der Szechuan-Küche inspiriert sind die Dan Dan Noodles mit Schwein, Szechuan-Pfeffer und Chili-Öl. Die Tan Tan Ramen gibt es regular, spicy und Tsukemen (Brühe und kalte Nudeln gesondert serviert). Bestellt werden die Ramen an der Vending Machine. Keine Reservierung. Keine Kartenzahlung.
Tokio, Minamiotsuka, 2 Chome-34−4
Ginza Hachigou
Gehört wie drei weitere Restaurants dem renommierten Chef Yasushi Matsumura. Der fand nach 30 Jahren Haute Cuisine zur Nudelsuppe zurück. Für die Brühe greift man neben Dashi, Kumbu-Alge, Shiitake und Schweineknochen zu Nagoya-Cochin-Hühnchen, Jakobsmuscheln und Schinken. Schweinebauchscheiben sorgen für cremige Textur und viel Umami. Das kleine Tresen-Lokal in Higashi-Ginza hat nur Platz für eine Handvoll Gäste, also weit im Voraus online reservieren. Tokio, Chuo City, Ginza, 3 Chome−14−2
Misawaya
Das über 300 Jahre, traditionelle Gasthaus mit Tatamimatten und niedrigen Tischen unter einem gewaltigen Reetdach im malerischen Dorf Ouchi-juku allein ist den Besuch wert. Und die Soba schmeckt gut, wenngleich die Nummer mit der Lauchzwiebel etwas overgagged ist. Zum Betrieb gehört eine gute Sake-Brauerei.
Ouchi-juku, Yamamoto-26-1, Minamiaizu District
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