Archaische Dörfer, Hügel und Zypressen. Die südliche Toskana ist ein Paradies für Vintage- Liebhaber. Im roten Alfa Spider durchs Chianti bis an die Küste der Maremma
Darf ich ein Geheimnis verraten? Den Tag im „Borgo del Vescine“, einem ehemaligen Räuberdorf, beginnt man am besten, in dem man am Vorabend die Klimaanlage abstellt und das Fenster öffnet So wacht man morgens mit dem Duft von Rosmarin, Salbei und einer Brise Zypressen auf, während die goldene Morgensonne die morgendlichen Nebelschwaden rund um Castellina in Chianti flutet.
Frühstücken wie die Briganten
Von der Frühstücksterrasse beobachten wir diese Szenerie bei Cappuccino, süßem Cornetto und frisch gepresstem Orangensaft.
Dann versinken wir in den Ledersitzen des Alfa Spider. Ein Dreh am Zündschlüssel, schon röhrt der Vierzylinder fulminant. „La Signorina“, wie die Giulia in den 60er-Jahren von ihren Fans genannt wurde, hat von ihrem Temperament und Klang nichts verloren. Im Gegenteil. Ihr heiserer Atem, durch schmales Rohr gepresst, ist Musik im Ohr und sorgt für Fahrgenuss sinnlichster Form.
Auf der leergefegten Strada Provinciale 76 geht es über sanft gewellte Bergrücken, durch karge Pinienwälder, vorbei an blühenden Ginsterbüschen und blassgrün schimmernden Olivenbäume. Der warme Fahrtwind weht würzige Aromen ins Cockpit, dazu Giulias metallische Ausdünstung mit einem Hauch von Leder und Öl.
San Gimignano: Wegen Überfüllung geschlossen
Hinter Ulignano schwebt über limettgrün leuchtenden Weingärten die Skyline San Gimignanos. Fünfzehn der einst 72 mittelalterlichen, hohen Geschlechtertürme gibt es noch. Sie sind noch immer ein imposanter Anblick. Das im 2. Jahrhundert vor Christus begründete Städtchen, gern als Manhattan der Toskana tituliert, übt enorme Anziehungskräfte auf Besucher aus. Wegen Überfüllung der Besucherparkplätze an diesem heißen Sommertag verzichten wir schweren Herzens auf die Besichtigung des Unesco-Weltkulturerbes.
Castelvecchi: Weinkeller zum Chillen
Stattdessen ziehen wir uns zurück in die dünn besiedelten Hochlagen des Chianti. Eine willkommene Abkühlung bietet das antike Kellergewölbe des Weinguts Castelvecchi.
Die denkmalgeschützte Premiata Fattoria aus dem Jahr 1043 ist die älteste, noch in Produktion befindliche Cantina der Toskana. Wir treffen in Castelvecchi auf ein junges, hoch motiviertes und engagiertes Team. Cantinieri Benedikt Max Ruf, gebürtiger Tegernseer, führt uns durch sein Reich aus schweren Eichenfässern.
Tonno delle Chianti: Fisch oder Schwein?
Zum Abendessen genehmigen wir uns eine Flasche Lodolaio . Der hundertprozentige Sangiovese, 16 Monate in Barrique gelagert, vier Jahre weggesperrt, lechzt nach Sauerstoff. Nur widerwillig offenbart er sein komplexes Potential. Küchenchef Mori bekocht uns nach uralten toskanischen Rezepten: Garganelle an Wildschwein-Sugo, als Hauptgang Tonno delle Chianti. Erst später erfahren wir: Bei dem vermeintlichen Fisch, den wir eben gegessen hatten, handelt es sich um tagelang in Kräuter und Olivenöl eingelegtes Schweinefilet.
Siena: Zeit für einen Stadtbummel
Sienabraun – nur wenige Farben dieser Welt verdanken einer Stadt ihren Namen. Lässig flaniert man durch Sienas Via Bianchi Sopra an Boutiquen und belebten Seitengassen vorbei. Unweigerlich spült es die Flaneure auf die Piazza del Campo, das Herzstück der einst die südliche Toskana beherrschenden Stadt. Überragt wird der muschelförmige Platz vom 102 Meter hohen Torre del Mangia.
300 Meter vom Touristenrummel entfernt, vor der kleinen Bar „Indipendenza“ herrscht wahre italienische Gelassenheit. Da sitzen in analoger Präsenz wie aus der Vergangenheit kommende Männer, die dem Namen der Bar alle Ehre machen. Gern nehmen wir hier noch einen Caffè, bevor der Gasfuß juckt.
Crete Senesi: Auf schönen Umwegen
Wir steuern über kleine Straßen in Richtung Crete Senesi, eine karge Landschaft mit Erosionsflächen, die sienesische Erden freilegen. Nach einem Gewitter verwandelt die Sonne die Landschaft in ein leuchtendes Gemälde.
Die SP 451 ist ein Juwel. Ignoriere Schilder, die behaupten, die Straße sei gesperrt. Irgendwann erreicht man zwar eine blockierte Stelle, es gibt aber eine Umfahrung. Wer die einsame Strecke wagt, wird belohnt mit einzigartigen Ausblicken.
Val d’Orcia: Epische Kulturlandschaft
Seele und Sinne beruhigt die „Locanda in Tuscany“. Drei Kilometer Schotterpiste und wir erreichen die Rezeption des Farmhotels im Niemandsland des Val d’Orcia mit Zimmern im minimalistischen Landhausstil. Auswärts Essen gehen? Wozu? In der kleinen Trattoria Mozart werden wir mit Ragù an handgerollter Pici Pasta bestens verwöhnt.
Früh morgens brechen wir auf. Dunkle Zypressen fliegen im kühlen Fahrtwind vorbei. Vereinnahmend ist die gewellte Harmonie dieser Kulturlandschaft, die allen Postkartenklischees trotzt und uns in sich aufzusaugen vermag. Nur wenige Gehöfte und die wie mit dem Pinsel hingetupften Zypressenhaine unterbrechen die Monotonie des weite Orcia-Tals.
„Castello di Potentino“: Zauberhaftes Retreat
In einem grünen Seitental bei Seggiano verbirgt sich das „Castello di Potentino“. Das Schloss ist ein verstecktes Kleinod und wurde so restauriert, dass man es hinterher nicht merken sollte.
Schlossherrin und Önologin Charlotte Horton reicht mir ein Glas ihres Piropo. Der in französischer Eiche gereifte Rote überzeugt mit einem floralen Bouquet. Er ist am Gaumen warm, hinterlässt Aromen von Johannisbeeren und Walnussblättern. Neu für Hotelgäste ist der herrliche Infinity-Pool mit Blick über das grüneTal.
Das uralte Stammland der Etrusker ist eine der ungewöhnlichsten Gegenden der Toskana. Über 200 Meter tiefen canyonartigen Flusstälern thronen die drei mittelalterlichen „Tuffstädte“ Sovana, Sorano und Pitigliano.
Sorano: Aus dem Tuff gehauen
Das dramatisch in den Steilhang gebaute Sorano erinnert an ein kubistisches Gemälde. Von der Hochterrasse Masso Leopoldino präsentiert sich ein herrliches Panorama über die Dächer der Stadt. 17 Uhr, Piazza Pietro Bussati. Das Dorf erwacht nach der Siesta zum Leben. Eine ältere Dame bestellt sich einen Bianco mit Eiswürfeln. „Che temperature canicolari“ schimpft sie – was für eine Hitze! „Da muss man einfach raus aus dem Haus. In der Bar kann man wenigstens sicher sterben, zuhause wird man nicht so leicht entdeckt.“
Sovana ist überschaubarer. 105 Einwohner. Wir machen es uns gemütlich in der „Enoteca Vino al Vino“ an der Via del Duomo. Vittorio Vais und Stefania Torso servieren kühlen Spumante und kleine Leckereien im Tapas Stil.
Pitigliano hockt filmreif auf einem steilen Tuffplateau. Ein Ort mit Charisma, in dem der Tourismus deutliche Spuren hinterlassen hat: Früher saßen die Bewohner noch auf Stühlen vor den Hauseingängen, heute prägen kleine Souvenirshops das mittelalterliche Gassenlabyrinth.
Alla Spiaggia!
Die letzten Kilometer in Richtung Küste legt die rote Signorina schnurrend zurück. Einen letzten Stopp legen wir an den heißen Quellen von Saturnia ein, um in den schönsten natürlichen Thermalbecken der Toskana zu baden.
Die Küste naht. Warmer Wind weht über rotem Klatschmohn und Strohrollen. Zusehends verflachen die Hügel. Mit Sinn für große Inszenierung empfängt die Tenuta La Badiola mit dem Luxushotel „L’Anadana“. Hinter dem schmiedeeisernen Tor beginnt die wohl längste Zypressen-Pinien-Allee der Toskana.
Auf einem Hügel trohnt das von Leopold II geschaffene Anwesen. Stolz weiden Maremma-Büffel mit mächtigen Hörnern. Nur ein Katzensprung ist es von hier bis zum Strand von Castiglione della Pescaia. Worauf warten wir noch? Ab in die kühlen Fluten!
Lust auf weitere spannende Roadtrips? Vielleicht ein mobil-kulinarischer Abstecher nach Slowenien oder ein Road-Abenteuer am Eismeer
Toskana
Info Toskana
Anreise
Mit Air Dolomiti direkt in 1.15 h von München nach Florenz
Veranstalter
Der Münchner Spezialveranstalter Nostalgic Classic Car Travel verfügt über eine umfangreiche Flotte an Alfa-Romeo-Oldtimern und Mercedes-Benz SL und bietet vollorganisierte Selbstfahrerpakete in der Toskana
Schöne Unterkunft gesucht? Gibt es bei den Toskanakennern von Siglinde Fischer Reisen
Übernachten
Das malerisch im Val d’Orcia gelegene Farmhotel Locanda in Tuscany besticht durch Abgeschiedenheit und smarten Landhausstil.
Idyllischer geht es kaum im Herzen des Chianti. Das Il Borgo di Vèscine, ein ehemaliges Räuberdorf, liegt verwunschen auf einem Berg. Stilvolle Zimmer, verwinkelte Steinhäuser und tolles Restaurant.
Wie einem Traum entsprungen! Das Castello di Potentino beeindruckt durch Authentizität und kulturelles Engagement. Wein und Ölverkauf.
Einfaches Landhaus mit zwei wundervollen Gastgebern ist das kleine B&B Poggio Ba bei Sovana. Mit Antiquitäten möblierte Zimmer. Die beiden betreiben auch die Enoteca Vino al Vino in Sovana .
Infos
Aktuelle Reisebestimmungen und hilfreiche Informationen bekommst Du beim Italienischen Fremdenverkehrsamt ENIT.