Bärenbeobachtung ist im westlichen Kanada eine große Attraktion. Unser 5-tägiger Trip beweist: Der „kalte“ Regenwald hat noch so viel mehr zu bieten …
Die Bear-Watching-Tour, die unsere neunköpfige Männertruppe vorhat, kann man nicht buchen. Wir wollen ins ungesicherte Bärenland, jenseits von Lodges und Plattformen, überhaupt jeglicher Besiedlung und Infrastruktur. Unser Ziel ist das einsame Toba Valley an der Westküste British Columbias. Dort, wo sich die Bären im Herbst ihren Winterspeck anfuttern. Wo die Regenwaldbäume alt und groß sind.
Und wo es keinerlei Handyempfang, Strom oder Betten gibt. Stattdessen Zwei-Mann-Zelte, Eigenversorgung über dem Feuer, Wildnis-Setting. Da will man gut ausgerüstet sein mit Steaks, Eiern, Bier sowie anderen Lebensmitteln und Outdoor-Equipment. Kai Andersch, Tobias Hürten und der Kanadier David MacDonald, allesamt bei der Stiftung Wilderness International aktiv und eher lebensbejahende Pragmatiker als verbissene Ökos, kennen sich da aus.
Allianzen gegen den Kahlschlag
Schließlich sind die Drei wiederholt hier, um mithilfe von „Wildnispaten“ – Firmen, Schülern, Privatpersonen, Urlaubern, die bei Veranstaltern wie Diamir Erlebnisreisen oder SK Touristik einen Reisekompensations-Obolus abtreten – rechtssicher Land für ihre deutsch-kanadische Stiftung zu kaufen und dieses so für die Zukunft zu schützen. Manchmal kommen sie auch, um einfach nach dem Rechten zu sehen oder um jungen Stipendiaten aus Deutschland und Kanada den Regenwald näherzubringen. Inklusive Bären.
Zur Vorbereitung gehört auch ein Stopp in einem Angelladen von Campbell River, um Angellizenzen und Bärenverteidigungsmittel zu kaufen. In unseren wasserdichten Säcken landen Hupen, Pfeffersprays und, ja, ein Gewehr für den Extremfall. Wobei unsere Guides nicht müde werden, auf gewaltlose Maßnahmen hinzuweisen, allen voran umsichtiges Verhalten, sodass es gar nicht erst zu brenzligen Begegnungen kommen möge.
Tags darauf legt unser Wassertaxi pünktlich um neun Uhr morgens im kleinen Hafen der selbsternannten „Welthauptstadt der Lachse“ ab. Fahrer Richard entpuppt sich als gut gelaunter und gesprächiger Zeitgenosse. „Diesen Sommer hat es zwar wenig geregnet, aber so viele Buckelwale und Orcas haben wir selten gesehen“, sagt er und steuert das Schiff behutsam durch die Inselwelt der Strait of Georgia.
Sein heutiger Auftrag: Uns im Toba Inlet an einem bestimmten Felsen abzusetzen und nach vier Tagen Bärenbeobachtung an eben jener Stelle wieder abzuholen. Wobei sich sein Verständnis in Grenzen hält. „Was zur Hölle macht ihr im Toba Valley? Da ist doch nichts!“
Wie wahr. Nach zweieinhalb Stunden Fahrt halten wir „in the middle of nowhere“ am Ende des schönen Fjordes an besagtem Felsen. Richard hupt zum Abschied, zurück bleiben neun Männer mit einem Haufen Gepäck.
Goodbye, Komfortzone!
Aus dem Meeresfjord taucht ein Seehund auf, David ins Unterholz ab. „Daumen drücken, dass unser Motorboot noch da ist und funktioniert“, ruft er. Für Unwissende nicht einsehbar haben die drei hier ein Metallboot versteckt. Mit vereinten Kräften lassen wir es erst über Baumstämme ab und dann zu Wasser.
Der Motor springt an, hurra! Da höchstens vier Mann ins Boot passen, dauert es, bis alle an der ersten Sandbank ein paar Kilometer flussaufwärts ankommen. In der Auftaktfuhre wird ohnehin erst mal das Equipment verschifft. Was uns den Bärenpremierenkontakt beschert.
Denn als 20 Minuten später Erik und Joschi nachkommen, entdecken sie Kratzspuren an einer Cider-Flasche und Tatzenabdrücke rund um Töpfe, Zelte, Wassertonnen. „Eindeutig Schwarzbären, auch wenn die primär auf Vancouver Island und hier am Festland von British Columbia eher Grizzlys vorkommen“, analysiert der 41-jährige Kai, seines Zeichens Forstwissenschaftler und Experte in Sachen kanadischer Flora und Fauna.
Indirekte Bärenbeobachtung
Selbst wenn wir sie nicht direkt sehen: Sie sind also da. Ebenso wie Wölfe, Kojoten, Wapitihirsche, Pumas. Wer sich blicken lässt, sind Kanadareiher, Biber und Weißkopfseeadler, die majestätisch über den bis zu 15 Meter breiten Toba River segeln. Bei der Fahrt auf dem Fluss kommen ständig Entdeckergefühle auf. Erst recht, als wir einige Flusswindungen später die Zelte aufstellen, Feuerholz sammeln, Cowboykaffee und Kartoffeln mit Speck kochen und von Tobi mehr über den Regenwald erfahren. In den dringen wir tags darauf weiter vor.
Wo Little und Big Toba River zusammenfließen, schlagen wir auf einer Sandbank das Hauptlager auf – im Herzen eines der letzten komplett wilden Täler von British Columbia. Was auch an Wilderness International liegt, denen hier über 400 Hektar Land gehören, das unberührt bleibt. Es keimt neue Hoffnung in puncto Bärenbeobachtung auf. Fabian sichtet Lachse im Wasser (wo Lachse, da Bären!) und Tobi Bärenkuhlen im Unterholz.
Bei einem mehrstündigen Rundgang finden wir sogar Lachsleichen im Wald, eindeutig das mörderische Werk von Grizzlys. Die sind ja bekanntlich auf den Rogen besonders scharf. Wie viel das pro Fisch ausmacht, sehen wir, als Carsten nach kurzer Zeit ein prächtiges Sockeye-Weibchen samt jede Menge roter Eier herauszieht.
Yes, we camp!
Später am Feuer klärt uns Kai nochmal auf. „Ab jetzt gelten zusätzliche Regeln: weniger Lärm, mehr Konzentration und keiner verlässt allein das Camp.“ Schließlich kam es in Kanadas Geschichte immer wieder zu Unfällen, gar Todesfällen mit Bären. Wobei die eigentlich nicht aggressiv sind. Daher lautet eine weitere Regel: immer genug Abstand, keine Provokation. Ach!
Am nächsten Tag folgen weitere Existenzhinweise. Kratzspuren am Baum, Tatzenspuren am Fluss, lautes Knacken in unmittelbarer Nähe. Kurze Anspannung in der Gruppe. Als sich die Lage beruhigt, bleibt Zeit, sich den Wald genauer anzusehen.
Er entpuppt sich als noch zauberhafter und abwechslungsreicher als Avatar Grove, British Columbias Vorzeigeschutzwald auf Vancouver Island, rund 150 Kilometer Luftlinie von hier entfernt. Einer der Bäume, bis in die Kronen mit Moosen und lamettaartigen Blatt- und Bartflechten bewachsen, hat von der Jugendgruppe, die hier im Sommer campierte, gar einen Namen bekommen: „Traumzauberbaum“. Das passt.
Männer allein Wald
Am vorletzten Tag regnet es fast durchgehend. Doch auch ohne Sonnenschein und Bärenbeobachtung sind alle guter Stimmung. Angeln, über dem Feuer Fleisch und Fisch braten, Storys erzählen – echte Männerwellness. Die Stimmung steigt weiter, als David berichtet: „Seit 2018 sind die Abschusslizenzen, durch die rund hundert Grizzly-Bären pro Jahr starben, ausgesetzt. Zu diesem Umdenken hat sicher auch der Bear-Watching-Tourismus beigetragen.“
Letzter Tag in British Columbia. Im Stockdunkeln bauen wir die Zelte ab und schleppen alles Gepäck wieder durch den Fluss zum Boot am anderen Ufer. Das eiskalte Wasser schwappt bis zum Bauchnabel. Dann geht es flussabwärts in Zweier-Schlauchbooten Richtung Fjord. Absolutes Yukon-Feeling, bei dem der nebelverhangene Wald und die aufragenden Tafelberge im Hintergrund für mystische Stimmung sorgen.
Da war doch was im Busch, oder?
Nach drei Stunden sind wir komplett durchgefroren und platt, weil wir wegen der mäßigen Strömung stets paddeln müssen. Plötzlich ruft Fabian: „Da im Gebüsch, ein Bär“, ist er sich sicher. Mag sein. Wir freuen uns in diesem Fall eher darüber, gleich Richard zu sehen. Und tatsächlich: Hupend und mit laufender Heizung wartet er an „unserem“ Felsen. Wenigstens darauf ist Verlass!
Lust auf mehr Wildnisabenteuer? Wir haben da was:
Mit dem Bike durch Botswana! Mit dem Rucksack nach Nunavik! Oder mit ganz wenig Gepäck ins Survivalcamp in Oberschwaben!
Fotos: © Wilderness International, WI/Sami Fayed, Fabian Mühlbauer, Erik van der Perre, Christian Haas
Bärenbeobachtung in Kanada
INFO „BRITISH COLUMBIA“
Alles über British Columbia und Kanada
Seit Anfang September 2021 können u.a. Europäer (endlich) wieder nach Kanada reisen. Achtet auf die derzeitigen Einreisebestimmungen, die sich aufgrund der Covid-19-Situation nach wie vor permanent ändern können.
Infos zu Kanada generell: destinationcanada.com, de-keepexploring.canada.travel
Infos zu British Columbia: hellobc.de
Alles über Wilderness International
Infos über die deutsch-kanadische Stiftung (und ihr neuestes Projekt im Regenwald Perus): wilderness-international.org; CO2-Rechner (eigenen CO2-Fußabdruck berechnen und kompensieren): thankyounature.org