Für den perfekten nordischen Sommer braucht es: Kaltbadehaus, Schwimm-Sauna, Seekajak sowie genügend Salz- und Süßwasser unterm Kiel bzw. unter der Badehose. Wie sich das anfühlt, testeten wir eine Woche vor Mitsommer
Halland? Ob ich das kenne, fragte eine Bekannte „Nein. Nie gehört. Wo ist Halland? Was kann man da machen? Warum sollte man dahin?“ Die Provinz zwischen Malmö und Göteborg sei Schwedens Sweet Spot (musste ich erst nachschlagen, ist aber nichts Anzügliches) und habe einen der populärsten und schönsten Strände des Landes, den zehn Kilometer langen Tylösand. Für Outdoor-Fans gebe es den Küstenradweg Kattegatleden und im Hinterland originelle Glamping-Camps. Meine Bekannte muss es wissen, sie betreut die Pressearbeit der schwedischen Provinz.
Halland: Jenseits von Småland
Ein paar Wochen später rollt mein Zug über den Öresund. Halland ist die westliche Fortsetzung von Småland – der Heimat von Pippi Langstrumpf und Michel aus Lönneberga. Hauptstadt ist Halmstad, und das begrüßt mich mit 13 Grad und Wolkenbrüchen. Wäre das Wetter ein Ikea-Regal, hieße es Kåckwettär. Strömender Regen auch während der Fahrt und in Varberg.
Kühnerweise habe ich beim Packen gepokert (bin einer dieser unverbesserlichen Handgepäck-Reisenden) und auf Regenkleidung verzichtet. Den Strandspaziergang bei unverändertem Starkregen absolviere ich daher barfuß und in Badehose. Zum Aufwärmen geht es in das Kaltbadehaus am Strand des „Kusthotell“ mit schönem Blick aufs Wetterdesaster.
Müde von den Saunagängen (ohne Kaltbad im Meer, dort tanzt so viel Seegras in der Brandung, dass die Ostsee wie eine sämige Algensuppe aussieht) sinke ich nach dem Dinner im Jugendstil-Restaurant des „Kusthotell“ und zwei Gläschen Rosé aufs Boxspringbett.
Kleiner Genuss-Exkurs: Wein ist teuer in Schweden, auch für zwölf Euro das Glas im Restaurant muss er nicht gut sein. Tipp: Immer auf Google-Maps nach dem nächsten Systembolaget. Bei den Niederlassungen des staatlichen Monopols stehen ab zwölf Euro die Flasche trinkbare Weine im Regal. Supermärkte verkaufen nur Wein und Bier bis 3,5 Prozent Alkoholgehalt.
Letzter Blick nach draußen: Sturmböen, Regen, schwere schwarze Wolken. Der Sonnenuntergang um 22.15 Uhr ist nur zu erahnen… Später leuchtet nochmals kurz der Handyscreen auf. Die Wetter-App wunderground bleibt unbeirrt dabei: Morgen scheint in ganz Halland die Sonne bei leichtem Wind und 20 Grad.
Bei genau diesem Wetter wache ich am folgenden Morgen auf und stoße das Fenster auf. Hinter den Dünen funkelt das Meer in verlockendem Blau. Zeit für eine kleine Radtour: Ich begnüge mich mit 0,6 Prozent des 380 Kilometer langen Fernradwegs Kattegattleden zwischen Helsingborg und Göteborg.
Der Kattegattleden passiert auch die massive, aufs Jahr 1300 zurückgehende Festung von Varberg. Dort fand der 1936 entdeckte Bocksten-Mann in einer Vitrine des Kulturhistorischen Museums seine letzte (Un-)Ruhe. Die Moorleiche aus dem Ende des 13. Jahrhunderts gibt Rätsel auf, auch weil sie mit einem massiven Eichenpfahl in den Boden gerammt worden war. Fantastisch ist die komplett erhaltene Originalkleidung inklusive Umgang mit Hoodie-Kapuze.
In Schweden ist ein Museum ohne Café für die obligatorische Fika undenkbar. So hat auch das Museum in der Festung eines. Das „Kafé Längan“ bietet Apfelkuchen nach einem originalen mittelalterlichen Rezept an.
Kallbadhuset: Wellness im Halland Style
Varbergs Wellness-Tempel Nummer 1 ist ein exzentrischer Holzbau mit maurischen Noten. Der Prachtbau thront auf hohen Pfählen über der Ostsee, überaus fotogen und das Wahrzeichen der Stadt.
Die Wurzeln des Kallbadhuset reichen bis in die Anfänge des 19. Jahrhunderts zurück. Damals entdeckten die Menschen in Halland den gesundheitlichen Nutzen des Wechsels von Kaltbaden (im Meer) und Heißbaden (in der Sauna). Es geht dabei auch um die ideale Balance, das richtige Maß zwischen den Gegensätzen, die Schweden nennen das „lagom“.
Das erste Kaltbadehaus in Varberg entstand 1866 nach Entwürfen des schwedischen Architekten Wilhelm Gagner. Dessen Exotik verheißenden pseudomaurischen Stil griffen auch die nach Sturmschäden nötig gewordenen Nachfolgebauten von 1886 und 1906 wieder auf.
Frauen und Männer schwitzen in getrennt hinter raumhohen Panoramafenstern. Danach geht es splitterfasernackt über ein Treppenhaus ins Meer. Ruhebänke im „Innenhof“ laden zum Erholen ein, für hungrige Kaltbader und Saunagänger kocht Chefin Ninna warme Kleinigkeiten wie Toasts. Im Café und auf der Sonnenterrasse vor dem Badehaus gibt es Kaffee, Waffeln oder Zimtschnecken für die Fika. Eintritt mit Miethandtuch 130 Kronen (ca. zwölf Euro).
Knackig oder zart? Garnele oder Zanderbäckchen?
Fast fünf Kilo wog der größte Hummer, den Lovisa Bengtsdotter, die Chefin von „Läjets Fisk“ im Hafen von Träslövsläge, dem wichtigsten Fischereihafen in Halland, je in den Händen hielt. Die Schalentiere auf dem Teller vor uns sind wesentlich kleiner.
Lovisa zeigt, wie man schnell und effektiv an das Fleisch des Kaisergranat kommt: „Hinter dem zweiten Ring des Schwanzes einmal kurz nach links und nach rechts drehen, bis es knackt, dann langsam rausziehen!“ Ist so einfach, warum musste ich dafür so alt werden? Wann denn Saison für Kaisergranat sei, will ich wissen. „Die beste Zeit ist September bis Dezember, dann schmeckt das Fleisch am besten. Also im Anschluss an die Kräftskiva, die Flusskrebssaison im Hinterland“.
Krustentiere füllten nicht immer die Netze der Trawler aus Halland. Nicht nur in Träslövsläge waren es bis in die 1970er vor allem Kabeljau und Hering. Dann wurde immer mehr Hummer (Lovisa: „war früher ein Arme-Leute-Essen“) sowie Kalmare, Taschenkrebse und Garnelen gefangen.
Langusten, die auf den fachfrauischen Blick keine hohe Qualität versprechen, werden zu – Wurst. „Wir wollen nichts verschwenden, was wir mit unseren Körben aus dem Meer holen“, so Lovisa. Ihr Mann fange Hummer und Garnelen mit Körben, nicht mit dem Schleppnetz. Das sei umweltverträglicher.
Lovisa entpuppt sich als Allrounderin und hat zusammen mit der Grafikerin Lisa Hut Sandgren ein Bilderbuch in der lokalen Sprache von Läjet publiziert.
Frischer Fisch aus dem Meer dominiert auch die Speisekarte des exzellenten „Monique“ am Apelviken-Strand. Leider ist der Wind so stark, dass das Sashimi mit Ponzusoße und Ingwer sowie der saftig-zarte Kabeljau mit Sandefjordsoße und Seehasenrogen nicht auf der Rooftop-Terrasse mit weitem Blick über den Surfer-Beach serviert werden kann.
100 Kilometer weiter im Osten stehen nahe der Grenze zwischen Halland und Småland die falunroten Holzhäuser von Malin Ekwalls „Tiraholms Fisk“ am Bolmen-See. Ein Muss für Fischliebhaber sind die frisch aus dem See gezogenen Zander.
„Einige der Regenbogenforellen für die Tag für Tag um die 300 Gäste im Restaurant, das meine Mutter Vicky leitet, kommen aus nachhaltiger Zucht im See“, so die Chefin des Betriebs. Malin sieht meine hochgezogenen Augenbrauen: „Keine Sorge, der Bolmen-See liefert Trinkwasser für eine Million Menschen. Die Qualität des Wassers wird in engen Abständen überwacht, da hinten haben die Techniker ihr Büro.“ Antibiotika kämen nicht zum Einsatz.
„Und wie ist es mit Überfischung?“, werfe ich ein. „Aktuell haben wir mehr Zander im See, als gefangen werden kann. Deshalb wurden sogar vorübergehend die Mindestgrößen gesenkt. Die Tiere vermehren sich natürlich, wir brauchen keinen Fischbesatz mit gezüchteten Jungfischen!“
Oft gehen zudem Brassen ins Netz, die „nutzen wir vor allem als Köder für Krebse, als Speisefisch sind sie nicht erste Wahl.“ Auch Aale werden gefangen, über Nadelholz geräuchert sind sie wirklich delikat. PS: Erreichen Männchen nur Längen von 60 Zentimetern, kommen weibliche Tiere auf bis zu 1,50 Meter.
Zum Abschluss lässt Malin auftragen: Zander-Bäckchen, eine Trilogie aus Hechtpastete, kalt geräucherter Regenbogenforelle und geräuchertem Aal sowie in der Pfanne gebratenen Zander mit Frühlingskartoffeln.
Dazu wölbt sich knallblauer Himmel übers Land, auf dem See schaukelt die Floating Sauna für die Gäste des Holz-Hotels der Familie Ekwall. Auf der Plattform im See legen immer wieder Motorboote mit Gästen aus der Umgebung an, die in Vorwegnahme des nahen Mittsommerfests das Leben in Weiß und mit kühlem Weißwein zelebrieren. Da ist es wieder, das Halland-Hoch.
Küstbarkeiten: Seekajak-Tour und Strandwandern
Das „Kottehusen“ dient als Basislager für die Erkundung der Küste zwischen Halmstad und Tylösand. Beim Strandrestaurant „Söderpiren“ kuscheln sich fünf hölzerne Rundhütten zwischen die Dünen. Kuschelige Unterkünfte, die fast nur aus Bett bestehen, der Rest spielt sich auf der kleinen Holzveranda respektive im Bade- und Toilettenhäuschen ab.
Nach links sollte man nicht blicken. Keine 500 Meter Luftlinie sind es bis zum Hafen mit Silos, in dem Containerschiffe und Fähren festmachen. Das ist optisch ernüchternd und morgens ab fünf nicht zu überhören.
Am seichten Västra Stranden von Halmstad endet am Vorabend die schöne Seakayak-Tour, die vom Promi-Strand Tylösand zehn Kilometer die Küste entlangführte. Während wir durch erfrischend lebhafte See paddeln, erzählt Guide Fin Madden von den hohen Immobilienpreisen in dieser Ecke und davon, dass im Hafen von Halmstad gegen viel Geld jede Menge Müll aus Italien und Deutschland lande.
Der werde dann in der Müllverbrennungsanlage, die als eine der modernsten Europas gelte, mittels Pyrolyse (im Klartext Verbrennung) zu Strom, den man bei Dunkelflauten an Deutschland verkaufe. Das sei doch „ein supersmartes Geschäftsmodell“.
Am Folgetag geht es zu Fuß auf dem 18 Kilometer langen Prins Bertils Stig in die entgegensetzte Richtung. Der Wanderweg führt meist unter Bäumen die Felsküste entlang. Die Sonne brennt vom Himmel, die Luft duftet nach Pinienharz wie im Süden. Da kommt ein Bad in der 15 Grad kühlen Ostsee gerade recht. Am Badeplatz Svärjarehalan tanzen weder Braunalgen noch Seegras in der sanften Brandung. Das Wasser ist klar und herrlich erfrischend.
Danach sind es 20 Minuten bis zum Restaurant „Fyr“ in Tylösand. Nach über 15 erfolgreichen Jahren als Mitinhaber des mit zwei Michelin-Sternen ausgezeichneten Stockholmer „Gastrologik“ kehrte Jacob Holmström mit seiner Frau Emelie in seine Heimatstadt zurück und eröffnete dieses lässige Strandrestaurant mit offener Küche und Sonnen-Terrasse. Für 195 Kronen bekommt man dort als „Dagens Lunch“ exzellenten pochierten Pollack mit Miesmuschel-Frikassee oder gegrilltes Kalb mit Estragon-Emulsion und Kartoffelsalat.
Ab in den Wald: Öko-Camping mit Badesauna
Kroksjöns Skogsretreat verspricht Eco-Glamping am gleichnamigen, knapp einen Kilometer langen See. Vier geräumige Canvas-Zelte auf Holzplattformen mit Holzöfchen für kältere Nächte stehen auf einer kleinen, nur per Ruderboot erreichbaren Halbinsel, in der Nähe des Küchenzelts und oben im Wald am Steilhang. Duschen gibt es keine, man reinigt sich im See. Die Gemeinschaftstoilette unter einer hohen Fichte ist Modell Plumpsklo.
Auf dem See warten Ruderboote, ein Kanu sowie eine schwimmende Sauna. Freiwasserschwimmer sind gut aufgehoben, das Wasser hat Mitte Juni gut und gerne 22 Grad.
Für Frühstück und Abendessen bekommen die Glamping-Gäste Boxen mit lokalen und saisonalen Zutaten sowie passende Rezeptvorschläge bereitgestellt. Gekocht wird über offenen Holzfeuern in Eisenschalen. Der zentrale Treffpunkt nicht nur fürs Kochen und Geschirrspülen ist das große, an den Seiten offene Küchenzelt.
Dort aber fangen sich, den Gesetzen der Physik folgend, Rauch und Feinstaub. So kratzt früher oder später der Hals und man wünscht sich als Alternative einen Gasherd zumindest für das Tee- und Kaffeewasser am Morgen. Für die CO2-Bilanz des Kroksjons Retreat wäre das auch gut.
Der absolute Hit im Kroksjöns Skogsretreat ist die Sauna auf dem See, die man mit Holz auf Betriebstemperatur bringt. Nur zwei Schritte sind es bis ins kühle Wasser, die Holzplattform ist ideal für ein kurzes Sonnenbad. Am ersten Nachmittag teile ich mir die windstille, sonnige Ecke ungewollt mit einer putzigen Ringelnatter, die meine Usurpation mit Befremden beobachtet.
Da es selbst abends um zehn Uhr noch taghell ist, lässt sich der Weg zum Zelt und zur Toilette ohne Taschenlampe bewerkstelligen.
Wem das zu sehr nach Entbehrung klingt, der bucht sich im Strandhotel „Tylösand“ bei Halmstad ein. Ex-Popstar Per Gessle von Roxette (wer die noch kennt, ist Best-ager) übernahm das Hotel 1995 und schuf mit Per Gessle ein modernes Strandhotel mit 230 Zimmern. Dort zeigt Schwedens größte Kunstgalerie auf über 23.000 Quadratmetern Werke weltbekannter Fotografen und Blechliebhaber genießen die Joyride Car Collection mit einzigartigen Fahrzeugen aus der Sammlung von Per und Åsa Gessle, vor allem Ferrari.
Surreal: Große Kunst auf der Wiese
Das kleinste Stück Kunst des Mjellby Art Museum mitten im Grün zieht viele Streetart-Fans aus dem Ausland an. Oberhalb eines großen Mosaiks von Bazaine im Innenhof „prangt“ ganz links oben ein Werk des französischen „Unidentified Free Artist“ mit dem Nom de Plume Space Invader.
Das Museum selbst hat mit Streetart wenig am Hut und ist vorrangig dem nordischen Surrealismus der Halmstad Group, die aus Sven Jonson, Waldemar Lorentzon, Stellan Mörner, Axel Olson, Erik Olson und Esaias Thorén besteht, und dem Künstler Gösta Adrian-Nilsson aka GAN gewidmet.
Zu sehen sind viele heitere Sommerszenen zwischen Meer, Dünen, Fischerhäfen und Wald. Ganz reale Motive und Szenerien, wie sie dem Halland-Besucher Tag für Tag begegnen. Nur mit surrealem Pinselstrich.
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Info Halland
Anreise
Flug nach Kopenhagen und Zug nach Halmstad oder Flug nach Göteborg und Zug nach Halmstad