Sommerurlaub auf einer der 20.000 Inseln des Turku-Archipels? In einem finnischen Sommerhaus am Meer, dem Mökki? Wir haben’s getestet – waren total begeistert
Peter, wo fahrt Ihr kommenden Sommer hin?“ „Nach Finnland!“ „Haha, guter Witz. Komm’ jetzt, im Ernst!“ „Ganz im Ernst, nach Finnland“ „Um Gottes Willen. Da ist es doch nur kalt und regnerisch, man kann nicht schlafen, weil es nachts nicht dunkel wird, und die Mücken fressen einen auf… Ob das ein schöner Urlaub wird? Ich drück euch die Daumen…“ Mitleidige Blicke, Kopfschütteln. Wie kann ausgerechnet ein Reisejournalist seiner Familie so etwas antun…
Vier Monate später. Anfang August. Insel Korpo, im Herzen des Turku-Archipels. Tag fünf unseres Urlaubs im Mökki. Sonnentag Nummer fünf. Stress, purer Stress. Ich liege müdegeschwommen in der Sonne. Unter der Badeplattform gurgelt, blobbt und schworbt die Ostsee. Leichter Wellengang. Strahlendblauer Himmel.
Das Meerwasser tropft vom Körper, zeichnet Muster aufs sonnengebleichte Holz, die schnell wieder verdampfen. Leichtes Frösteln. Der Wind frischt auf, schaufelt weiße Krönchen auf die Wellen. In den Geruch des Meers mischt sich eine würzige Pinien-Brise, die die Bäume über uns ausschwitzen. Sekundenschlafmoment.
Grillenschwimmendosenbier
Plötzlich ist es wieder da, dieses typisch finnische Problem: Werfe ich erst den Grill an, um den legendären Makkara-Würsten ein wenig Braun in die todesbleiche Pelle zu brutzeln? Oder hacke ich Feuerholz für die Sauna wenige Meter von mir am Meer?
Beheizt wird die Sauna unseres Mökki mit einem Holzofen, natürlich. Alles andere wäre ein Sakrileg und fast noch schlimmer, als beim Schwimmen in die Ostsee zu pinkeln. Das möge man um Himmels – und der Umwelt – Willen tunlichst unterlassen, ermahnt eine Broschüre vom Tourist Office in Nagu.
Ich drehe mich auf den Bauch, lasse mir den Rücken wärmen und blinzle über die Sonnenbrille hinweg. Grill und Hackstock haben Zeit. Erst nochmal ins Meer. Und dann ein wenig Yoga. Danach sehen wir weiter.
So geht das seit Tagen. Man wird zum Faultier und Prokrastination zur Pflicht. Die finnischen Sommertage sind lang, gut 16 Stunden. Die Sonne geht Anfang August erst gegen halb zehn unter und funzelt noch bis kurz vor elf über den Horizont, um sich am Folgetag um halb sechs schon wieder sehen zu lassen. Lange Tage, nichts zu tun.
Aus dem Bett ins Meer
Der Wind lässt nach, die milde Sonne schmeichelt der Haut. Das mit dem Yoga lasse ich nach fünf Minuten. Bin zu faul beziehungsweise entspannt für Krähe, Krieger und Konsorten. Den Mittag verbringen wir, wie wir in den Morgen gestartet waren: Raus aus den Federn, ein paar Schritte zum Meer und dann nackt ins Wasser.
Das empört keinen. Nachbarn, die indigniert sein könnten, gibt es in der Nähe nicht. Um jedes Mökki zieht sich eine unsichtbare Bannmeile von mehreren hundert Metern. Dafür sorgen schon die großzügigen Grundstücke. Finnland ist groß, seine Bevölkerung klein. Da verdichtet man nicht.
Mittags-Arschbombe in die Ostsee. Die hat 17 Grad, ist glasklar, kaum salzig. Schwimmen, bis die Kälte spürbar wird. Danach angeln wir mit Schnur und Haken. Zum Erstaunen meiner Tochter und meinerselbst mit Erfolg: Am ersten Tag ziehen wir sieben Flussbarsche aus dem Meer. Leider (oder zum Glück, wenn ich sehe, wie der Nachwuchs mit dem Knüppel für den finalen Schlag auf dem Steg steht?) alle zu klein, so dass wir sie wieder freilassen.
Also doch wieder Makkara-Würste vom Grill, auch wenn die Küche des Mökki „Tornvillan“ komplett ausgestattet ist. Aber irgendeine Rauchfahne muss wohl immer über dem Mökki stehen.
Bürosesselpupser, aufgepasst!
Fischtechnisch etwas erfolgreicher war unser Ausflug mit Anna und Ben Schütt, den netten Vermietern unseres „Hinders“-Mökki auf der Insel Nagu. In einem kleinen Motorboot geht es raus aufs Wasser, wo wir mittags am Bug balancierend drei 150 Meter lange Netze ausbringen.
Abends holen wir die Netze wieder ein: drei Barsche. Die filetiert uns Ben gekonnt und im Handumdrehen. Dann landen sie in der Pfanne, mit frisch im Wald gesammelten Pfifferlingen eine Gaumenfreude. Sogar die Tochter, die sonst niemals Fisch isst, mampft munter mit.
Das war fast das Aufregendste und Anstrengendste unserer Tage im „Hinders“-Mökki #8. Nicht zu vergessen: der Riesenelch, der uns schon am ersten Abend auf dem Nachhauseweg in die Quere kommt. Die Kreuzotter, die auf der pippilangstrümpfigen Insel Nötö einen Meter vor uns im Gebüsch verschwindet, als wir zum tief im Wald versteckten Glockenfelsen Klockarsten marschieren.
Und natürlich das ein wenig bange Warten auf die „MS Eivor“, die uns dort abgesetzt hat und nach ihrer Tour durchs Archipel einige Stunden später wieder abholen soll – nur auf Zuruf per Handy, nicht nach Fahrplan.
Mökki dich weg
Immer schneller, immer mehr, so ist unser Alltag. Die Antwort der Wellnesserfinder, Wellbeing-Berater und Lebensverbesserer: Entschleunige dich! Detoxe dich! Übe dich in Achtsamkeit! Das klingt leider lustlos, asketisch und nach Verzicht. Oder nach teurer, pflichtbewusster Selbstoptimierung mit einem Hauch von Weißkittelstrenge.
Das muss nicht sein, wissen die Finnen schon längst: Mökki dich weg! So ein Urlaub im Sommerhäuschen verbindet Entspannung und Wellness mit Genuss und Spaß. Drei, vier Saunagänge jeden Tag, dazwischen ins kalte Meer. Das bringt den Kreislauf auf gesunde Touren.
Nichts los, aber das reichlich
Weitere Therapie-Angebote nach Mökki-Art: Lang ausschlafen. Viel frische Meerluft. Blaubeeren (Mustikka) futtern, die wachsen, wie die flauschigen Moosflokatis, wohin man tritt. Überall und immer.
Man muss sich nur bücken, will man den Körper vollpumpen mit Polyphenolen, jeder Menge Ballaststoffe sowie Eisen, Kalzium, Magnesium und Kalium, anregenden Caffeoylsäuren sowie massenhaft Vitaminen. Powerfood aus dem Wald. Ungespritzt (und ohne Fuchsbandwurmgefahr!), ohne Plastikverpackung und wirklich „zero kilometer“.
Wie schön schworbt die See
Keine Ablenkung, das Handy bleibt aus! Zeit, jenseits vom Alltags-Gedöns mit dem Kind zu reden, rumzusinnieren, wichtigste Fragen erörtern. Wozu sind Zecken eigentlich gut? Warum schwimmt der Süßwasserfisch Flussbarsch im Meer? Wie beschreibt man den Meergeruch am besten? Was fließt denn alles in das Meer, dass es so wenig Salz hat? Am Ende auch das, was in den Plumpsklos landet?
Warum bekommt man Bier im Supermarkt nur in Dosen, wo landen die alle? Warum sind die Sommertage in Finnland so lang. Warum lagert man Köderwürmer im Kühlschrank? Mit welchen Begriffen kann man die unterschiedlichen Klänge des Meeres beschreiben (schworben fanden wir gut)? Warum ist es nach Sonnenuntergang noch so lang so hell. Warum ist der Horizont nachts erst blau und dann flammrot? So wichtige Fragen halt.
Hot Cocooning in der Mökki-Sauna
Das Mökki ist, wie die Sauna, integraler Bestandteil der finnischen Lebensart, am Ende gar genetisch verankert. Im Mökki findet der Finne zu sich. Zieht sich zurück aus dem Irrsinn des digital getunten Alltags. Reduziert sich aufs Wesentliche: Saunieren, Grillieren, Sinnieren, Schwimmen. Kein Adrenalin, keine Action. Stattdessen setzt man aufs Glückshormon Serotonin. Der nächste lange und dunkle Winter will stimmungsmäßig bewältigt werden.
Die Sauna ersetzt Meditation. Dasitzen und schwitzen, Aufguss für Aufguss, bis man der herrlichen Höllenhitze des Ofens entflieht, ein paar Schritte barfuß über den nadeligen Waldboden stapft und im spiegelglatten, kalten Meer untertaucht. Dann auf dem Granit-Liegethron das obligate Sauna-Bier zischen. Dazu flammt und leuchtet der Abendhimmel.
Und wieder rein in die 90 Grad heiße, nach Harz riechende Hot-Cocooning-Höhle. Nochmals ein paar Birkenscheite nachgelegt, die den Ofen zum Knallen und Scheppern bringen. Ein Aufguss – und der Schweiß schießt dir wieder aus allen Poren. Herrlich. Drei, vier Gänge und es macht sich eine herrliche Wurstigkeit breit.
Kleine, heile Welt im Mökki
Man will keine Nachrichten sehen aus der verrückten, lauten Welt da draußen. Rückzug. Total. Das tut gut, man gewöhnt sich daran. So sehr, dass man sich nach zwei Stunden im winzigen Hafenort Nagu, in dem außer ein paar Seglern kaum ein Mensch unterwegs ist, schon wieder zurück will. Fast zu voll hier. Fast zu viele Menschen. Aber keine Rückkehr ins Mökki, ohne am großen Badesteg ins Wasser gegangen zu sein und auf den riesigen Granitbouldern ein Sonnenbad genommen zu haben.
Die Zeit verstreicht, wundersam entspannt. Ein Sonnentag folgt auf den nächsten. Mildes Licht, milde Wärme, weißes Puschelgewölk am Himmel. Vielleicht sollten wir morgen nochmals einen Ausflug mit der „MS Eivor“ machen und durchs ganze Archipel bis zu den letzten Inseln vor dem offenen Meer schippern? Oder nochmals ausgiebig über diesen fluffigen, weichen Moosboden marschieren, in dem man bis zu den Knöcheln versinkt. Vielleicht. Vielleicht übermorgen. Oder an einem Regentag? Aber morgen scheint wieder die Sonne – wie an neun von zehn Tagen unseres Urlaubs.
Mökki-Knigge
Es gibt einfachste Mökkis, manche draußen auf einer kleinen, einsamen Insel, Mökkis in Resortanlagen und private Luxus-Mökkis in Form voll ausgestatteter, großer Blockhäuser wie das von uns besuchte „Tornvillan“. Die Einrichtung spiegelt den Geschmack der Besitzer wider, ist in der Regel rustikal und gemütlich, selten modern. Viele Mökkis im Turku-Archipel haben externe Plumpsklos. Zur Ausstattung vieler Mökkis gehört außerdem ein Ruderboot – und das “Tikkataulu”, eine Dart-Scheibe.
Dos and Don’ts
Sauna ist ein Muss für jedes anständige Mökki. Meist eine eigene Hütte nah am Wasser und mit Holz beheizt. Als Gast hält man sie sauber, reinigt den Ofen und sorgt dafür, dass die nachfolgenden Gäste genügend Holz parat haben. Oft dient der Vorraum auch als Badezimmer. Don’ts and Dos: Müll trennen. Pfleglicher Umgang mit der Einrichtung. Vorsicht mit offenen Feuern. Ruderboot an Land ziehen und fest vertauen. Tabu sind Rauchen im Mökki (Brandgefahr!) und den Nachbarn auf die Pelle zu rücken.
Lust auf mehr Finnland? Oder Norwegen?
Finnland. Turku-Archipel
INFO MÖKKI-URLAUB
Inseln des Archipels
Der finnische Schärengarten, ein Geschenk der letzten Eiszeit, ist die östliche Fortsetzung des schwedischen Schärengartens und der Åland-Inseln – und einer der größten Meeres-Archipele der Welt mit über 20.000 Insel und Inselchen (=Schären). Ein Teil davon bildet den streng geschützten, 500 Quadratkilometer großen Saaristomeri-Nationalpark.
Blaualgen
Können sich in heißen Sommern und nach eisarmen Wintern wegen des überdüngten Ostseewassers explosionsartig vermehren und dann den Badespaß verderben. Aktuelle Vorhersagen gibt’s hier
Fähren
Sind bis auf die Strecke zwischen Nagu und Hanka mit der „MS Östern“ kostenlos. Gilt auch für die große, zehnstündige Rundfahrt mit der „MS Eivor“
Archipelago Trail
Ein rund 200 Kilometer langes Netz aus Straßen, Brücken und Fähren, das eine Rundtour über viele Inseln möglich macht. Tipp für Radfahrer, weniger aber für Familien mit Kindern, da man meist auf der Hauptverkehrsstraße unterwegs ist – Radwege sind leider Mangelware.
Mökki-Empfehlungen
Hinders
Ben und Anna Schütt unterhalten im Südwesten der Insel Nagu elf Mökkis mit Platz für bis zu sechs Personen, alle weit von einander getrennt. Drei am Meer, fünf an einem See im Hinterland und drei auf vorgelagerten Mini-Inseln. Rustikale Einrichtung, komplett ausgestattete Küche, SUPs, Ruder- und Motorboote sowie Fahrräder zum Mieten sowie ein kleiner Shop mit Angel- und Grillzubehör. Ideal für Angler und wunderbare Lage in einem wildreichen Wald. Ein Mökki kostet mit Endreinigung, Bettwäsche und Handtüchern für drei Personen ab 630 Euro pro Woche.
hinders.fi/en/
Tornvillan
Eine Insel weiter auf Korpo steht dieses große Blockhaus-Mökki der Familie Ahlgren mit viel Platz, großer Sauna, Grillplatz und herrlicher Badeplattform am Strand. Woche mit Endreinigung im Juli/August ab 1.100 Euro. In 15 Gehminuten ist man im Hotel Nestor und dessem Restaurant „Back Pocket“, in dem der junge William Hellgren nordisch inspirierte feine Küche serviert – mit frischem Fisch, Rentierfleisch, Beeren und Wald-Pilzen.
tornvillan.fi