Santa Monica Pier ist ein quirliges Wahrzeichen von Los Angeles. Dabei war nicht immer alles so rosig wie der Sonnenuntergang. Denn die Gegend rund um die Seebrücke blickt auf eine bewegende Geschichte zurück – und überstand viele Gefahren.
Sie sind über 100 Jahre alt, hölzern und doch elegant – aber leider stumm. Denn wenn die 44 Karussellpferde am Santa Monica Pier sprechen könnten, würden Hollywoods Klatschreporter Schlange stehen für eine Fahrt im Hippodrom. Immerhin haben hier Stars wie Sandra Bullock Filme gedreht, für Marilyn Monroe war der Ort eine Zuflucht, Joan Baez traf sich mit Boho-Freunden, Tarzan surfte die Wellen und ein junger Arnold Schwarzenegger ließ am Strand die Muskeln spielen.
Robert Redfords tiefe Verbundenheit mit Santa Monica Pier
Und dass Robert Redford schon als kleiner Junge auf den handgefertigten Pferden seine Runden drehte und ihnen später das Leben rettete, ist ohnehin der Stoff, aus dem Filmlegenden entstehen. Redford fühlt sich eng mit Santa Monica Pier verbunden – dem Oscar-prämierten Schauspieler hat sich das Karussell als eine seiner „ersten Kindheitserinnerungen ins Gedächtnis eingebrannt“, schreibt er im Vorwort des Buches „Santa Monica Pier. America´s Last Great Pleasure Pier“ von James Harris.
Harris, großgewachsen und selbst einen Hauch Old-School-Hollywood ausstrahlend, ist seit mehr als zwei Jahrzehnten der Geschäftsführer der Santa Monica Pier Restoration Corp. Sprich: Er kennt nicht nur jedes einzelne Holzpferd, sondern auch viele der Geschichten, die die stummen Zeitzeugen hier im Kreis drehend miterlebt haben – „wenn auch sicher nicht alle Details“, sagt Harris.
Ständige Gefahren: Feuer, Stürme, Abriss…
Eine Sache weiß der passionierte Historienfan aber ganz genau: Santa Monica Pier war seit der Eröffnung 1909 mehrfach in Gefahr, komplett zu verschwinden – aus den unterschiedlichsten Gründen. Zuletzt mussten die Anwohner in der Nachbarschaft Anfang Januar 2025 zitterten, als riesige Brände ganze Stadtteile LAs zerstörten. „Das Feuer kam bis auf etwa vier Kilometer an den Pier heran“, erinnert sich Harris. „Auf vielen Fotos sah es näher aus. Glücklicherweise trieb der starke Wind die Flammen aber parallel zum Pier.“
Und wenn sich der Wind gedreht hätte? Harris zuckt zusammen, als hätte ich mit einer Ohrfeige gedroht und wringt die Hände: „Den Gedanken möchte ich nicht zu Ende führen.“ Zwar habe die Stadt bereits vorsorglich umfassende Brandschutzmaßnahmen getroffen wie mit einem modernen Feuerlöschsystem unter dem Pierdeck – „aber Feuer ist unberechenbar, das haben wir in diesem Jahr nur zu deutlich gesehen.“
Für den Pier war es laut Harris ein weiteres Kapitel in seiner Geschichte der Widerstandsfähigkeit und seiner besonderen Rolle als Treffpunkt: „Denn nach den Bränden fanden hier Veranstaltungen statt, um den Brandopfern zu helfen und der Community ein Gefühl des Zusammenhalts zu geben.“
1974: Brandstifter am Santa Monica Pier
Dabei müssen es nicht immer Waldbrände sein, die lodern. „1974 gab es ein schweres Feuer direkt auf dem Pier. Damals setzten Brandstifter eine Mülltonne in Brand, und die Flammen griffen auf das Hippodrom über. Die Schäden waren enorm, das Gebäude musste monatelang geschlossen bleiben“, sagt Harris. Fünf Jahrzente und mehrere Renovierungen später ist davon längst nichts mehr zu sehen.
Die Fähigkeit, Herausforderungen zu trotzen und sich dabei immer wieder neu zu erfinden, prägt die bewegte Geschichte des Piers seit seinen Anfängen – und die waren kein bisschen glamourös.
Bescheidene Anfänge der heutigen LA-Ikone
Heute ein Mekka für durchtrainierte Strandsportler, Surfer und Sonnenanbeter, steckte hinter dem Bau eine nüchtern pragmatische Idee: Die Seebrücke sollte unansehnliche Abwasserrohre über die Brandung hinausführen und behandeltes Abwasser sicher vom Ufer entfernt ins Meer leiten.
Schon bald nutzten die Anwohner die Anlage aber als Promenade, 1916 kam das von Charles Looff handgefertigte Karussell hinzu, der Vor-Vorgänger des heutigen „Philadelphia Toboggan Company #62“-Karussells. Bisweilen skurrile Vergnügungsattraktionen folgten und fundierten den quirlig-bunten Charme von Pacific Park, dem einzigen eintrittsfreien Vergnügungspark in LA County.
Vor allem während und nach der Rezession 1929 erlebte der Pier deshalb seine erste Blütezeit: Die Bewohner LAs suchten nach günstigen Freizeitoptionen und fanden sie bei Ballspielen – der Legende nach wurde am Strand das Beach-Volleyball-Doppelspiel erfunden – oder Anfang der 1930er beim Surfen. Der legendäre Rettungsschwimmer Tom Blake fertigte hier das erste Paddleboard an, das in den 1940ern einen Siegeszug antrat.
Auch fürs Auge wurde schon viel geboten: Am „Muscle Beach“ fanden ab 1934 auf einer Plattform akrobatische Sportspektakel statt, bei denen gymnastisch begabte Frauen und Männer ihr Können vorführten und ihre Muskeln spielen ließen.
Der Mythos des offiziellen „Birthplace of the Fitness Movement“ wanderte bald um die Welt – ein junger Bodybuilder names Arnold Schwarzenegger sagte später, dass ihn Muscle Beach magisch angezogen habe und mit ein Grund für seinen 1968er-Umzug in die USA war.
Schon in den 1930ern hip: Die Lifeguards von Santa Monica
Zudem sorgten lange bevor sich Pamela Anderson und David Hasselhoff in „Baywatch“ als Rettungsschwimmer in die Wellen stürzten, am Santa Monica Pier gutaussehende athletische (damals nur männliche) Lifeguards für Sicherheit.
Mit der gestählten Truppe trainierte in den 1930er Jahren kein Geringerer als Olympiasieger und begeisterter Surfer Johnny Weissmüller, besser bekannt als Tarzan. Filmreif rettete er im August 1933 sogar dem zehnjährigen Bobby Wheeler das Leben, als der Junge sich in Seetang verfangen hatte.
Wilde Partys in den wilden 70ern
„Es gibt einige Geschichten, die sich kein Drehbuchautor besser hätte ausdenken können“, sagt Harris und zeigt in den verwinkelten Räumen oberhalb des Karussells auf ein Bild von Folk-Legende Joan Baez, die regelmäßig im Apartment der Künstlerin Colleen Creedon übernachtete und legendäre Boho-Partys schmiss.
Damals wurden die Zimmer im Hippodrom noch als Wohnungen vermietet: Schriftsteller, Schauspieler und auch Wissenschaftler lebten Jahrzehnte lang über den Pferden – bis das Feuer von 1974 einen Großteil der Räume zerstörte.
So viele Legenden: Die mysteriöse Frau am Karussell
„Meine Lieblingsgeschichte ist aber die der mysteriösen Frau, die in den 1960ern regelmäßig das Hippodrom besuchte und immer allein von einer melancholichen Aura umgeben das Karussell beobachtete“, sagt Harris, während sich die Pferde geduldig zur klimpernden Musik im Kreis drehen.
„Eines Tages sprach der damalige Betreiber Jockey Stevens sie an und entdeckte, wer sich hinter der Perücke und der Sonnenbrille verbarg: Marilyn Monroe. Dieser Ort schien für sie eine Flucht vor einem turbulenten Leben zu sein“, sinniert Harris.
Adrenalin-Junkie? Welcome to Pacific Park!
Während das Karussell eine charmant-langsame Attraktion ist, bietet der Pacific Park reichlich Adrenalin für Abenteuerlustige. Zu den zwölf Fahrgeschäften gehören heute die Achterbahn West Coaster, die neue Schiffsschaukel Sea Dragon und das erste solarbetriebene Riesenrad der Welt.
Auch wenn mir in den offenen Schaukeln 40 Meter über dem Meeresspiegel etwas mulmig ist: Der Blick über die südkalifornische Küste – mit Venice im Süden und Malibu im Norden – ist gigantisch.
Eine Fahrt im Riesenrad kostet 17 Dollar. Wer alle Fahrgeschäfte mal ausprobieren möchte, sollte sich das „Unlimited Ride Wristband“ für 50 Dollar (30 Dollar für Kinder unter sieben) gönnen.
Mit angrenzenden Attraktionen wie dem Aquarium, der Trapezschule, sowie Shops und Cafés kann man hier locker den ganzen Tag verbringen oder auf einem Leihfahrrad ein Stück des 35 Kilometer langen Marvin Braude Bike Trails entlangfahren – die Einheimischen nennen ihn schlichtweg „The Strand“.
Fischen, Sonnen, Surfen… oder doch lieber Happy Hour?
Alternativ gesellt man sich je nach Lust und Laune zu den Surfern, Sonnenanbetern und Fischfang-Freunden am Pier. „Der Fang ist prima“, sagt Jim und zeigt auf die mit Barschen gefüllten Kisten der Angler, die geduldig am Holzgeländer stehen.
Ich bin weder Angel-Fan noch Surfer, dafür aber immer für eine Runde Beachvolleyball zu haben – und für eine anschließende Happy Hour mit salziger Meeresbrise sowieso. Mit über 400 Restaurants gibt es im wuseligen Stadtteil Santa Monica massig Auswahl von lässigem Beach-Flair über klassisch Amerikanisch bis hin zu Schickimicki.
Santa Monica ist mehr als nur Beach Town
Gegenüber vom Pier und von der Ocean Avenue beispielsweise warten auf der Dachterrasse des „LouLou“ von 15 bis 18 Uhr Snacks wie Calamari, Thunfisch Tacos und Ceviche zu speziellen Happy-Hour-Preisen (Cocktails und Weine gibt es dann für 12/10 Dollar).
Leute gucken ist auf der Terrasse des knallblauen historischen „The Georgian Hotels“ ein Sport, während an der Bar des „Water Grills“ vor allem die (noch) lebenden Hummer faszinieren. „Birdie G´s“ wiederum verspricht „Supper & Cocktails“ und Spitzenkoch Jeremy Fox kreiert beides mit hippem Einfallsreichtum und lokalen Hightlights vom Santa Monica Farmers Market. Auch bekannt als „Markt der Köche“ bekommt man hier mittwochs und samstags über vier Blöcke verteilt die frischeste Produkte der Region.
Fototermin: Das offizielle inoffizielle Ende der Route 66
Gleich um die Ecke – an der Kreuzung von Lincoln Boulevard und Olympic Boulevard – endet übrigens auch die Route 66, die 2026 ihren 100sten Gebursttag feiert. Wem das handliche Route-66-Schild vor dem kleinen Visitor´s Center nicht aussakräftig genug ist: Auf dem Santa Monica Pier steht ein vier Mal so großes „End of the Trail“-Zeichen, das sich auf Fotos wesentlich imposanter macht. Dafür muss man allerdings meistens gut zehn Minuten anstehen.
Und auch direkt am Pier wird geschlemmt, natürlich schön mit Blick auf den Strand und Pacific Park: Das „The Lobster“ serviert seit 1923 feine Meeresküche – heute steckt der sympathische Celebrity-Chef Govind Armstrong hinter den delikaten Kreationen. „Forest Gump“-Fans können sich bei Bubba Gump Shrimp Co. satt essen und nebenbei allerhand zum Erfolgsfilm erfahren.
Schlemmen am Pier: Seefood und noch mehr Seefood
Am Wochenende zu voll, aber unter der Woche ein relaxter Spot auf dem Pier: „The Albright“ versprüht mit einer Runde Austern oder gegrilltem Hummer auf der von Palmen umgebenen Terrasse authentisches Küstenflair. Die New England Clam Chowder, serviert in einer Brotschale, ist meine Lieblingsoption an einem wolkigen, etwas rauerem Meerestag… dann im Wintergarten sitzend. Denn ja, auch solche Tage gibt es in LA.
„Bisweilen sind die Stürme hier so stark, dass auch der Pier in Gefahr gerät“, sagt Harris beim Spaziergang über die hölzernen Planken. Besonders tragisch wüteten 1983 eine Reihe von El-Niño-Unwetter.
El-Niño-Stürme: Es ist nicht immer sonning in Kalifornien
„Die Wellen waren bis zu drei Meter hoch und verschluckten das untere Fischerdeck.“ Die Stadt schickte schnell einen Kran an das westliche Ende des Piers, um die Schäden zu beseitigen. Doch kurz darauf kam ein weiterer Sturm auf, der den Kran ins Meer stürzte und ein Drittel des Piers zerstörte“, erinnert er sich. Das kostspielige Desaster führte dazu, dass die Stadt Betonstrukturen für die Stabilität hinzufügen ließ.
Das alles passierte nach dem größten Drama um den Pier überhaupt – dem möglichen Abriss. Anfang der 1970er entstand der Plan, anstelle der Anlage eine künstliche Insel mit Hotel, Kongresszentrum, Restaurants und Shops zu errichten. Der Stadtrat genehmigte die Vision, hatte aber nicht mit dem Ärger der Anwohner gerechnet: Aktivisten, Promis, Barkeeper und Fischer wehrten sich und innitiierten die Gründung der Pier Restoration Corporation, um die Santa Monica Pier zu erhalten.
Starpower zur Rettung von Santa Monica Pier
Unter den bekanntesten Fürsprechern für den Erhalt war Robert Redford. Seine Liebe zu Santa Monica Pier katapultierte den Hollywoodstar an die Spitze der Aktivistengruppe, und vertiefte sich durch die Dreharbeiten mit Paul Newman zu „Der Clou“ („The Sting“) nur weiter.
„Das Karussell wurde zum perfekten Hintergrund für das Chicago der 1930er, das wir im Film kreieren wollten“, erinnert sich der Schauspieler im Vorwort zum Buch von Harris: „Dieser Ort hatte bereits Jahre zuvor so viel Freude in mein Leben gebracht und meine Kindheit geprägt. Und dass sich meine reale Welt mit meiner Filmwelt vereinen konnte, hat mich tief berührt.“
Die Karussellpferde dankten Redford und den Aktivisten nach ihrem Erfolg zum Erhalt des Piers mit einem Dankesschreiben. Es ist heute am Hippodrom auf einer Plakette verewigt und erinnert dauerhaft an ein echtes Hollywood-Happy-End.
Lust auf noch mehr Meer und Strand? Wie wäre es mit den Seychellen, Kreta oder gar den Malediven? Und für eine anschließende Weiterreise von Las Vegan in den Norden von San Francisco und Umgebung hätten wir auch noch was.
Info Santa Monica Pier
Anreise
Lufthansa und Condor fliegen Los Angeles mehrmals die Woche direkt an. Wer LA und die Umgebung sehen will, sollte sich vor Ort ein Auto mieten. Wer in Santa Monica bleibt: Prima, hier läuft oder radelt man.
Unterkunft
Shutters on the Beach: Gehobene südkalifornische Strandatmosphäre. Das Hotel liegt direkt am Meer und ist auch bei Stars beliebt. Ab € 500/Nacht
Sandbourne: Eines der neuen Hotels in Santa Monica, das sich durch die warmen Sandfarben wie eine Küstenoase anfühlt. Ab € 400/Nacht
The Pierside Hotel: Budget-freundliche und trotzdem coole Unterkunft, bei der man im Handumdrehen vom Bett zum Strand gelangt. Ab €200/Nacht
The Georgian: Frisch renovierte Ikone, die den Charme der 1920er aufleben lässt. Der Aufpreis für ein Zimmer mit Meerblick lohnt sich, er geht direkt auf Santa Monica Pier. Ab € 500/Nacht
Web-Infos
Manuela Imre