Das geschichtsträchtige Surferstädtchen Sagres ist nicht nur wegen der Logenplätze am südwestlichsten Zipfel des Kontinents ein lohnenswertes Ziel
Gestern hat sich ein Minkwal im Hafen verirrt“, erzählt Christine, Biologin und Guide von Marilimitado, einem von drei Whalewatching-Anbietern im südportugiesischen Sagres. „Und da draußen“, sie zeigt aufs offene Meer Richtung Nordafrika, „sind noch viel mehr: gemeine Delfine, Gelbflossendelfine, Buckelwale, Pottwale, Haie, sogar Orcas. Wir zählen allein mehr als 30 Meeressäugerarten. Mal sehen, wen wir heute entdecken! Man weiß es ja nie.“
Spricht’s und lotst die zehnköpfige Gruppe in das schnittige Schlauchspeedboot. Wie auf Pferden sitzen die Passagiere da in Zweierreihen auf langen Sitzwürsten und staunen nicht schlecht, als das Boot mit bis zu 70 Stundenkilometern über das leicht bewegte Meer flitzt. Vor allem die Kinder und Jugendlichen kreischen vor Vergnügen, wenn es immer wieder zu kleinen Sprüngen und entsprechendem Bauchkribbeln kommt.
Bucht von Sagres, beliebte Wal-Heimat
Allerdings haben die weißgekrönten Wellenberge den Nachteil, dass sie die Sichtung deutlich erschweren. Zum Glück sorgen Funkkontakt mit anderen Booten und mit den Meeressäugern sympathisierende Meeresvögel dazu, nach einer Stunde Herumsuchen doch noch auf die richtige Fährte zu kommen: Rund zehn Delfine tollen ums Boot – mal zu zweit, mal allein, mal ganz nah. „Sie sind mit Jagen beschäftigt, sonst wären sie noch viel verspielter“, meint Christine, „sie lieben nämlich den Kontakt mit den Booten.“
Und Sagres-Urlauber, von denen ein Gutteil Backpacker und Surfer sind, lieben diese Touren. Was sie auch lieben: Wassersport von Surfen bis SUP sowie die entzückenden Cafés und Bars, die sich keine zehn Gehminuten vom kleinen Hafen entfernt in der netten Hauptstraße ballen. Viele haben Open-Air-Terrassen im ersten Stock und ermöglichen so attraktive Ausblicke auf die in maurischem Stil mit färbigen Fensterrahmen und prächtigen Rauchfängen ausgestatteten Häuser.
Huldigungen an Heinrich den Seefahrer
Ein weiterer Blickfang: das nahe Fortaleza, das mit seiner 43 Meter Durchmesser großen Windrose an den großen Heinrich den Seefahrer erinnert, der von Sagres aus Mitte des 15. Jahrhunderts die bahnbrechende Erkundung der afrikanischen Küste vorantrieb.
Auch im Blick: die rauen Felsen, denen die Felsalgarve ihren Namen verdankt und die unterhalb des 2.000-Einwohner-Ortes bis zu 50 Meter steil in den Atlantik abfallen. Wer Lust hat, seinen Puls hochzujagen, fährt mit dem Mountainbike den Klippentrail entlang …
Am nur wenige Kilometer entfernten Cabo São Vicente geht es noch weiter hinunter. Bis zu 70 Meter bricht dort die sanfte, karge Ebene von Sagres mit ihren kleinen Gehöften, Steinruinen und Hinkelsteinen abrupt ab. Schwer vorstellbar, dass manche Angler, die von hier oben ihre Rute in die tosende Gischt hinablassen, tatsächlich Barsche, Brassen, Makrelen und Tintenfische an den Haken bekommen.
Liebesschwüre unterm Leuchtturm
Gut vorstellbar hingegen, dass die romantische Szenerie schon zu etlichen Liebesschwüren und Hochzeitsanträgen geführt hat. Ein Stelldichein am südwestlichsten Ende Europas, nur die untergehende Sonne im weiten Meer im Blick (und den nahen rot-weißen Leuchtturm mit seinem 80 Kilometer weit strahlenden Lichtkegel): Das hat was – zumindest in der Nebensaison.
In den Sommermonaten hat das Unterfangen nur bedingt mit Romantik zu tun, dann gleicht das Plateau eher einem Rummelplatz mit mobilen Verkaufsbuden und Markttischen, wild parkenden Autos und auffallend vielen Wohnmobilen Marke Hippie-Style.
Alternative fühlen sich in Sagres ohnehin pudelwohl, nicht nur der Hostels und vorzüglichen Surf- und Tauchbedingungen wegen. Die Barlavento genannte Region westlich der „weißen Stadt“ Lagos ist der ruhige, dünn besiedelte Teil der Algarve. Ohne Bettenburgen, Golfplätze, Funparks und Krach, dafür mit viel Charme und Ruhe. Kurz: eine Traumregion für alle, die auf Entschleunigung und Individualität stehen und das Meer als Natur-Spa mit Salz und Jod lieben.
Nicht nur für Familien eine Top-Adresse
Dass es viel ruhiger als etwa bei Albufeira und Portimao zugeht, liegt neben der etwas weiteren Anreise (wobei man mit dem Auto von Lissabon in drei Stunden und von Faro in etwas mehr als einer Stunde vor Ort ist) vor allem am Costa Vicentina-Nationalpark, der tabu ist für Bebauungen jeglicher Art.
Das daran angrenzende „Martinhal Beach Resort & Hotel“ achtet auf seinem 40-Hektar-Areal auch besonders drauf, die ursprüngliche Vegetation zu belassen und nicht über zwei Stockwerke hinauszuragen.
Die dorfartige Anlage mit dem elegantem, aber zwanglosen Flair, designter ursprünglicher Algarve-Architektur, klaren Linien, mit piekfeiner, unaufdringlicher Spa- und Pool-Landschaft sowie traumhaftem Blick auf Sagres und den Atlantik, ist für Sagres ein echter Motor gewesen. Erst vor etwas mehr als zehn Jahren eröffnet, wird es mit internationalen Design- und Reisepreisen überhäuft. Selbstsicher nennt es sich „Europas führendes Familienresort“.
Indien meets Switzerland – in Sagres
Ganz bewusst haben sich das aus der Schweiz und Indien stammende Ehepaar Roman und Chitra Stern diesen Ort ausgesucht, wo Familien nicht allzu abgelenkt sind und sich auf sich selbst konzentrieren können. Und das tun auch die meisten.
Zwar wird Kinderbetreuung und ein buntes Aktivitätsprogramm angeboten, aber der Fokus liegt auf gemeinsamen Familienaktionen. Das Beste: Das Konzept des großen, aber dennoch familiären Resorts sieht trotz seinem hohen Komfort keinerlei Etikette oder Protokoll vor. „Zu vermitteln, dass hier Design und Sterneküche mit überdurchschnittlicher Familienfreundlichkeit zusammenpassen, ist gar nicht so leicht“, gesteht die für Presse und Marketing zuständige Daniela Berendonk.
Aber welcher Ausdruck bringt dieses Konzept rüber – außer: fünf Sterne, die die 37 Zimmer, 132 Häuser und 45 Villen umfassende Anlage mehr als verdient? „Barefoot luxury“ vielleicht? Fakt ist: Den schneeweißen, öffentlichen Sandstrand, der sich fast bis zum Minkwal-Hafen von Sagres zieht, mit Schuhen zu treten, wäre ja auch wirklich Frevel.
Und Action!
Lieber rein ins Seakayak oder aufs Surfbrett. Auch Wanderungen und Mountainbiketouren sind in allen Längen und Schwierigkeitsstufen möglich – ein echtes Sportparadies eben. Sorgen wegen des Wetters muss man sich übrigens nicht machen: Sagres ist ein Ganzjahresziel. Schon ab April und bis November gehören T-Shirt und Flipflops zur Standardkleidung. Nur mit dem Baden ist das so eine Sache – über 18 Grad kommt das Wasserthermometer selbst im Sommer selten.
Eine Festung mit Hammerblick
Zumindest im Meer. In den Pools freilich schon. So auch in dem der „Pousada do Infante“, dem zweiten herausragenden Hotel im Ort. Doch wer in der rund 50 Zimmer bietenden Unterkunft am Klippenrand und über der Sandbucht absteigt, kommt nicht primär zum Baden. Sondern um die Aussicht zu genießen, um neben der Meeresbrise die Geschichte des Ortes zu inhalieren und um gut Essen – typisch für alle „Pousadas de Portugal“, jenen historischen Gebäuden mit dem gewissen Extra, von denen sich 33 im ganzen Land und noch einmal zwei auf den Azoren verteilen.
„Manchmal sind die Pousadas wie Zimmer um ein Restaurant herum“, meint denn auch Nuno Mendonca, der nicht nur diese, sondern noch weitere Pousadas im Süden Portugals betreut. So stehen die typische Cataplana, ein Eintopf aus Kartoffeln, frischen und getrockneten Tomaten, Zwiebeln, Knoblauch, Muscheln, Meeresfrüchten und Seeteufel zur Wahl.
Oder lieber Menü 2?
Das besteht aus Ziegenkäsepudding und Blutwurstmousse als Vorspeise, gefolgt von gedünstetem Kabeljau mit knuspriger Wurst aus Schweinefleisch auf Kartoffelpüree. Als Nachtisch wird überkrustetes Vanilleeis mit Biskuitkuchen in roter Fruchtsoße serviert. Auffallend: Während schwerer Portwein in die Gläser fließt, gibt es keinerlei Begleitgeräusche – kein Radiogedudel, keine Animateursgebrüll, so gut wie keine Kinderstimmen. Auch das kann Sagres sein: Purismus am schönsten Ende Europas.
Fotos: © Christian Haas, Martinhal Sagres Beach Family Resort
Lust auf weitere Tipps im Süden Europas? Wie wäre es mit der griechischen
Kykladen-Insel Tínos oder Apulien?
Sagres
INFO Sagres
Turismo do Algarve, Avenida 5 de outubro, Faro, visitalgarve.pt
Martinhal Beach Resort & Hotel Apartado 54, Sagres, martinhal.com/sagres/de
Pousada do Infante, Ponta da Atalaia, Sagres, pestana.com/de/hotel/pousada-sagres