Zwei Traumstrände, lässiger Lifestyle und die wahrscheinlich vielfältigste Küche Spaniens: San Sebastián ist einfach köstlich!
Wir haben „Klein-Paris“ noch gar nicht verlassen, da riecht die Luft bereits nach Salz und über der vornehmen Straßenschlucht der Loiola Kalea kreisen Möwen. Es ist Samstagvormittag im Viertel von Amara Viajo, das mit seinen Gründerzeitfassaden und bunten Farbtupfern aus blühenden Minigärten auf den Balkonen in der Tat an lauschigste Plätze in Frankreichs Hauptstadt erinnert.
Um die Kathedrale herum, deren Turmspitze sich tief hineinbohrt in den türkisblauen Biskaya-Himmel, genießen in der autofreien Straße die Gäste der Straßencafés das späte Frühstück bei einem Cortado. Auf dem Radweg dagegen ist Hochbetrieb. Wir reihen uns ein zwischen Jungs, die auf knallbunten Beachrädern ihr Surfboard balancieren, überholen eine Mädchengruppe mit Strandmatten. Hinter uns ein Schoßhündchen im Lenkerkorb, voraus Rennräder. Erste Überraschung: San Sebastián ist eine Fahrradstadt!
San Sebastián: Sand & the City
Alle fahren zum Strand. Wo am Ende der Straße die Bahía de la Concha gar nicht weiß wohin mit all dem Sonnenlicht und wie ein Reflektor aus Sand und rauschenden Wellen eine Kuppel aus glitzernderm Dunst über Altstadt und Festungsberg spannt. Bahía, nicht nur der Name erinnert an Brasilien: Die Belle-Époque-Fassaden, die die perfekte Sichel der riesigen Bucht wie einen pompösen Rahmen einfassen, die Surfer vorm breiten Strand, die Farben dieser Stadt im hohen Norden Spaniens, die so intensiv sind wie sonst nur an den Küsten der Tropen.
Am Meer von San Sebastían fühlt man sich nach Copacapana und Ipanema versetzt, auch wenn die Provinzhauptstadt nur 180.000 Einwohnern hat. Doch wie Rio de Janeiro, so hat auch Donostia – so der baskische Name San Sebastiáns – gleich zwei riesige Strände in der City, neben der riesigen Bahía de La Concha – „der Muschel“ – noch den Playa Zurriola im hippen Stadtteil Gros.
Der perfekte Tag für die insgesamt sechs Kilometer lange Strandpromenade, die vom westlichen Strandzipfel La Conchas bis zum sandigen Ende von Zurriola, wo sich abends Pärchen zum Knutschen treffen. Der breite Parcour mit Radweg führt vorbei an der Altstadt, zum kleinen Fischerhafen, dann herum um den Monte Urgull Mendia mit der alten Festung des Castello di la Mota, das heute Museum und seit jeher eine der schönsten Aussichtspunkte auf Stadt und Küste ist.
Pinchos: Pikanter Spießrutenlauf
Die engen Altstadtgassen von San Sebastían liegen nur wenige Schritte von Promenade und Strand entfernt, das ist gerade zur Mittagszeit praktisch, denn die Pincho-Bars machen den Picknickkorb völlig überflüssig. Hoch stapelt sich auf den Theken die baskische Variante der Tapas: Spieße mit Weißbrot, belegt mit Pata Negra, scharfer Chorizo-Wurst oder dem pikanten Idiazabel-Schafskäse. Und immer wieder Fisch und Meeresfrüchte aller Art.
„Die Biskaya gehört zu den artenreichsten Gewässern weltweit“, erzählt Eki Iraizoz im „Casa Alcalde“. Am Fuß der Kirche von Santa Mariá gibt es in seiner Bar deshalb auch viel Meeresgetier aufs Brot und überhaupt die größte Pincho-Auswahl der Stadt. „Mehr als 50 Variationen“, sagt er stolz. Und ständig kämen neue dazu, denn die Fantasie beim Snack am Spieß ist grenzenlos. „Zutaten dürfen auch munter gemischt werden“, so Eki.
Schließlich sei auch der Ur-Pincho ein Mix: „Eine Olive, drei Peperoni und eine Sardelle, fertig ist ,Gilda‘, der Pincho, der angeblich so verführerisch ist wie Rita Hayworth im gleichnamigen Film.“ Der wurde kurz nach dem Zweiten Weltkrieg auch in Spanien schnell ein Kassenschlager. Womit die Frage beantwortet ist, seit wann es die Pincho-Tradition eigentlich gibt. Und die Anfänge waren eher profan. „Gilda und die anderen ersten Pinchos waren als salziger Snack dazu ersonnen, den Getränke-Umsatz der Bars anzukurbeln“, erzählt Eki. Aus der Idee listiger Wirte wurde ein Markenzeichen der Stadt, allein im historischen Zentrum gibt es heute Dutzende von Pincho-Bars.
Beliebt in San Sebastián: Pincho-Hopping
Pincho-Hopping am Wochenende ist deshalb auch eine der beliebtesten Freizeitbeschäftigungen in San Sebastián. In jeder Bar probiert man dann einen Pincho, dazu natürlich mit einem Gläschen Txakoli. Der typische Weißwein der Gegend hat sein ganz eigenes baskisches Aroma, leicht und prickelnd, und kommt von den Weinbergen nahe am Meer, wo die salzhaltige frische Luft über die Reben streichen kann. Am beliebtesten ist das Pincho Pote, eine Happy Hour, die jede Bar mindestens einmal wöchentlich anbietet, wenn es Pincho & Wein schon für zwei Euro gibt.
Gutes Essen in San Sebastián erschöpft sich mit Pinchos noch lange nicht. Nicht nur der Gemüse-Markt der Bauern hat einen riesigen Zulauf. In den unzähligen kleinen Bäckereien und Metzgereien, den Wein- und Käseläden, den Obst- und Spezialitäten-Geschäften mit all den Köstlichkeiten von baskischen Höfen, Feldern und Fischerbooten ist Hochbetrieb. Und selbst Einkaufszentren in der Stadt wie das vornehme Centro Comercial La Brexta in der ehemaligen Markthalle, gleich neben dem Bauernmarkt, haben eine große Lebensmittelabteilung, die für sich wirken wie eine Edel-Mall für Feinkost.
Die Kochclubs von San Sebastián: Männer mit Herd-Trieb
Qualität wird wertgeschätzt. Was auch daran liegen mag, dass San Sebastián weltweit den wahrscheinlich höchsten Anteil von Männern hat, die begeistert hinterm Herd stehen. Sage und schreibe 119 Sociedades Gastronómicos, exklusive Klubs kochender Männer, gibt es.
Deren Ursprünge reichen in die Mitte des 19. Jahrhundert zurück, als die französische Aristokratie das Baskenland für sich entdeckte und in ihre Sommervillen gleich das kochende Personal mitbrachte, was auch die baskische Küche von San Seabatián befruchtete. Zugleich wurde die Tradition exklusiver Männerklubs importiert. Statt zu trinken und zu rauchen, besann man sich im Baskenland aber lieber darauf, den Abend mit gutem Essen zu verbringen und fing auch bald an, selbst zu kochen.
Oier Marigil vom traditionsreichen Kochklub des „Club Deportivo Vasconia“ hat mich eingeladen, ihm beim Kochen über die Schulter zu schauen. Der alte Klubraum musste einem Wohnkomplex weichen, 2013 zog man um in einen modernen Saal mit einer Profiküche, deren Ausstattung der eines großen Restaurants in nichts nachsteht. „Vor allem am Wochenende ist hier was los“, erzählt Oier, der von Beruf Programmierer ist und vom Vater die Leidenschaft fürs Kochen und praktischerweise auch gleich die begehrte Mitgliedschaft im Club geerbt hat.
In den Klubräumen lagern neben den wichtigsten Grundzutaten eine reichhaltige Auswahl an Weinen, alles andere bringen die Mitglieder selbst mit. Es ist Pilzzeit und Oier kocht als Vorspeise Revuelta de Hongos, einer Tortilla mit Pilzen. Als Hauptgang folgt „Merluza – Seehecht – en salsa verde“, eine pikante baskische Spezialität.
Natürlich gibt es dazu eine Flasche Txakoli. An den Tischen neben uns feiert eine Großfamilie Geburtstag – mit Frauen und Kindern. Denn das ist eine Besonderheit im Vasconia: Mit dem Umzug in die neuen Klubräume verabschiedete man sich auch vom strikten Frauenverbot . Diesen „revolutionären Schritt hat bislang außer uns nur ein anderer Klub gewagt“, erzählt Oier und lacht.
Arzak: Haute Cuisine auf LCD-Display
Als berühmtester Chef des Baskenlands und Pionier der neuen baskischen Küche darf man das Privileg genießen, gleich in fünf Kochlubs von San Sebastián Mitglied zu sein. „Ach, mir fehlt nur die Zeit“, klagt Juan Mari Arzak, den wir am nächsten Tagt besuchen. Kein Wunder: 70 Angestellte, darunter allein 30 Köche, sorgen im Restaurant „Arzak“ seit Jahren für kulinarische Erweckungserlebnisse, die die baskische Geschmacksvielfalt unter Gourmets aus aller Welt bekannt und ihrem Meister drei Michelin-Sterne eingebracht haben.
„Kreativität, Evolution und Avantgarde“, so beschreibt Arzak seine Philosophie kurz und knapp in der Küche, während um ihn herum das weißbeschürzte Team einer perfekten, doch undurchschaubaren Choreographie folgt, bei der es erstaunlich ruhig zugeht und Arzak entspannt wirkt wie ein liebenswürdiger Großvater.
„Aber das nützt alles nichts, wenn die Qualität und die traditionellen Grundlagen nicht stimmen“, ergänzt der Koch, der das Familienunternehmen am Rand von San Sebastián in der vierten Generation führt – zusammen mit Tochter Elena, die 2012 als weltbeste Köchin ausgezeichnet wurde. „Ohne hervorragende Produkte könnte man das alles vergessen!“ Baskische Kostbarkeiten wie den Tintenfisch etwa, der bei Arzak auf einem Glasteller serviert wird, unter dem sich via LCD-Bildschirm die Wellen an der baskische Küste brechen.
Oder den gedünsteter Hummer mit frischen Blütenpollen und blauem Wabenhonig, kunstvoll arrangiert auf dem weißen Teller wirkt das wie ein minimalistisches Miró-Gemälde. Ausgebrütet werden solche Kreationen im Restaurant-eigenen „Arzak Lab“, einer Versuchsküche, in deren Regalwände sich Aromen und Gewürze aus aller Welt bis zur Decke stapeln. Geschmacks-Design auf höchstem Niveau.
Und wenn ihm dann doch mal der Sinn nach Einfachem steht und er im Kochklub mit Freunden brutzelt, schauen sich die anderen Mitglieder denn dann was ab? Drei-Sterne-Chef Arzak schüttelt entrüstet den Kopf: „Überhaupt nicht, die Leute dort brauchen keine Lehrstunden mehr. Was die traditionelle Küche angeht, machen mir die Hobbyköche in den Klubs oft noch was vor!“
Lust auf mehr gute Küche? Hier geht’s zu einem kulinarischen Streifzug durch Singapur mit Johan Lafer, hier zur appetitlichen Food-Tour durch Hong Kong
San Sebastián
INFO SAN SEBASTIÁN
Stadtguides
Die junge Agentur “Go Local San Sebastián” bietet Thementouren zu Natur, Kultur und Küche an. Radtouren 25 Euro, bei den Touren zu Fuß entscheidet jeder Gast selbst, wieviel er geben möchte. Auf Wunsch werden Besuche in den sehr exklusiven Männer-Kochklubs ermöglicht, was sehr zu empfehlen ist!
Die Website der Stadt hat viele tolle Tipps zu Sehenswürdigkeiten und Kulturhighlights, auch auf Deutsch.
Übernachten
Das “Astoria 7” ist ein tolles und günstiges Design-Hotel, zentral gelegen am Rio Urumea. Jedes Zimmer ist einem Preisträger des San Sebastián-Filmfestivals gewidmet. DZ/F ab 85 Euro.
Restaurant Arzak
Legendäre Spitzenküche , bei der man aufgrund der sehr kleinen Portionen keinen allzu großen Hunger, dafür etwas mehr Geld als sonst mitbringen sollte. Die Menüs im Restaurant beginnen ab 150 Euro.
Casa Alcalde
Traditionsreiches Pincho-Bar mit der größten Auswahl der Stadt. Pinchos im “Casa Alcalde” gibt es ab zwei Euro.
Zeruko
Das “Zeruko” ist eine beliebte Pincho-Bar mit modernem Ambiente und ausgefallenen Pincho-Variationen. Pinchos ab zwei Euro.
Covid 19
Covid 19 hat weiterhin Einschränkungen im internationalen Luft- und Reiseverkehr und bei Einreisen weltweit zur Folge. Achtet bitte deshalb unbedingt auf die aktuellen Reiseinformationen des Auswärtigen Amts unter auswaertiges-amt.de