Italiens Stiefelspitze ist einsame Spitze. Aber welche Plätze machen Kalabrien zur wahren Genussreise? Starke Tipps zwischen Tropea und Scilla
Wir wollen es gar nicht erst schön reden: Kalabrien ist die Mutter der Mezzogiorno-Misere. Eben erst stand wieder mal die gesamte Provinzregierung am Pranger. Samt und sonders unterwandert sei diese von der ‘Ndrangheta, hieß es. Von der kalabrischen Mafia, die sogar der sizilianischen Cosa Nostra zusetzt. Das Böse unter der süditalienischen Sonne, hier sitzt es besonders fettig pomadisiert im Cabrio.
Aber mit etwas Geduld zieht es auch vorbei, und verwandelt Kalabrien in einen Glücksgriff. Genau das ist nämlich vor allem der Fall: Spektakulären Steilküsten und Buchten, die zu den schönsten des Landes zählen. Enge Serpentinen, die zu urigsten Bergdörfern hinaufführen. Und bella figura an den Stränden. Kalabrien kann schnell zur Urlaubsliebe werden. Tropea ist dann kein schlechter Start.
Tropeas romantische Altstadt
Hier, in der kleinen Region Vibo Valentia pocht das touristisches Herz der Provinz. Tropea und die Liebe zum Lido – da klingelt etwas. Ich bin in einer der Bars gelandet, die die Oberstadt säumen, und nippe genüsslich am zweiten Negroni.
Balkon über dem Meer
Tiefer unten leuchtet der helle Strand neben weißen Sandsteinfelsen, auf denen Klosterbrüder einst die Wallfahrtskirche Santa Maria dell’Isola errichtet haben. Eine Adresse mit himmlischem Panoramablick. Tropea ist ein Balkon, von dem man an den roten Zwiebelzöpfen der berühmten lokalen Delikatesse der milden Cipolle vorbei bis zum Stromboli sieht.
Strandparadies Kalabrien
Getoppt wird Tropeas Panorama am Ausläufer des Monte Poro, der für Kalabriens berühmteste Küstenszenerie sorgt. Besser bekannt sind die schroffen Felsklippen, die 284 Meter über dem Meeresspiegel atemberaubende Ausblicke erlauben, unter dem Namen Capo Vaticano.
Costa dei Cedri am Tyrrhenischen Meer
Keine Frage: Die Stiefelspitze Kalabrien zieht am Rist besonders schick vom Leder. Die einschlägigen Coverstars der süditalienische Provinz liegen allesamt am Tyrrhenischen Meer, und ein besonders heißer Tipp befindet sich bereits nördlich von Tropea, an der Costa dei Cedri.
Sie ist nach der großen, gelben Zedrafrucht benannt, die ein wenig wie eine gedopte Zitrone aussieht und deren dicke Schale zahllose Dolci aromatisiert. Ich rolle zwischen Plantagen hin und her, auf der Suche nach dem Museo del Cedro, kurve an Bauruinen vorüber, und stehe schließlich vor geschlossenen Museumstoren.
Dafür hält die Exkursion an der Zedrafrucht-Küste bei San Nicola Arcella einen anderen Höhepunkt bereit: den Spaziergang zur Spiaggia Arcomagno. Ein schmaler Fußweg erschließt die bergige Küste, führt neben schwindelerregenden Klippen zu Mini-Badebuchten und der versteckt gelegenen Spiaggia Arcomagno die an eine Grotte erinnert.
Aieta: Bergdorf mit Gruselfaktor
Aber ein gut kalibrierter Calabria-Crash-Kurs hat stets auch düstere Orte auf der Rechnung. Idealerweise führt der Weg dann über enge Serpentinen in Bergdörfer, vor denen selbst italienische Location Scouts in die Knie gehen. Aieta ist ein solcher Ort, der sich wie ein Schneckenhaus am Rande von Italiens größtem Nationalpark, dem Parco Pollino, die steilen Hänge hochzieht.
Viele kalabresische Hügelkuppen halten ähnliches bereit: Morano Calabro windet sich rund um ein normannisches Kastell, und Rocca Imperiale krönt eine imposante Stauferfestung. Theatralische Bergdörfer allesamt. Mit verrunzelter Nonna, der Großmutter, hinter kleinen Fenstern und vor alten Öfen. Aber zugleich mit leuchtenden Zitronen, die bis zu viermal im Jahr geerntet werden können.
Albanien-Flair in Civita
Mich zieht es in die albanische Version dieser archaischen Bergdörfer. Sie heißt Civita und zählt zu jenem überregionalen Netzwerk „I borghi più belli d’Italia“, auf Deutsch: Italiens schönste Dörfer. Es macht sich für den Erhalt von handverlesenen, kleinen und von Abwanderung bedrohten Orten stark. 1.000 Einwohner auf 450 Meter Höhe, ein Patron namens San Biagio – alles so weit ganz normal. Wäre da nicht jener sonderbare Dialekt, bei dem man wirklich gar nichts mehr versteht.
Noch mehr irritiert die Speisekarte in Civitas historischer Wollspinnerei, die sich ins Ristorante „Kamastra“ verwandelt hat. Hier werden Zicklein-Ravioli serviert und Kalbfleisch-Maccheroni namens Rrashkatjel me mish derku. Die Einwanderer vom Balkan, die Civita einst gründeten, haben ihren altalbanischen Dialekt Arbëresh in die neue Heimat mitgebracht.
Viele Kalabrien-Besucher kommen jedoch wegen der imposanten Bergkulisse hinter terrassierten Weingärten in diesen Ort. Spaziert man von Civitas kleinem Hauptplatz etwas bergab, taucht die Ponte del Diavolo auf, unter der sich Italiens längster Canyon erstreckt. Oleanderbüsche leuchten herauf, Grillen zirpen, die Luft ist schwer wie Blei. Mitte Juni kommt mir der kalte, klare Fluss in der 15 Kilometer langen Raganello-Schlucht mit ihren bis zu 700 Meter hohen Wänden gerade recht.
Costa dei Sarazeni und das Castello Aragonese
Zur Costa dei Sarazeni, der Sarazenenküste am Ionischen Meer, ist es von Civita nicht allzu weit. Schotter und feinsandige Buchten wechseln einander ab und manche Orte stechen aus dem flachen Streifen der Orangenplantagen heraus. Ganz im Norden der Sarazenenküste wird der grobe Kiesstrand von Roseto Capo Spulico von einem Respekt einflößenden Kastell überragt, das von seiner Klippe kerzengerade ins Meer zu stürzen scheint.
Isola di Capo Rizzuto südlich von Crotone schlägt in eine ähnliche Kerbe. Hier haben die Aragoner ein Kastell auf eine kleine Insel gesetzt, die im Cineasten-Leckerbissen „Matthäus-Passion“ auftaucht und als Selfie-Hintergrund der Badegäste. Mittagsblumengewächse mit magentafarbenen Blüten krallen sich in Felsritzen. Gleich daneben erstrecken sich die Seegraswiesen und Unterwasserhöhlen des Meeresschutzgebiets Riserva Marina Capo Rizzuto.
Scilla: Süditaliens schönstes Fischerdorf
Kalabriens Grande Finale liegt aber dort, wo Italien seinen Zehennagel hat, mit dem es gegen Sizilien kickt. Der schönste Ort weit und breit ist das Fischerdorf Scilla, das sich jeden Sommer in eine Traumkulisse verwandelt, nach dem üblichen Rezept à la calabrese: schöner Strand, hoch gelegene Promenade, die Schwertfischerei gleich ums Eck und ein markant positioniertes, wuchtiges Schloss aus dem 13. Jahrhundert. Das heißt hier Castello dei Ruffo und thront auf einem berühmten Felsen der Antike, an dem das Ungeheuer Skylla dem Odysseus aufgelauert haben soll. Ich finde: Dieses Kalabrien-Risiko nimmt man gerne in Kauf.
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Kalabrien
INFO KALABRIEN
Anreise
Nächster internationaler Flughafen ist Lamezia Terme. Direktflüge mit eurowings.com, mit Condor oder lufthansa.com
Hotels
Villa Antica Tropea
Stilvolle Unterkunft in einem 1906 errichteten Gebäude wenige Meter vom historischen Stadtzentrum. Intime Gartenterrasse und geräumige Zimmer mit Romantikfaktor. villaanticatropea.it
Hotel Palazzo Krataiis
Die schattigen Räume des zum Hotel adaptierten Palazzo in Scilla aus dem 18. Jh. sind an heißen Sommertagen ein Segen. Zum Strand von Scilla ist es bloß ein Steinwurf. krataiis.it