Vor der Küste Schleswig-Holsteins liegt die Hallig Nordstrandischmoor im Wattenmeer. Wer im Winter kommt, trifft auf Stille und bei Sturm auf das Abenteuer „Land unter“. Falls Sturm kommt …
Ein Freitagvormittag im November, einige hundert Jahre nach der Sturmflut. Auf dem Festland gegenüber drehen sich hunderte Windräder gemächlich in der Morgenbrise. Futuristisch sieht das aus, die große Anzahl ist überraschend, die gesamte einsehbare Küstenlinie ist voll davon. Bevor Nommen Kruse von der Norderwarft aus zur Arbeit geht, zieht er seine Gummistiefel an, denn heute wird er neue Lahnungspfosten errichten, da kann es nass werden.
Die letzten Oktobertage auf der Insel Strand waren ruhig und sonnig. Kinder hüteten Gänse und Kühe, Männer schulterten Holzschaufeln und zogen ins Hochmoor, um Torf als Brennmaterial für den kommenden Winter zu stechen. In den Höfen weckten Frauen Obst ein und pöckelten Lammfleisch. Dann, am Nachmittag des 11. Oktober, erhoben sich tausende Nonnengänse und große Vogelschwärme und flogen über die Insel Richtung schleswig-holsteinische Westküste.
Als sich die Nacht über Strand senkte, hatte der Wind Sturmstärke erreicht und die Menschen so gut es eben ging die Türen und Fenster verbarrikadiert. Einige Stunden wütete der Sturm, und als der Morgen kam, waren große Teil Strands für immer im Meer verschwunden und mit ihnen über 6500 Menschen und zehntausende Stück Vieh ertrunken. Glücklich waren die, die sich auf das höher gelegene Moorgebiet geflüchtet hatten, das nicht von den Wellen überspült worden war. Was von Strand nach der „Buchardiflut“ von 1634 übrigblieb, waren die Inseln Norderstrand und Pellworm, die Hallig Südfall und eben jenes Hochmoor, das heute die Hallig Nordstrandischmoor ist.
Hallig Nordstrandischmoor: Drei Familien trotzen der See
Nommen vermutet, dass sich seine Familie schon 1634 auf der Hallig Nordstrandischmoor ansiedelte, aber die erste urkundliche Erwähnung der Warft, auf der die Kruses noch heute wohnen, datiert erst aus dem Jahr 1717. Vermutlich sind frühere Dokumente, beispielsweise Kirchenbücher, bei weiteren Sturmfluten verloren gegangen. So wie zwei Drittel der Gesamthalligfläche in den vergangenen Jahrhunderten vom Meer verschluckt wurden.
Etwa 170 Hektar misst das Eiland heute noch, auf drei bewohnten Warften leben im Moment 21 Personen, davon mehrere Kinder die in der kleinen Halligschule bis zur neunten Jahrgangstufe gemeinsam unterrichtet werden. Nommen wohnt mit seiner Frau Stefanie und den vier Kindern, seiner Mutter Ruth und Oma Frieda am nordwestlichen Ende der Hallig.
30 Mal Land unter pro Jahr
Hallig Nordstrandischmoor. Hier zu leben, bedeutet auch bis zu dreißig Mal pro Jahr „Land unter“ zu haben. Bei starker Flut oder großen Stürmen besonders im Winterhalbjahr, überspült das Meer die gesamte Hallig bis auf die Warften, den künstlich aufgeschütteten Hügeln, auf denen die Häuser stehen.
„Land unter, das wird dieses Wochenende nichts“, sagt Nommen, „viel zu wenig Wind, auch wenn gerade Springtide ist.“ Schade, denke ich, dabei hatte ich doch alles gut geplant: ein Wochenende im Spätnovember, kurz nach Vollmond, fehlte nur noch ein kleines Sturmtief und die Wellen würden uns umschließen. Aber das Wetter lässt sich nicht planen und beschert für die Tage auf der Hallig ein laues Lüftchen, etwas Sonne und Regen.
Was macht man überhaupt den ganzen Tag auf einem baumfreien Eiland, das in eineinhalb Stunden zu Fuß umrundet werden und nur über den 3,5 Kilometer langen Lorendamm zum Festland verlassen werden kann?
Im gemütlichen Ferienappartement unter dem Dach der Norderwarft Tee trinken und dabei durch die Fenster aufs Meer gucken, zum Beispiel. Zwischen Schafen und Nonnengänsen über die Salzwiesen streunen und über Priele springen. Am Halligrand die Wellen beobachten, wie sie versuchen, den Deich zu überwinden. Oder Nommen bei der Arbeit irgendwo im Watt oder auf der Hallig besuchen. Denn die Bewohner sind selbst dafür verantwortlich, dass ihnen das Meer nicht den Lebensraum nimmt.
Harte Arbeit an der Hallig
Da die Halligen als wichtiger Bestandteil des allgemeinen Küstenschutzes gelten, sind die Männer der Hallig beim Landesbetrieb für Küstenschutz angestellt und haben meist eine Ausbildung als Wasserbauer. Kleines Geld für körperlich schwere Sisyphusarbeit, die wirklich niemals aufhört. Es wird die Halligkante mit Steinigeln erhöht, um die Salzwiesen zu schützen, werden Drainagen gelegt, Buschlahnungen gezogen, um die Sedimentation zu fördern.
An einer dieser Lahnungen rammt Nommen mit dem Bagger zwei parallel laufende Pfahlreihen in den Boden. Die Sonne scheint, nur manchmal ziehen Schleierwolken vorüber, dann wird es sofort deutlich kühler. „An Land können wir mit Maschinen arbeiten, aber im Watt müssen wir die Pfähle von Hand in den Boden treiben. Da weiß man, warum man am Abend müde ist“, erzählt er.
Stehen die Pfahlreihen, wird dazwischen Buschwerk gepackt und schließlich alles mit Schnüren fest verbunden. Regelmäßig müssen nach Fluten Ausbesserungsarbeiten an den Lahnungen vorgenommen werden. „Bist du auf der einen Halligseite fertig, muss auf der anderen erneuert werden. Das hört nie auf. Es ist eben ein Kreislauf, wie das Leben“, erklärt Nommen und drückt mithilfe der Baggerschaufel den nächsten Pfahl in den Boden.
Aber die Wasserbauer stabilisieren das Halligland nicht nur, sie versuchen auch, die Sedimentation zu beschleunigen. Der Klimawandel und der damit verbundene Anstieg des Meeresspiegels werden die Halligen zwangsläufig untergehen lassen, wenn nicht aktiv etwas dagegen unternommen wird. Um einen Millimeter pro Jahr wächst die Hallig Nordstrandischmoor im Moment in die Höhe, der Meeresspiegel aber steigt um etwa 3 Millimeter. Deshalb werden seit einiger Zeit auf Nordstrandischmoor verschiedene Methoden untersucht, die eine verstärkte Ablagerung begünstigen sollen. „So leicht geben wir unsere Heimat nicht auf“, sagt Nommen bestimmt.
Höherlegen lautet die Devise bei Warften
Und dazu gehört auch, dass die Norderwarft um einen Meter erhöht wird. Wenn alles gut geht, dann soll 2019 eine neue, erhöhte Warft an die alte angeschüttet werden und darauf ein neues Haus entstehen. Seit 2005 wird darüber mit dem Land debattiert, es gibt EU-Richtlinien, Naturschutzbelange und weitere Regularien, die eingehalten werden müssen. Die Warftaufschüttung wird vom Land bezahlt, den Rest begleichen die Kruses selbst, aber ohne Warft, gibt es auch kein neues Haus. Besonders prekär ist die Lage deshalb, weil die Norderwarft einen Meter niedriger ist als die anderen Warften auf der Hallig Nordstrandischmoor. Und während dort bei Sturmfluten das Meer noch einen halben Meter von der Warftoberkante entfernt ist, steht bei Kruses dann das Wasser auf der Hausschwelle.
Nordsee. Das Spiel von Ebbe und Flut
Davon sind wir dieses Novemberwochenende weit entfernt. Trotzdem ist das Spiel von Ebbe und Flut beeindruckend. Während man bei Ebbe über eine Betontreppe von der befestigten Halligkante hinunter ins Watt steigt und kilometerweit wandern kann, schlagen bei Flut wenige Stunden später die Wellen an die oberste Stufe. Wer im täglichen Leben nichts mit Gezeiten zu tun hat, den überrascht wahrscheinlich auch die Geschwindigkeit, mit der das Meer bei Flut zurückkommt.
Priele. Lebensadern an Land und im Watt
Nicht weit von der Hallig entfernt erwarte ich die ersten Vorboten. Zwanzig Meter entfernt befindet sich die Wasserkante, nur fingernagelhoch steht das salzige Nass dort. Bei genauem Hinsehen erkenne ich, dass kleinste Wellen die Kante unablässig immer weiter in meine Richtung treiben. Ist das Meer gerade noch zwanzig Meter entfernt, umspült es fünf Minuten später schon meine Gummistiefel und ich ziehe mich auf festen Boden zurück. Kurze Zeit später ist meine Fußspur untergegangen.
Auf der Hallig selbst füllen sich im Laufe der Flut die Priele, die das Land wie Lebensadern durchziehen, bis zum Rand mit Wasser. Prielufer und Wolken spiegeln sich darin. Mensch und Schaf müssen Umwege über die wenigen Brücken in Kauf nehmen oder sehr weit springen können, wollen sie querfeldein.
Friedhof. Steigender Meeresspiegel verhindert Beerdigungen
In der Nähe der Schulwarft schlängelt sich ein Trampelpfad über die Wiese, ein Brachvogel pickt in die Erde und stakst dann mit einem Wurm in seinem gebogenen Schnabel davon. Zwei Holzbrücken sind zu überqueren, eine Eiderente schießt im Graben darunter davon, dann stehe ich vor dem Tor des unter Denkmalschutz stehenden Friedhofs. Dahinter von Gras beinahe überwachsene Grabsteine, einige aus Carraramarmor. 1926 war Nommens Ururgroßvater der letzte hier auf der Hallig Nordstrandischmoor Beerdigte.
Erzählt wird, dass der Grundwasserspiegel über die Jahre immer stärker angestiegen war und bei den letzten Beisetzungen das Wasser bereits in die Grube drückte, bevor der Sarg überhaupt versenkt war. „Erst bist du gestorben und dann wirst du auch noch ersäuft“ ging das Wort unter den Halligbewohnern und diejenigen, die diese Beerdigungen erlebt hatten, wollten am Festland ihre letzte Ruhe finden. Um das Andenken zu wahren, steht heute ein Stein auf dem Friedhof, auf dem alle seit 1926 gestorbenen Halligbewohner mit kleinen Metallplaketten verewigt sind.
Reisender, höre die Stille!
Still ist es auf dem Friedhof, und sanft wiegt der Wind lange Grashalme, aber die Stille fiel mir bereits auf, als ich nach halbstündiger Fahrt mit der Lorenbahn auf der Hallig ankam. Zu Hören war absolut nichts. Nichts, außer dem Rauschen des Blutes in den Ohren.
Und auch sonst wird die Stille nur durchbrochen, wenn Wildgänse schnatternd im Formationsflug über den Himmel ziehen, oder wenn man sich den Salzwiesen nähert, auf denen sie tagsüber grasen. Sobald man sich von dort entfernt oder es dunkel wird und die Gänse ruhen, hüllt einen Stille ein und man beginnt zu begreifen, welchem Lärm man im Alltag ausgesetzt ist und welchen Stress das erzeugt. Von dieser Stille kann ich nicht genug bekommen und während meiner Wanderungen bleibe ich immer wieder stehen und lausche, um die Ruhe aufzunehmen.
Magischer Sonnenaufgang im Watt
Als der Wecker um kurz vor acht klingelt, ist es draußen noch dunkel. Schnell warm angezogen, dann tauche ich in die Kühle des Morgens. Etwas entfernt ragen die dunklen Umrisse der anderen Warften über das flache Land. Das Hoflicht der Neuwarft ist ein kleiner Fleck knapp über dem Horizont. Nebelfetzen hängen über den größeren Prielen.
Über den Halligrand steige ich hinunter ins Watt, bis zur Flut ist noch Zeit. Im Graublau der Morgendämmerung wandere ich ohne Ziel dahin. Ein leicht salziger Geruch hängt in der Luft, manchmal queren Vogelspuren meinen Weg. Eine Zeitlang gehe ich in Gedanken versunken, nur vom Schmatzen meiner Schritte begleitet. Als ich ein leises Rauschen höre, folge ich ihm, bis ich einen breiten Priel erreiche, dessen Mäander sich tief ins Schlick gegraben haben. Eine weitere Schleife entfernt schäumt ein kleiner Wasserfall im Watt. Über die Hallig ziehen Vogelschwärme, dann blitzen erste Sonnenstrahlen durch die Wolken und kündigen einen gelungenen Morgen an.
Auf der Suche nach einem perfekten Ort für Familienurlaub? Oder habt ihr Lust auf Waldbaden ?
Nordsee. Hallig
INFO HALLIG NORDSTRANDISCHMOOR
Mehr Informationen
Nordsee Tourismus bietet allgemeine Infos über Urlaub im Norden nordseetourismus.de . Telefonische Hotline zu erreichen unter 04841-89750
Anreise
Mit der Bahn über Hamburg und dann weiter mit der Regionalbahn nach Bredstedt/Husum.
Übernachten
Familie Kruse bietet eine großzügige und gemütliche Ferienwohnung norderwarft.de inkl. Abholung vom Bahnhof in Bredstadt oder Husum und Transfer mit Lorenbahn zur Hallig Nordstrandischmoor.
Weitere Ferienwohnung auf der Hallig Nordstrandischmoor bei Familie Siefert