Mit legerem Lifestyle hat die regelmäßig zum besten Kreuzfahrtschiff der Welt gekürte „Europa 2“ eine neue Ära für Luxuskreuzfahrten eingeläutet. Zwischen Island und Grönland kommt sogar etwas Expeditionscharakter auf
Der Klang der Trommel schwebt in der Luft. Kurze, trockene Schläge, ein Rhythmus wie das langsame Schwappen der Wellen auf felsiges Land. Es nieselt, der Himmel über Sisimiut, dem 5.000-Einwohner-Ort an Grönlands Westküste, ist grau verhangen. Der alte Mann mit der Trommel steht auf einem Parkplatz, um seinen Kopf trägt er ein schmales, mit Walrossknochenstücken verziertes Lederband. Seine Stimme ist leise und brüchig, sein Singsang kaum zu hören. „Er erzählt von einer Kajakfahrt im Sommer“, erklärt eine Frau, die neben dem Sänger gerade ihren Stand mit grönländischen Devotionalien in einen Kleinwagen packt. Immer wenn Kreuzfahrer an Land kämen, verdiene er sich ein paar Groschen dazu.
Hinter der Krabbenverarbeitungsfabrik liegt die Tenderstation der „Europa 2“, die wenige Kilometer vor der Küste ankert. Ein Kreuzfahrtschiff, das luxuriöses Ambiente und legeres Savoir-vivre in alle Ecken der Welt bringt. Das Besondere an dieser Tour ist der leichte Expeditionscharakter mit Zodiac-Ausfahrten und begleitenden wissenschaftlichen Vorträgen. Und natürlich die Route, die von Islands Hauptstadt Reykjavík über Grönland bis nach Montreal in Kanada führt und die das Schiff noch nie befahren hat. Einen landschaftlichen Höhepunkt stellt die Passage durch den Prins Christian Sund im Süden von Grönland dar.
Landgang in Sisimiut
Die Häuser Sisimiuts liegen verstreut auf mehreren Hügeln, mit ihren bunten Fassaden ähneln sie denHäusern in Reykjavíks Altstadt. Schären säumen die Hafeneinfahrt, schroffe Berge begrenzen die Siedlung. An diesem kalten Septembertag segeln Möwen über dem Ort, liegt erster Raureif auf den Bergspitzen. In den Wohngebieten warten die Schneemobile neben hölzernen Hundeschlitten auf den Winter, an mancher Hauswand hängen Felle und Robbenfleisch zum Trocknen. An einer Straßenkreuzung balanciert ein Mann in Jeans-Outfit auf einer Leiter und streicht ein Haus. Sein Pinsel ist handtellergroß, mehr als jeweils einen schmalen Klecks kann er damit nicht machen. Der Farbeimer steht zu Füßen der Leiter, für jeden Pinselstrich steigt er hinunter, taucht das Malgerät ein und steigt wieder hinauf.
Ob er so das ganze Haus streichen wolle? Ja, selbstverständlich, warum denn nicht, ist seine Antwort, das sei schließlich seine Urlaubsbeschäftigung. Aber zunächst nur so lange, bis eine Nachbarin im Auto vorbeikommt und ihn zu einem Plausch in der Dorfkonditorei überredet.
Der Gastraum ist gut geheizt, Kreuzfahrer sitzen unter Einheimischen, in einer Theke liegen Kuchen und andere süße Teilchen aus, der Kaffee ist stark. Blickt man durch die Fenster auf der Rückseite der Konditorei, sieht man die vielen weißen Holzkreuze des Friedhofs und das dahinterliegende Krankenhaus. „Wenn sie dich da hinten fertigmachen, hast du es wenigstens nicht weit zum Grab.“
Nordatlantik zwischen Island und Grönland. Hartes Seefahrerrevier
Der Hausmaler zwinkert und schlürft weiter seinen Kaffee. Von den 95 Passagieren und Besatzungsmitgliedern des im Januar 1959 in einem Orkan gesunkenen grönländischen Schiffs „Hans Hedtoft“ liegt keiner auf dem Friedhof. Für sie kam im tosenden Atlantik nach einer Kollision mit einem Eisberg südlich des Kap Farvel jede Hilfe zu spät. Außer einer Monate später an Land gespülten Rettungsweste wurde niemals etwas gefunden.
Tragisch war auch das Schicksal des deutschen Fischereischiffs „Johannes Krüss“. Es beteiligte sich damals an der dramatischen Suche nach Überlebenden, kam aber selbst durch Sturm und Eis in Bedrängnis und wurde nur mit Mühe gehalten. Acht Jahre später war für dieses Schiff samt Besatzung der Weg aber zu Ende: Ihm wurde ein Wintersturm südlich des Kaps zum Verhängnis, es verschwand, ohne ein Notsignal abgegeben zu haben, spurlos in den gefährlichen Gewässern vor der Südspitze Grönlands.
Drei Tage vor der Ankunft in Sisimiut hatte die „Europa 2“ diese Route über das offene Meer vermieden und stattdessen von Island kommend Kurs durch den Prins Christian Sund genommen, eine ungefähr 100 Kilometer lange Meerenge.
Hochprozentiges an Bord der „Europa 2“
Halb sechs, der Morgen ist friedlich, auf der Reling von Deck 10 glitzern die übrig gebliebenen Regentropfen der Nacht. Sturmvögel kreisen hinter dem Schiff, Sonnenstrahlen formen einen gleißenden Kegel. Der Seetag zuvor war alkoholisch angefüllt mit einem Gin-Tasting im gemütlichen „Herrenzimmer“, in Ledersesseln, die zum langen Sitzen einladen, und mit einem Himbeergeist-Brennkurs, bei dem die Teilnehmer um die Wette brannten, probierten und zunehmend lustiger wurden. Am Ende waren alle per du und glücklich, eine kleine Flasche des Selbstgebrannten mit auf die Kabine nehmen zu dürfen.
Da wundert es nicht, dass sich niemand so früh an Deck der „Europa 2“ blicken lässt, wenngleich das Farbspektakel mehr Zuschauer verdient hätte: Bis an den Horizont erstreckt sich eine wogende, in diversen Blauschattierungen glänzende Fläche, über die orangefarbene Lichtreflexe huschen. Darüber hängt eine beige Wolkenbank. Ein Regenschauer zieht vorüber und lässt Millionen Kreise auf der Meeresoberfläche entstehen.
Als sich drei Stunden später die ersten bergigen Konturen Grönlands vor dem Bug der „Europa 2“ zeigen, füllen sich die Außendecks. Anders als auf typischen Expeditionsschiffen hat man hier nicht das Gefühl, alle bekannten Outdoormarken der Welt, von der Hightech-Zipfelmütze bis zum dreifach vernähten Polarstiefel, würden ausgeführt. Die Gäste auf dieser Kreuzfahrt sind im Schnitt eher schlecht für das Wetter ausgerüstet.
Prins Christian Sund. Robben am Strand, Roben am Abend
Daher wird gezittert, weil die Luxusklamotte, auch wenn sie aus Daune ist, eben eher für die Münchner Maximilianstraße, aber nicht für Polarregionen geschneidert ist, die Segler-Slipper mit Bändchen für die Elbchaussee, aber nicht für eine Nordlandfahrt geeignet sind. Egal, grundsätzlich lässt sich ja auch durch die Panoramafenster in den Restaurants und Salons die Landschaft betrachten. Und das Gläschen Champagner schmeckt in einem der bequemen Fauteuils sowieso besser.
Trotzdem gibt es noch genügend Gäste, die sich in den sechs Stunden der Sund-Passage permanent draußen aufhalten, gucken, staunen, fotografieren und nicht frieren. Die Fahrt gestaltet sich in der Tat spektakulär und wird noch besser dadurch, dass sich über der „Europa 2“ ein strahlend blauer Himmel spannt. Hohe Berge, Wasserfälle, unzählige Gletscherzungen, rötliche Abhänge, die sich mit sanft geschwungenen, bemoosten Hügeln abwechseln. Helle Sandstrände, auf denen sich faule Robben sonnen, Gipfel, die (vermutlich) noch kein Mensch bestiegen hat.
Und als ob das nicht schon ein Übermaß an natürlicher Schönheit wäre, treiben auf dem spiegelnden Wasser des Sunds blau schimmernde Eisberge vorbei. Grönland dreht auf und zeigt, dass es mehr zu bieten hat als 1,7 Millionen Quadratkilometer Inlandeis.
Aufgedreht wird auch im Theater im Bug des Schiffes. Dort, wo abends in stilvollem Rahmen Cello-Konzerte und Zauber-Shows stattfinden, treffen sich tagsüber regelmäßig einige Gäste, um zusammen mit Nationalteamfechterin Monika Sozanska und WM Medaillen-Gewinner Oliver Lücke unter dem Motto „Fechten hautnah“ die Degenklingen zu kreuzen.
Europa 2. Kulinarische Weltreise vor Grönland
Wer beim Fechten viel verbrennt, der muss sich auch stärken. Dafür stehen auf der „Europa 2“ sieben Restaurants zu Verfügung. Opulente französische Küche wird in wunderbar leichtem Art-déco-Ambiente im „Tarragon“ serviert, das Chateaubriand läuft förmlich den Gaumen hinunter. Wem nach italienischem Dolce far niente ist, der reserviert im „Serenissima“. Japanische Gerichte werden an der offenen Theke des Restaurants „Sakura“ zubereitet. Die letzte Ladung frischer Fisch wurde in Island genommen, die Küchenchefs im „Sakura“ zaubern daraus California Rolls, Makrele im Tomaten-Soja-Chutney und asiatisch gebeizten Lachs.
Der Sound der Diskobucht: Ice Ice Baby
Aber die Kreuzfahrt hält noch einen weiteren Höhepunkt bereit: Er beginnt mit der Einfahrt der „Europa 2“ in die Diskobucht, dann wird vor der Mini-Stadt Ilulissat geankert. Frühstück gibt es auf der Terrasse des Jachtclubs bei fünf Grad Celsius und starkem Wind. Während der größte Teil der Gäste allerdings ihr Bircher-Müsli hinter Glas verspeist, sitze ich mit um die Beine geschlungener Decke draußen im Freien. Denn was kann es Schöneres geben, als am heißen Tee zu nippen und vorbeitreibenden Eisbergen dabei zuzusehen, wie sie langsam in Richtung Horizont verschwinden? Die Diskobucht ist dafür der perfekte Ort, denn der Gletscher Sermeq Kujalleq ist einer der am schnellsten fließenden der Welt. Für kontinuierlichen Eisberg-Nachschub ist also gesorgt!
Ilulissat ist durch den Zugang zum Eisfjord im kurzen Sommer zu einem Touristenmagneten geworden. An der Hauptstraße reihen sich Reisebüros, die Touren rund um die Bucht anbieten, neben Outdoorausrüstungs-Geschäften, Supermärkten und Läden für Jagd und Fischereibedarf. Am Stadtrand liegen die Holzhütten und Zwinger für die Schlittenhunde, dahinter beginnt der Bohlenweg zum Eisfjord. Die Szenerie dort ist atemberaubend und in ihrer Schönheit kaum zu überbieten: eine endlose zerklüftete Landschaft aus blau-weiß schimmernden Eisbergen, in sich verkeilt, übereinander geschoben. Aus der Ferne sehen die Menschen, die auf den Hügeln über dem Eisspektakel stehen, wie dunkle Bleistiftstriche aus.
Im Zodiac um die Eisberge
Auf andere Art spektakulär ist später am Tag die von Graupelschauern begleitete Zodiacfahrt in derDiskobucht. Rund um die „Europa 2“ schwimmen unzählige Eisberge, die wir mit den Schlauchbooten langsam umkreisen. Manche von ihnen sind 20, 30 Meter hoch, ihre Oberfläche schimmert hellblau und wirkt wie von den Wellen blankpoliert. Dann wieder driften zerklüftete Eisgebilde mit Löchern und Gipfeln vorbei, andere sind flach und lang gestreckt und Ruheplätze für Möwen, die unter ärgerlichem Kreischen davonfliegen, als wir näherkommen.
Aber wir wollen tiefer in das Eisfeld hinein, immer noch einen neuen Eisberg umrunden, noch einmal den Kopf schütteln ob der Schönheit. Wir scheinen getrieben von der Unergründlichkeit der Natur, hoffend, mit jedem weiteren Eisberg wirklich das gesamte Bild aufgenommen und verstanden zu haben. Doch es gelingt nicht, egal, wie weit wir fahren. Aber schließlich ist das nebensächlich, denn manches ist eben unergründlich. Und wird es auch bleiben.
Lust auf mehr Island bekommen? Oder doch eine Kreuzfahrt mit Elektroantrieb?
Europa 2. Island-Grönland
INFO EUROPA 2 KREUZFAHRT
Die arktischen Gewässer befahren verschiedene Hapag-Lloyd-Schiffe regelmäßig. Für die „Europa 2“ sind zukünftig neben den gängigen Karibik-, Mittelmeer- und Südostasien-Routen auch einige Strecken mit „leichtem Expeditionscharakter“ im Programm geplant, etwa entlang der norwegischen Küste oder rund um Kap Hoorn und zu den Falkland-Inseln. Mehr Infos auf hl-cruises.de