In den Norden des kanadischen Yukon kamen einst Goldsucher, heutzutage Nostalgiker und Outdoorfans. Die jüngste Ernennung der Region Tr’ondëk-Klondike zum UNESCO-Welterbe rückt auch den Umgang mit den First Nations ins Licht. Einer von ihnen bietet Bootstouren an – samt Besuch eines XXL-Fischrades
Verrückte Zeiten waren das 1896 ff. Da leben im subarktischen Norden des heutigen Yukon Territory seit mehr als zwölf Jahrtausenden Menschen – sehr wenige, sehr verstreut, sehr weit weg von allem. Und plötzlich strömen innerhalb von ein, zwei Jahren an die 100.000 Goldsucher in die Wildnis und machen Dawson City zur größten Stadt nördlich von Seattle und westlich von Winnipeg.
Der Grund: Goldfunde am Zusammenfluss von Klondike und Yukon, Nordamerikas drittgrößten Strom. Die Folge: viele Träume, viele Geschäftsideen. Letztlich aber wenig Gewinner, dafür große Verlierer.
Dawson City, nun auch Teil der Welterbefamilie
Zu denen zählte die Tr’ondëk Hwëch’in Hän Nation, Stichwort vertriebene Familien, niedergebrannte Wälder, fast ausgerottete Karibus. Dass die Auswirkungen des Kolonialismus tiefgreifend waren, unterstrich die UNESCO im Herbst 2023 mit der Verleihung des Weltkulturerbetitels an acht Gebiete der Region Tr’ondëk-Klondike, Dawson inklusive.
Schon länger gibt es Bemühungen, die Hän-Kultur wiederzubeleben, unter anderem durch zweisprachige Beschilderung und zweisprachigen Unterricht in den Schulen (und zwar für alle). Plus: Seit 1998 regiert die First Nation sich selbst, dient das Dänojà Zho Cultural Centre als Heimstätte für archäologische Artefakte und indigene Kunst.
Wer sich in der Ausstellung umsieht und, noch besser, mit den hier arbeitenden Natives spricht, sieht die 2.000-Einwohner-Stadt, die mit ihren bunten Holzhäusern und den ungeteerten Straßen wie ein Open-Air-Museum aus der Vergangenheit wirkt (und einige Bars wie etwa “Bombay Peggy’s” pflegen dieses Image sehr schön), noch einmal von einer anderen Seite.
Aber zurück zum Kulturhaus. Und von dort ein paar Schritte hinunter zum Yukon. Dort legt Tommy Taylor mit seinem kleinen Motorboot zu seinen Touren ab. Im Gegensatz zu anderen, auch vielen deutschsprachigen Touranbietern, die im Übrigen zunehmend Wander- und Biketouren in die Umgebung, insbesondere in den fantastischen Tombstone Territorial Park anbieten, ist er First-Nations-Guide.
Das vermittelt Authentizität. Etwa wenn er von Moosehide erzählt. Der ebenfalls zum Welterbe zählende Ort, an dem die First Nations in der Goldrauschära zwangsumgesiedelt wurden, liegt etwas stromabwärts. Interessant: Wenn dort heutzutage „Gatherings“ mit hunderten Teilnehmern benachbarter Stämme stattfinden, dürfen auch Externe den Geschichten und Liedern lauschen.
Ansonsten ist das Anlanden nicht gern gesehen, das tun wir lieber schräg gegenüber auf Dog Island, wo Tommy samt Großfamilie aufwuchs. Heute lebt dort niemand mehr, doch eine Hütte im Grünen und ein Fischräucherofen sorgen für Flair.
Schiffswracks und Glasfaserkabel
Tommy hat viel zu erzählen. Hier am Ufer ein Schiffswrack aus der Goldrausch-Ära, dort eine bewohnte Einsiedlerhöhle. Hinter dem Hügel Bauarbeiten an der Glasfaserkabelleitung zum Arktischen Ozean, entlang des Dempster Highways. Der sollte – und das sehen viele so – besser nach dem First Nation Joe Henry benannt sein, hat der doch die 736-Kilometer-Strecke maßgeblich geplant.
Ungerecht? Tommy ist nicht klagend, eher objektiv-informierend und unterhaltsam. Schwierige Themen werden dennoch nicht ausgespart. Etwa der Rückgang der Lachse. Sein Volk dürfte sie fangen, doch sie unterlassen es. Das Fischrad, Namensgeber für Tommys „Fishwheel Charters“, dient daher nur noch Demonstrationszwecken. In der Tat stellt es den Höhepunkt der zweistündigen Tour dar.
Befestigt zwischen zwei Stegplanken, an denen das Motorboot vertäut wird, ragt eine Art übermannsgroße Wassermühle mit zwei Drahtkörben aus dem trüben Fluss. Der Kapitän springt auf die mit Seilen am nahen Ufer befestigte Schwimminsel. Ruckelt an der Konstruktion, klopft, tritt, flucht, dreht am Rad. Im doppelten Sinn. Das Ding klemmt und knarzt. Doch dann setzt es sich in Bewegung.
„Die Strömung des Flusses drückt gegen die untergetauchten Paddel“, erklärt Tommy, „und bewegt das Rad, wobei die Körbe durch das Wasser geführt werden, wo sie schwimmende oder treibende Fische abfangen.“ Nach zwei, drei etwa halbminütigen Runden herrscht wieder Stillstand. Mist. Woher das Fischrad stamme, wird gefragt. Auch wenn manche russische, asiatische oder skandinavische Goldsucher vermuten, tippt Tommy auf Schotten.
Sach- und Lach(s)geschichten
Letztlich egal, das Patent wurde bei den indigenen Völkern im Nordwesten Nordamerikas gefeiert. „Wir haben es in gewisser Weise in unser traditionelles ökologisches Wissen aufgenommen.“ Heutzutage jedoch existieren nur noch wenige Exemplare in Alaska und Yukon, absoluter Seltenheitswert also. Apropos, da passiert es. Ein Lachs landet in einem der Drahtgeflechte!
Hüpft im Trockenen, keine Exit-Chance. Wie bei einem Lottozahlenziehungsgerät rutscht er über eine Holzführung aus dem Korb auf den Steg. Sauberer lässt sich ein Fisch nicht fangen. Kein Dynamit, keine Chemie, keine Hakenreste. Doch Tommy gibt ihm einen Schubs in die Freiheit.
Als uns seine Frau wenig später am Dänojà Zho Cultural Centre empfängt, kann sie es kaum fassen: Den ganzen Sommer habe er darauf gewartet – und nun hat es endlich mal wieder geklappt. Aber auch sie weiß natürlich, dass sich die Tr’ondëk Hwëch’in selbst auferlegt haben, die arg dezimierten Lachsbestände zu schonen …
Lust auf weitere Kanada-Abenteuer? Bitte sehr! Wir zeigen dir die bärenstarke Wildnis von British Columbia, das großartige Cape Breton oder die Weiten von Sasketchwan
Fotos: © Christian Haas, Travel Yukon, Fishwheel Charter, Tom Jutzler
Dawson City und Umgebung
Infos Dawson City
Anreise
Air Canada fliegt von Deutschland über Vancouver nach Whitehorse, der Hauptstadt vom Yukon. Von dort geht es entweder via Bus ins rund 500 Kilometer nördlicher gelegene Dawson City oder per Kleinflugzeug von Air North
Einreise
Kanada ist für Touristen bis zu sechs Monate mit einem Reisepass visumfrei. Allerdings müssen Flugpassagiere vor Reiseantritt eine elektronische Einreiseerlaubnis (electronic Travel Authorization – eTA) einholen.
Tommy Taylors Fishwheel Charter
Touren werden angeboten, sobald der Yukon befahrbar ist, in der Regel ab April, Preis: 80 CAN-$ (ca. 55 Euro) pro Person, fishwheeltoursyukon.com/de
Dänojà Zho Cultural Centre
Infozentrum über die First-Nations-Kultur im Yukon, 1131 Front Street direkt am Fluss und mitten in Dawson City, Eintritt: 7,35 CAN-$ (ca. 5 Euro), danojazho.ca
Drei weitere „Must-Sees“ in Dawson City
1. Der „Sourtoe Club“. Im gleichnamigen Saloon müssen Barbesucher beim Trinken eines Schnapses einen darin schwimmenden abgestorbenen Zeh mit dem Mund berühren, um Mitglied zu werden. Klingt strange, ist strange. Und macht Spaß, mittlerweile gibt es über 117.000 Mitglieder, dawsoncity.ca/sourtoe-cocktail-club
2. „Diamond Tooth Gerties“, kultiges Spielcasino mit Cancan-Revues und lässig-nostalgischem Flair, diamondtoothgerties.ca
3. Touren im Tombstone Territorial Park, der wegen seiner zerklüfteten Gipfel aus schwarzem Granit oftmals als „Patagonien des Nordens“ bezeichnet wird, rubyrange.com
Übernachtungstipp
Dawson Lodge: entspannte Atmosphäre, recht neu und mitten im Ort gelegen, dawsonlodge.com
Informationen
Dawson City Visitor Information: dawsoncity.ca
Travel Yukon: Department of Tourism & Culture, Government of Yukon, Box 2703, Whitehorse, Yukon, Y1A 2C6, Tel. +1/800/661-0494, info@travelyukon.com, travelyukon.com/en
Destination Canada: destinationcanada.com