Hart aber Flair: Wie sich Chicago immer wieder neu erfindet. Und wo was passiert. Bucket List mit 16 Must-sees
Kein Hafen wie New York, keine Goldadern und kein Internet-Hype à la Silicon Valley: Die Geschichte von Chicago führt trotzdem tief ins Herz des einstigen Pionierlandes Amerika. Sie hat mit Rinderherden und Schlachthöfen zu tun. Mit einem Eisenbahnknotenpunkt und mit kühnen Hochhäusern am Ufer des Lake Michigan. Vor allem aber mit viel Energie.
Immigranten aus Osteuropa trugen dazu bei. Musiker wie Muddy Waters oder B.B. King erfanden hier den Chicago-Blues, andere die berühmte Deep-Dish-Pizza. Urgestein der heute so trendigen Prohibition-Style Bars ist die einstige Al Capone City ohnehin. Nun führen angesagte Vorstadt-Viertel, kreative Gastronomen und Clubs den Mythos Chicago fort.
#1 Überblick: The Ledge
Die Stadt der breiten Schultern von oben sehen? Dann sind die Panorama-Plattformen des Hancock Centers sowie des Willis Towers ein Pflichttermin: Wer am Chicago Skydeck im 103. Stock des Willis Towers auf die auskragenden Glasbalkone The Ledge steigt, darf sich ein wenig wie ein Engel fühlen. Dann liegen bloß wenige Zentimeter Sicherheitsglas zwischen dir und den Spitzen des umliegenden Häusermeers. 412 Meter tiefer krabbeln Ameisen in kanariengelbe Matchbox-Taxis backsteinerne oder gläserne Schluchten entlang.
#2 Chicago River Cruise
Die Neugestaltung der Riverside hat den Chicago River zuletzt neu erschlossen. Stylische Cafés und Weinbars sind hier entstanden. Leih-Paddelboote flitzen an exklusiven Yachten vorbei. Schicke Stadtmöbel laden ein paar Meter unter Strassenniveau zum Betrachten der eisernen Zugbrücken ein, die Chicagos nasse Lebensader seit den Tagen der Schlachthöfe säumen und die noch immer in Betrieb sind. Besonders informativ ist der seit 1935 von Wendella angebotene Cruise der Chicago’s Original Architecture Tour. Sie führt vom Chicago River durchs städtische Schleusensystem hinaus auf den Lake Michigan.
#3 MCA: Koons und Kollegen
Die Stadt ist stolz auf seine lebhafte und vielfältige Kunst- und Kulturszene. Die Museen-Landschaft ist ein Teil davon. Besonders spannend ist der Besuch des Museum of Contemporary Art wenige Schritte neben dem exklusiven Einkaufs-Boulevard der Magnificent Mile alias N Michigan Avenue. Hier warten Skulpturen, Fotografien, Installationen – und ein verträumter Pink Panther, Teil von Jeff Koons Banality Series.
#4 Al Capone: Untouchable Tours
Der Sound des Chicago Typewriter, so nannte man in den wilden 20er Jahren die knatternden Maschinengewehre, ist im schwarz lackierten Bus der „Untouchable Tours“ oft zu hören. Allerdings nur via Lautsprecher. Er ist das akustische Leitmotiv einer City-Tour auf den Spuren der Zeit der Prohibition. Einschusslöcher zum Aufkleben werden nebenbei verhökert, und mein Guide sieht so müde aus der Nadelstreifwäsche, dass es fast schon wieder hart wirkt.
Doch wen wundert’s? Fast alle konkreten Schauplätze aus der Ära des syphilisgeplagten Al Capone sind mittlerweile aus Chicagos Stadtbild getilgt: Die Garage, in der das berühmte St. Valentine’s Day Massacre stattfand – heute ein Parkplatz an der bürgerlichen North Clark Street. Das „Lexington Hotel“, von dem aus Al Capone ein Imperium mit einer halben Million Angestellten leitete , wurde längst selbst Opfer der Immobilienmafia.
Einzelne Lokale aus der wilden Zeit sind aber noch am Posten: Im „Harry Carray’s Italian Steakhouse“ an der W Kinzie Street residierte Erzganove Frank Nitti, konnte er von hier aus doch sehen, wer im gegenüber gelegenen Police Department ein und ausging. Die „Green Mill“ in Uptown, einst berüchtigt als Stammlokal von Al Capone, ist der am längsten durchgängig betriebene Nachtclub der Stadt. Die Einrichtung des Schuppens sieht ein wenig nach dem Jazz Age der wilden Dreißiger aus: Schweifige Holzpaneele und Art-Déco-Leuchten in der tabakbraunen Decke, von denen gelbes Licht träufelt.
#5 Lower West Side: Bier in Pilsen
Die raue Vorstadt Pilsen wird vor allem von Latinos bewohnt. Plus: Bohemians ersetzen längst böhmische Einwanderer. Aber: Die Schoenhoffen Brewery an der Canal Street, die Al Capone einst gekauft hatte, um alkoholfreies Bier zu brauen, in das später Hochprozentiges gegossen wurde, gibt es noch. Und das gilt auch für die historische Thalia Hall, einen ramponierten Ballroom, der sich zum Kulturzentrum gemausert hat.
Intimer als der innerstädtische Loop-Distrikt ist dieses Mosaik aus niedrigen Gewerbebauten und coolen Bier-Lokalen wie dem Dusek’s schon. Auch Pilsens 16th-Street-Wandgemälde sind Fixposten der lokalen Subkultur. Sie zeigen Indianerprofile, himmelblaue Madonnen und Latino-Arbeiter.
#6 Mexican Art Museum
Tacos-Buden, der mexikanische Wrestling-Wahnsinn Lucha Libre und Rodeo am mechanischen Bullen sorgen in Pilsen mitunter für echt mexikanische Volksfest-Härte. Der besondere Latino Flavour des Viertels wird aber auch im National Museum of Mexican Art spürbar. Es liegt abseits touristischen Routen im Harrison Park.
#7 Loop District: Skulpturen-Rundgang
Chicagos einzigartige OpenAir Kunstgalerie wurde bereits 1967 begründet – mit einer Art Eisendackel, den Pablo Picasso der Stadt Chicago vermacht hatte. Auch wenn das Ding umstritten war – Weichen stellte das Werk allemal. Im Laufe der Zeit wuchs sich der innerstädtische Loop District zur vielleicht spannendsten öffentlichen Skulpturensammlung der Welt aus: Marc Chagall komponierte 250 Farben und sechs Stadtszenen zum Mosaikquader. Joan Miró verpasste der Washington Street eine leptosome Frauenskulptur mit schwarzem Kamm am Kopf, Jean Dubufett der W. Randolph Street das ähnlich kuriose Fiberglas-„Monument with Standing Beast“.
Büroarbeiter spazieren an der Federal Center Plaza in ihrer Mittagspause unter den Bogenbeinen eines Riesenflamingos durch: sie gehören zu Alexander Calders Flamingo. Ähnlich viel Spass macht das reflektierende Spiel der Verzerrungen des Crown Fountain am Millenium Park, eigentlich eine Videoinstallation aus zwei Glassteinquadern, über die Portrait-Videos flimmern, und die sich von Zeit zu Zeit in Wasserspeier verwandeln.
Der dazwischen liegende, reflektierende Pool aus schwarzem Granit ist besser als jede Sandkiste – ein fröhlicher, lebhafter Ort, in dem das Lachen und Kreischen von Kindern jeder Hautfarbe zur neuen Devise der urbanen Zukunft wird.
#8 Abenteuer Architektur
Spaziert man etwas später im Schlepptau eines Architektur-Guides des Chicago Architecture Center dieselben Strassen entlang, dann offenbart Chicago ein ganz anderes Geheimnis. Statt „Go West!“ lautet die Devise „Go inside!“. Mit Größe allein ließen es die Baulöwen vor hundert Jahren nicht bewenden. Sie statteten Chicagos Wolkenkratzer auch im Inneren mit einer Pracht aus, die angesichts der pragmatischen Schönheit vieler dieser Gebäude kaum zu ahnen ist.
Lobbys von Banken und Foyers von Bürogebäuden entpuppen sich dann als Galerie einer erlesenen architektonischen Finesse. Wer Chicago aus der streng symmetrischen Perspektive eines Portiers des Bank of America Building erlebt, findet sich zwischen denkmalgeschützten Marmorwänden in dreidimensionaler Zick-Zack-Optik wieder. Oder neben Art-Déco-Aluminium, das bis aufs kleinste Briefkasten-Detail unverändert geblieben ist.
Die Relikte der ursprünglichen Infrastruktur haben sich ohnehin erhalten: Davon zeugen versteckte Oasen wie das „Ceres Café“ im Chicago Board of Trade Building, das altmodische Atrium des Kaufhaus Macy’s oder das Restaurant im „Chicago Motor Club“: Sie legen den Rückwärtsgang in Richtung einer echt großen Vergangenheit ein. America rewind.
Was man dann auch noch lernt: 1884 wurde mit dem zehnstöckigen Home Insurance Building in Chicago der Wolkenkrater erfunden – der innovative Stahlskelettbau wurde zum unverrückbaren Markenzeichen des urbanen American Way of Life.
Später kultivierte der Bauhaus-Emigrant Mies van der Rohe den Skyscraper zum Ausdruck modernistischer Perfektion. Sprich: Chicago ist nicht eine, sondern DIE Stadt der Moderne. Das beweisen nicht zuletzt Häuserraketen wie das Union Carbide Building oder das Chicago Board of Trade Building, die am Präriehimmel kratzen.
#9 Cloud Gate: die Instagram-Bohne
Der Millenium Park ist das grüne Wohnzimmer der Stadt. Der indisch-britische Bildhauer Anish Kapoor liess hier eine der schwersten Skulpturen der Welt vom Kranwagen hieven: Cloud Gate. So nennt den beliebtesten Instagram Spot der Stadt aber keiner. Stattdessen setzt sich für die hochglanzpolierte Showpiece-Skulptur die Bezeichnung „The Bean“ durch.
#10 Fulton Market: Es geht um die Wurst
Ecken wie Pilsen, das benachbarte Viertel um den Logan Square oder Ukrainian Village machen Chicago spannender als je zuvor. Der ehemalige Fulton Market, nur wenige Minuten westlich vom Loop, ist ein weiteres Beispiel für diese neu entdeckte Liebe zur Vorstadt. Die Schlachthäuser des Meatpacking District haben sich zum Brunch-Paradies West Loop gemausert.
Neben moosgrün lackierten Schnellbahnbrücken und Wandbildern mit blassen Metzgern und altmodischer Salami-Werbung liegt „Publican Quality Meats“. Es hortet Würste aus aller Welt, plus polnische Salzgurke mit extrafeinem Dillgeschmack. Der Mix aus Shop und Bistro bringt die aktuelle Metamorphose des Schlachthaus-Bezirks ziemlich appetitlich auf den Punkt.
# 11 Deep Dish Pizza
In Chicago wurden die Popcorns erfunden und außerdem eine Pizza-Variante, die zuverlässig satt macht. Die berühmte Deep Dish Pizza ist eine Upside-down Pizza, bei der der Käse unter der Tomatensauce platziert wird. Backzeit: zumindest 35 Minuten. Sie soll 1943 in der Pizzeria Uno erfunden worden sein, angeblich vom ehemalige Footballspieler Riz Ricardo. Küchenchef Rudy Malnati reklamiert das Rezept ebenfalls für sich und serviert sie in den Filialen der Kette „Lou Malnati’s“, etwa an der 730 N Rush Street.
# 12 Oak St. Beach
Kalorien runterlaufen und Sonnenbaden? Kann man an der Oak St. Beach, dem zentralsten der 29 Strände der Millionenmetropole. Das „Meer“ heißt Lake Michigan. Ganz so exhibitionistisch wie in Malibu geht es an Chicagos sandiger Gold Coast nicht zu. Aber Muskelprotze, die mit Kinderwägen joggen, finden sich am City-Beach allemal. Dass selbst die Polizei am City-Bike patroulliert, würde den alten Al vielleicht erstaunen, die entspannten Strandläufer der Oak Street Beach wundert das kaum. Schließlich zählt Chicago zu den sichersten Großstädten der USA.
# 13 Sundowner-Bar London House
Der schönste Blick auf das Lichtermeer von Downtown? Bietet die fantastische Rooftop-Bar des „London House Hotel“. Es hat eine Poleposition am Chicago River, 85 E Upper Wacker Drive und punktet mit traumhaften Blick auf die ikonischen Wolkenkratzer Wrigley Building und Chicago Tribune Tower, unter anderem.
#14 Billy Goat Tavern
Ein gewisser Mister Ray Kroc eröffnete im Vorort Des Playnes 1955 das erste McDonalds Restaurant und schrieb Fast-Food-Geschichte. 20 Jahre früher gründete der griechische Immigranten Billy Sianis seine „Billy Goat Tavern“.
Die versteckte Lage unter der Brücke der Lower Michigan Ave macht die älteste von heute acht Filialen zum ungeschliffensten Urgestein der städtischen Burger-Szene. Einst Treffpunkt von Journalisten, Informanten, Buchmachern, blieb die raue Pub-Atmosphäre bis zuletzt erhalten. Unverändert gut: der Cheeseburger im Self-Service-Stil.
#15 Rush Street Hour
Die Nacht ist noch jung: Wer an der zentral gelegenen Rush Street flaniert findet zahllose Abendlokale und Restaurants. Aber die Fluktuation ist hier ebenso hoch wie die Lokalmieten. Ein alteingesessener Tipp für Steaks: „Gibsons Bar & Steakhouse“ auf 1028 N Rush St.
#16 Chicago-Blues
Geboren auf den Baumwollfeldern des Südens. Aber erwachsen wurde der Blues in Chicago. Davon zeugen nicht nur legendäre Namen wie Otis Rush, Muddy Waters oder Howlin‘ Wolf, sondern auch etliche legendäre Blues Clubs in denen der typische Chicago-Blues erfunden wurde. Charakteristisch für diesen Combo-Blues ist die Besetzung mit Gitarre, Mundharmonika, Piano, Schlagzeug und Kontrabass oder E-Bass.
Während das Buddy Guy’s Legend eher zahm ausfällt und eine Adresse für Einsteiger ist, versammeln sich in Blues-Spelunken wie dem Kingston Mines schrägere Vögel. Es ist seit 1968 im Stadtviertel Lincoln Park am Posten und zählt damit Blues-Clubs der Stadt. Das nehmen die Betreiber auch ernst: an 365 Tagen im Jahr finden hier an zwei Bühnen Gigs statt. Nur Corona zwang vorübergehend zum künstlerischen Leerlauf.
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INFO CHICAGO
Info Chicago
Anreise
Direktflüge von Frankfurt, München mit Lufthansa oder United.com
Stylisch Schlafen
Markant gewellte Architektur am 221 N Columbus Drive. Das Haus der skandinavischen Kette überzeugt mit dänischem Möbeldesign in angenehm gedämpften Farben. Toller Outdoor-Pool. Das Hotel liegt nur einen Block vom Michigansee sowie nahe des Millenium Parks. www.radissonblu.com
Restaurant-Tipps
Das preisgekrönte NoMI Garden Rooftop Restaurant des Park Hyatt Chicago ist eine beliebte Brunch-Location und setzt auf saisonale Gerichte. NoMi steht für North of Michigan Avenue.
Infos
Covid-19
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