Dolomitenspektakel samt Drei Zinnen und Highlands-Ambiente auf dem Karnischen Höhenweg: Diese Südtiroler Fünf-Tage-Wanderung ist eine der schönsten Hüttentouren der Alpen
Beim Stichwort Sexten haben Sportfans womöglich zuerst das dort geborene Tennis-Ass Jannik Sinner im Sinn, Bergfans vermutlich die Drei Zinnen. Die markanten XXL-Felszinken, maximal knapp an der Dreitausendermarke vorbeischrammendes Wahrzeichen des UNESCO-Welterbes Dolomiten, sind ja auch zum Niederknien schön (dazu später mehr) – und dank Bus und Spazierweg zudem relativ leicht zugänglich.
Aber der im Osten Südtirols gelegenen Region nur deshalb einen Kurzbesuch abzustatten, wäre Frevel. Schließlich warten zig weitere sehenswerte Bergszenerien, Gipfel, Routen. Etwa der Hochpustertaler Höhenweg zum Pragser Wildsee oder der als schwer eingestufte Dolomitenhöhenweg Nr. 5. Die abwechslungsreichste Variante verspricht jedoch die in fünf Wandertagen gut machbare Kombi aus dem Anfangsteil des Karnischen Höhenwegs, südöstlich des Ortes verlaufend, und den Sextener Dolomiten im Südwesten.
Für diese rund 60 Kilometer lange, mittelschwere Tour muss man kein ausgewiesener Berfgex sein. Eine solide Kondition für rund vier bis sechs Wanderstunden pro Tag hilft jedoch.
In Nullkommanix auf 2.000 Meter
Wobei sich die erste Etappe sogar dank des runderneuerten „Helmjet Sexten“ gut abkürzen lässt – etwa weil man wie wir das Frühstück des zum bäuerlichen Schankbetrieb 2019 gekürten „Kinigerhofs“ ausführlich genießen will. Von der Bergstation auf 2.041 Meter Höhe führen dann gemütliche Kehren zum knapp 200 Meter höheren Hasenköpfl. Und wow: Rascher geht es wohl nirgends in den Alpen zu solch einem 360-Grad-Panorama!
Im Süden baut sich das Who-is-Who der Hochpustertaler Dolomitengipfel auf. Allen voran die wilden Zacken der Sextener Sonnenuhr, inklusive Elfer, Zwölferkofel und Einser. Täglich streift die Sonne pünktlich wie ein Uhrwerk über ihre markanten Spitzen.
Dagegen wirkt die im Norden gelegene, tiefgrüne Landschaft der Villgrater Berge geradezu lieblich. Alpineres Terrain verspricht der Kamm, auf dem der Karnische Höhenweg in insgesamt acht bis elf Etappen Richtung Südosten zieht. Da wollen wir hin!
Das Beste aus zwei Bergwelten
Los geht es auf dem schneidigen Grat über den Helm zur auf 2.447 Meter Höhe gelegenen „Sillianer Hütte“, die bereits haarscharf auf österreichischem Territorium liegt. Die vielen Drachenflieger und Paraglider starten jedoch in den italienischen Himmel. Wir starten in den Abend mit Kaiserschmarrn, Gösser und einem imposanten Gewitter, dem ein farbexplosives Abendglühen folgt. Was für ein Auftakt!
Tags darauf folgt ein munteres Auf und Ab, aber stets ganz oben, das mit großartigen Blicken zu beiden Seiten lockt. Hier die aufragenden Dolomiten, dort die aufregenden Osttiroler Bergzüge. Die baumlose, generell vegetationsarme Landschaft erinnert, zumal immer wieder Nebelschaden aus dem Tal hochziehen, an die schottischen Highlands.
Nur geht es hier viel alpiner zu, einmal sogar – leichter Puls! – mittels waagrechter kurzer Leiter über eine luftige Passage. Klingt dramatisch, aber ohne Höhenangst auch ohne Kletterseil problemlos zu meistern.
Friede über Sexten
Immer wieder stoßen wir rund um Sexten auf Grenzsteine, teils Relikte uralter territorialer Streitigkeiten, die 1753 durch den Friedensvertrag zwischen Kaiserin Maria Theresia und dem Dogen von Venedig beendet wurden. Sie erinnern daran, dass wir mal auf italienischem, mal auf österreichischem Boden laufen. Die kleine, feine „Obstansersee Hütte“, die sich jenseits aller Straßen und Gondeln in einem Bergkessel an einen Mini-See (mit Tretboot!) schmiegt, liegt in Austria.
Wichtiger jedoch ist die Erkenntnis: Je schwieriger man wo hinkommt, desto weniger voll geht es zu. Gilt hier zu hundert Prozent. Hundert Prozent Vergnügen beschert auch die Schnapsidee, nackt ins saukalte Wasser zu hüpfen. Ein überdurchschnittlich gutes Bergsteigermenü in der geselligen Stube wärmt rasch wieder auf – ebenso das einfache Familienlager im ehemaligen Hasenstall.
Servus Karnischer Kamm, ciao Dolomiten!
An Tag drei geht es vorbei an fernen Murmeltieren und nahen, frei umherlaufenden Kühen und Pferden rund um die Alpe Nemes. Auf der werden nicht nur Vier-, sondern auch Zweibeiner verköstigt. Tipp: das Bauerngröstel, ein Klassiker mit Rindfleisch, Kartoffeln und Krautsalat.
Wieder auf italienischem Boden, gehört Espresso, perdono: Caffè, zum angenehmen Standard. Angenehm sanft führt auch die weitere, in diesem Gebiet belebtere Tour durch ein hübsches Moorgebiet und über den Kreuzbergpass hinüber zu Teil zwei. Ciao Dolomiten! Bislang haben wir immer von Weitem drauf geschaut, jetzt sehen wir von unten rauf.
Zuerst blicken wir aber auf eine Reihe Wegmarkierungen. Hingewiesen wird etwa auf die „Sextener Almenwanderung“ und den 108 Kilometer langen Höhenweg „Dolomiten ohne Grenzen“. Auch der 2021 teileingeweihte, vom Karnischen Kamm zum Gardasee führende „Friedensweg 1753“ zieht vom Sattel weiter zum Arzalpenkopf.
An der Frontlinie des Ersten Weltkriegs
Wir schlagen Weg Nummer vier ein, den stetig ansteigenden Forstweg über die Malag Schellab Alm zu den Rotwandwiesen, ein von der anderen Seite per Gondel erreichbares familienfreundliches Plateau. Sprich: Hier ist touristische Infrastruktur vorhanden, doch nach den heutigen 17 Kilometern stören weder Nachbar-Chalets unserer „Rotwandwiesenhütte“ – ausnahmsweise mal kein Alpenvereinsstyle – noch Skiliftstützen. Wir sind einfach nur platt und kriechen zufrieden in die Hüttenschlafsäcke.
Wie anders es hier vor etwas mehr als hundert Jahren zugehen musste! Als im Gebiet rund um die Rotwand österreichisch-ungarische, deutsche und italienische Truppen einen erbitterten Stellungskrieg kämpften. Dessen Spuren sind noch heute im hochalpinen Gelände zu sehen und etwa im Freilichtmuseum auf der Anderter Alpe dokumentiert.
Dort, so das Ziel des Vereins „Bellum Aquilarum Onlus“, sollen Zeugnisse und Relikte aus dem Ersten Weltkrieg wie Lager, Stellungen, Galerien und Bunker vor dem Vergessen gerettet werden, mit historischen Wanderungen sowie einer Reihe von Infotafeln.
Zu Gast auf der Bilderbuchhütte
Genau diese Zeitreise treten wir am vierten Tag an, erst über den teils etwas steilen Gamssteig hoch über dem Fischleintal, in das wir dann bei der nächsten Etappe absteigen. Bergsteigerlegende Luis Trenker ist mit seinem Lobgesang über das „schönste Tal der Welt“ nicht allein. Daran hat auch der gigantische Felssturz am Einser im Jahr 2007 nichts geändert. Damals stürzten 60.000 Kubikmeter Geröll aus fast 2.700 Meter Höhe nach unten und überzogen das ganze Tal mit einer dicken Staubwolke. Längst vorbei.
Wir stärken uns in der herrlich gelegenen „Talschlusshütte“. Sie dient Spaziergängern aus Sexten als Kaffeeziel und Sportiven als Ausgangspunkt für die Drei-Zinnen-Rundtour, welche die meisten morgens durchs Altensteintal beginnen, um dann durchs Bacherntal beenden. Daher kommen wir aus dem „Ciao“ sagen zeitweise gar nicht mehr raus, steigen wir doch antizyklisch durch jenes Tal steil auf.
Auf den kraftzehrenden 700 Höhenmetern zur „Zsigmondyhütte“ kommen uns wirklich viele Bergwanderer entgegen. Als wir dann an der herrlich am Fuß des Zwölferkofels gelegenen Hütte ankommen, sind die Massen jedoch weg. Herrlich die entspannte Stimmung in dem urigen Berghaus, herrlich der Spritz auf der Terrasse. Gibt es Schöneres als einen Sonnenuntergang im Hochgebirge? Vielleicht einen Sonnenaufgang? Doch Überraschung: Es wird sehr, fast zu schnell hell, als wir um sechs Uhr morgens die Hütte verlassen.
Berge, Berge, Berge!
Als dann eine Stunde später die Sonne über die schlafenden Steinriesen lugt, überkommt uns doch noch ein wohliger Schauer. Und ein weiterer, als wir quasi allein auf dem Wanderweg 101 im steinig-felsigen Terrain unterwegs am Büllelejoch ankommen und bei wolkenlosem Himmel über die gesamten Dolomiten schauen. Soweit das Auge reicht Berge, Berge, Berge. Und quasi keine Zivilisationsspuren. Kurz: ein Moment für die Ewigkeit.
Und es kommt noch besser: Wir passieren die entzückende „Büllelejochhütte“, machen einen kurzen Abstecher zur Oberbachernspitze und kreuzen unterhalb aufregender Felswände und oberhalb der Bödenseen, die wie alpine Smaragde schimmern, hinüber Richtung Drei Zinnen.
Doch davon sieht man lange nichts. Doch auf einmal sind sie da. Respektive wir. Weil wir ums Eck biegen. Wir sehen: eine einmalig schöne Felsformation, einen ikonischen Gebirgsstock mit viel Freifläche davor. Wir sehen aber auch: viele Wanderer, viele Kletterer mit Gurtsets und noch mehr offensichtliche Spaziergänger, die von der südlich gelegenen Straßen beziehungsweise der „Auronzohütte“ scharenweise herüberlaufen.
Beschwingt zurück nach Sexten
Da ist sie wieder, die Erkenntnis: Je leichter ein noch so schöner Ort zugänglich ist, desto voller. Gut, dass wir die Tage davor viele schöne Bergmomente mehr oder weniger für uns alleine hatten. Auch beim Rückweg durchs reizvolle Altensteintal – Stichwort antizyklisch unterwegs sein – kommen uns nur noch vereinzelt Wanderer entgegen. Die meisten sind für den Tag schon „durch“.
Lust auf weitere Bergabenteuer? Wir haben da ein paar Ideen! Wie wäre es mit Höhlentrekking in der Schweiz? Mit dem Südtiroler Viertagewanderweg Dolorama? Oder den stylishen “Woodridge Chalets” im Salzburger Land?
Fotos: © Christian Haas, Nicola Bombassei, TV Sexten/Harald Wisthaler, TV Sexten/Manfred Kostner, TV Sexten
Sextener Dolomiten
INFO Sexten
Unterkünfte
Kinigerhof: oberhalb von Sexten befindlicher Roter-Hahn-Betrieb mit Panoramalage und Topküche, kinigerhof.com, roterhahn.it
Dolomitenhof: schön am Talschluss des Fischleinbodens gelegen, starke Küche, trotz vier Sterne bezahlbar, dolomitenhof.com
Talschlusshütte: noch etwas weiter hinten im Fischleintal, Aussicht: grandios. Küche: exzellent. Zimmer: hell und modern, talschlusshuette.com
Hütten: Sillianerhütte (2.447 m): geöffnet Anfang Juni bis Anfang Oktober, 28 Betten in Zimmern, 38 im Matratzenlager, sillianerhuette.at
Obstansersee Hütte (2.304 m): geöffnet Mitte Juni bis Ende September, 19 Betten in Zimmer(lager)n, 60 im Matratzenlager, Tel. 0043/4848/5422, https://obstans.jimdo.com
Rotwandwiesenhütte (1.924 m): geöffnet Ende Mai bis Mitte Oktober, ca. 70 Betten überwiegend in Zimmern, rotwandwiesenhuette.it/de
Zsigmondyhütte (2.224 m): geöffnet Anfang Juni bis Anfang Oktober, 36 Betten in Zimmern,
44 im Matratzenlager, zsigmondyhuette.com
Fernwanderwege
Karnischer Höhenweg: karnischer-hoehenweg.com
Weitwanderweg 1753: 1753.eu
Dolomiten ohne Grenzen: dolomitisenzaconfini.eu
Weitere Auskünfte
Tourismusverein Sexten, sexten.it