Hoch über dem Eisacktal: Der Viertage-Wanderweg Dolorama von Brixen nach Lajen sorgt bei Wanderneulingen wie Alpencracks für Hochgefühle
Der Peitlerkofel ist nicht zu übersehen. Über dem Hochplateau der Lüsner und Rodenecker Alm wird der Felsendom mal eingerahmt von Lärchen, mal wölbt er sich hinter den feisten Almkühen markant in den Sommerhimmel. Der Dolorama-Weg führt laut Karte geradewegs darauf zu und so ist der Berg ein unverwechselbarer Wegweiser.
Eine Viertages-Wanderung durchs Herz der Dolomiten: von Rodeneck via Lüsner Joch und Würzjoch zum Peitlerkofel, östlich um ihn herum via Gömajoch und über die Schlüterhütte zu den Geislerspitzen, aus dem Villnösstal heraus zur Raschötzhütte bis zum Ziel in Lajen. Dabei folgt sie bestehenden Wegen, unter anderem Wanderklassikern wie dem Adolf-Munkel-Weg am Fuß der Geislerwände, und bietet beste Gelegenheiten für den einen oder anderen Aussichtsgipfel am Wegesrand.
Höhenwege und Mehrtagestouren sind beliebt und auf Südtirol-Karten mittlerweile so zahlreich vertreten wie die braunen Flecken auf den Kühen der “Ronerhütte”, meiner erste Station, die man vom Wanderparklpatz in einer gemütlichen Stunde erreicht. „Manchmal ist es schon kurios, wie diese Routen zustande kommen“, erzählt Hüttenwirt Hubert Widmann an einem dieser Spätsommerabende, an denen es nach Sonnenuntergang zu kalt wird zum Draußensitzen. Eine beliebte Variante auf der Strecke München–Venedig führt ebenfalls an der gemütlichen Hütte vorbei, über das Lüsner Tal zum Peitlerkofel.
Dolorama-Etappe 2: Wegweiser Peitlerkofel
Aber auch nur, weil sich der Autor, der damals den Führer recherchierte, im Nebel verlaufen hatte“, erinnert sich Widmann und lacht: „Dabei ist der Dolorama-Weg die schönere und viel entspanntere Variante in die Dolomiten.“ Er freut sich über den neuen Weg. „Die Rodenecker Alm ist als Familien-Wandergebiet bekannt, aber wenige wissen, wie schnell man von hier aus in den Dolomiten ist. Wirst du ja erleben.“
Am nächsten Morgen wirken die Gipfel der Dolomiten in der Tat nah und einladend unter dem wolkenlosen Himmel. Auf der Alm glitzert noch der Reif, den die erste kühle Nacht des Sommers wie ein weißes Netz über das weite Hochplateau auf fast 2.000 Metern Höhe gelegt hat. Die Hügel darauf sehen aus wie auf einem sorgsam gepflegten Golfplatz. Vorbei an der Starkenfeldhütte hin zur Kreuzwiesenhütte, führt ein Abstecher vom Weg aufs Astjoch.
Der unscheinbare Grasberg bietet eine sensationelle Rundumsicht, von den Dolomiten bis zu den Zillertaler und Stubaier Alpen. Der Kronplatz liegt gleich gegenüber. Eine spannende Perspektive. Von hier aus wirken die Betonfinger von Messners Corones-Museum auf dem Kronplatz-Gipfel wie die grauen Nester einer Schwalbenkolonie. Nach Süden wandert der Blick in die Fanesgruppe, zum Heiligkreuz- und Peitlerkofel und zu den Aferer Geislern.
Diese grenzenlose Aussicht setzt sich auf dem weiteren Weg fort, beim Auf und Ab durch die Almlandschaft der “Campillalm”, vorbei an der hübschen Jakobstöckl-Kapelle und dem kleinen Glittner-See, dessen Schwanenpärchen hier oben irgendwie exotisch wirkt, bis hin zur Wieseralm. Im geschützten Hochtal am LüsnerJoch, wo der Bergwald sich bis über die 2.000-Meter-Grenze wohlfühlt, sollte man am Wegweiser die Variante über den Maurerberg zur “Maurer Berghütte” zu nehmen. Der Grashügel bietet die nächste 360-Grad-Aussicht zum Verlieben.
Dolorama-Etappe 3: Aussicht mit Kopf im Nacken
Von der modernen Hütte mit grandiosem Peitlerkofel-Blick aus geht es am nächsten Dolorama-Morgen tief hinunter das Fenster zur Würzjochstraße, dann parallel zu ihr, doch schön ruhig durch den Wald und hinauf zum Passübergang, wo Autos und Motorräder auffallen: Auf der einzigen Straße, die man auf dem Dolorama überqueren muss, realisiere ich, wie schnell man sich nach nur anderthalb Tagen an die Stille in den Bergen und den Soundtrack der lärmbefreiten Natur gewöhnt hat. Denn unmittelbar über dem Pass ragt der Peitlerkofel wie ein Natur-Wolkenkratzer gen Himmel. Berg total!
Der Weg zum Gömajoch führt unter seiner Nordwand entlang, an deren Fuß die Erosion einen regelrechten Canyon in den Fels gefräst hat. Wie ein Steinbruch von Riesen. Zum Glück geht es jetzt nicht durch die Felswand. Die Dolorama-Route ist so angelegt, dass keine neuen Wege gebaut werden mussten und allzu große Höhenunterschiede vermieden werden.
Dadurch, dass der Weg auch über Almenver läuft, ist er abschnittsweise ganzjährig begehbar. Im Unterschied zum Sommer haben im Winter aber nicht alle Hütten offen und das Würzjoch ist dann nur von der Gadertaler Seite erreichbar.
Das grasige Gömajoch gibt endlich den Blick frei auf die Geislergruppe. Hier ändert sich auch das Wetter. Der strahlend blaue Himmel wird abgelöst von einer niedrigen Wolkendecke, die die grauen Riesen mit einem Mal ganz nah wirken lässt. Die Heuschober entlang des fotogen geschwungenen Weges zum Kreuzkofeljoch machen das Bild perfekt.
Der Peitlerkofel vermittelt auf der Südseite ein ganz anderes Bild als vom Würzjoch: Statt wuchtig und steil zeigt er sich jetzt grasig und erst in Gipfelnähe felsig-schroff. So fantastisch und einzigartig ist diese Landschaft, dass der Titel als UNESCO-Welterbe mehr als verdient ist. 2009 wurde er den Dolomiten verliehen und seitdem faszinieren die spektakulären Fotos der Gegend Menschen weltweit.
“Schlüterhütte”: Dolorama-Multi-Kulti
In Bildbänden und bei Globetrotter-Instagramern stehen Bilder der Drei Zinnen oder Geislerspitzen neben Aufnahmen des Grand Canyons oder der Serengeti-Wüste. Was der “Schlüterhütte” seit ein paar Jahren ein internationales Publikum beschert. Schon auf dem Weg dorthin kommen mir Engländer, Japaner und Neuseeländer entgegen. In der großen Hütte herrscht abends ein regelrechtes Sprachenwirrwarr. „Da weiß man manchmal gar nicht mehr, ob man nun besser Italienisch, Englisch oder Deutsch mit den Gästen spricht“, erklärt Hüttenwirt Martin Pfattner und kassiert den Knödelteller eines älteren Herrn aus Japan ab – auf Englisch. „Aber echt spannend, aus welchen Teilen der Welt wir jetzt täglich Gäste begrüßen dürfen!“
Die Schlüterhütte ist so etwas wie ein Dolomiten-Wander-Drehkreuz. Und neuerdings auch Station des Dolorama. Viel länger schon des Dolomiten-Höhenwegs, auf dem viele Hüttengäste unterwegs sind. Wie Ron und Peter aus San Francisco. Die machen sich am nächsten Morgen früh auf den Weg, stopfen die Klamotten in die herrlich altmodischen Kraxenrucksäcke, mit denen sie sonst die menschenleere Sierra Nevada Kaliforniens durchstreifen. „Von den Dolomiten hatte ich gelesen, wollte sie schon lang mal sehen“, sagt Ron, der an Ansel Adams erinnert.
“Hätten wir gewusst, dass die Hütten der Alpen komfortabel wie kleine Hotels sind, wären Kocher und Zelt daheim geblieben.“ Noch vor dem Frühstück sollte man sich 20 Minuten Aufstieg von der Schlüterhütte aus gönnen. Sonnenaufgang auf der Felsnase des Zendleser Kofels ist ein Muss, der Blick in die Wandfluchten der Geislerwände ist umwerfend. Überm Kreuzkofeljoch bringt die Sonne die Vorhänge aus Morgennebel zum Leuchten, dann strahlen auch die Wolkenfahnen über den Geislermassiv. Ein toller Tagesauftakt!
Geislerspitzen: Wo schon Messner Lust auf Berge bekam
Beim Abstieg von der Hütte biege ich kurz nach der Gampenalm auf den Adolf-Munkel-Weg ein. Der ulkige Name steht im Widerspruch zum unglaublichen Anblick, den CampillerTurm, Furchetta, Sass Rigais und die anderen Felsgiganten bieten.
Es gibt Orte in der Natur, die einen sofort überwältigen, weil sie einfach so unglaublich schön sind. Die Wiese vor dem Sass Rigais, dem höchsten Gipfel der Geislerspitzen, gehört dazu. Hier entdeckte Reinhold Messner, der nebenan in St. Magdalena aufwuchs, als Knirps seine Leidenschaft für die Berge. Man könnte ewig hier liegen liegen, schauen, winzig sein unter den Felsgiganten.
Erstaunlich ruhig ist es auf dem Adolf-Munkel-Weg. Quirlig geht es hingegen auf der “Brogleshütte” zu. Die verköstigt viele Tagesgäste aus dem Grödnertal, die per Seilbahn und Wanderung über den Broglessattel ins Villnösstal gelangen. Auf dem lang gestreckten Passübergang lohnen ein Stopp bei halbwilden Eseln und ein Blick zurück auf die Geislergruppe, deren Felsen von hier wilder aussehen denn je.
Etwas später geht der Dolorama-Weg in seine Luxusversion über: In Eigenregie und mit Hingabe pflastert ein Rentner einen historischen Wegteil. Hier, wo schon die Sandalen römischer Soldaten klapperten, haut er mit dem Hämmerchen Natursteine passend und fügt sie wie ein Puzzle zusammen, jeden Tag ein paar Meter mehr.
Dolorama-Etappe 4: Über den Wolken
Von der der Flitzerscharte, wo man den ersten Blick auf den Langkofel erhascht, führt der Weg über ein sonniges Hochplaetau. Der Dolorama, so scheint es, folgt einer schönen Dramaturgie! Und das mit buchstäblichem Höhepunkt an der letzten Station, der “Raschötzhütte”. Die ist komfortabel wie ein kleines Hotel und schon deshalb der ideale Ausklang der Tour. Die Luft der steinigen Hochfläche flimmert von der Hitze, als ich die Hütte erreiche, dahinter liegt das Eisacktal im Sommerdunst. Kaum habe ich mein Zimmer bezogen, zieht eine schwarze Gewitterfront über die Geislerspitzen, walzt die Seceda abwärts und hinaus durchs Grödnertal.
Es donnert von allen Seiten. Regen setzt ein, Augenblicke später schneit es und selbst die Geranien am Fenster bekommen eine weiße Mütze. Der nächste Morgen ist surreal. Leicht verwirrt stapfen die Kühe an der Hütte im Neuschnee umher. Das Tal unter mir liegt im Nebel. Hier und da macht er auf, gibt den Blick frei auf die sonnigen Wände des Langkofels, auf einzelne Häuser oder Bergflanken, deren Bäume jetzt an Szenen aus Regenwäldern erinnern.
Ein paar Meter tiefer hat der Nebel auch mich verschluckt. Wenig später dann das sonnige, warme Happy End in Lajen, am letztenTag des Sommers: In der Nacht hat die Natur bereits in den Farbtopf gegriffen. Die Lärchen tragen schon Gelb.
Wandern ist zu anstrengend? Hier geht’s zum entspannten Kurvenrausch durch die Alpen.
Dolorama
INFO DOLORAMA
Die viertägige Tour führt an einigen der schönsten Dolomitengipfeln vorbei. Mit fünf- bis sechstündigen Tagesetappen ist der Doloroma-Weg dabei auch für Wanderanfänger gut machbar. Zahlreiche Hütten am Weg ermöglichen es zudem, die Etappen zu verkürzen. Ausfühliche Wegbeschreibungen und Infos gibt’s auf der Dolorama-Website.
Anreise
Über die Brenner-Autobahn zur Ausfahrt Brixen / Vahrn und weiter auf der Staatsstraße (SS 49) ins Pustertal. Kurz vor der Unterführung in Mühlbach über eine Brücke durch den Ort und vor der Tankstelle in Mühlbach rechts abbiegen. Auf der Rodenecker Straße bis zum Parkplatz Zumis (kostenpflichtig) auf der Lüsner-Rodenecker Alm. Mit dem Zug und Wanderbus zurück zum Endpunkt Lajen.
Beste Wanderzeit
Die Hütten am Weg öffnen im Juni und sind bis spät in den Oktober bewirtschaftet. Der Herbst mit der klaren Luft ist die schönste Wanderzeit in den Dolomiten. Achtung: Die Schlafplätze in den Hütten unbedingt reservieren!
Covid-19
Covid 19 hat weiterhin Einschränkungen im internationalen Luft- und Reiseverkehr und bei Einreisen weltweit zur Folge. Achtet bitte deshalb unbedingt auf die aktuellen Reiseinformationen des Auswärtigen Amts unter auswaertiges-amt.de