Seilschaften in XXL-Felswänden, hochalpines Kraxeln und Abseilspektakel: Das recht neue Angebot „Kaiser hoch 6“ verspricht auch „Normalbergsteigern“ aufregende Klettererlebnisse. Wir haben’s gewagt …
Kaum ein anderes Bergmassiv ruft so laut – und auch schon so lange – wie der Wilde Kaiser. Bereits im 19. Jahrhundert schwang sich der rund 20 Kilometer breite Tiroler Bergstock zum Mekka der frühen Alpinisten auf. Während Cracks wie Stefan Glowacz und andere „Koasakraxla“ selbst im 21. Jahrhundert noch neue Herausforderungen auf höchstem Kletterniveau finden, bieten die Kitzbüheler Bergführer auch Klettertouren für „Normalbergsteiger“ an – und zwar auf den Spuren der legendären Erstbegeher.
Unter dem Titel „Kaiser hoch 6“ geht es an der Seite erfahrener Guides (und großteils auch an deren Seilen) hinauf zu sechs felsigen Zweitausendergipfeln.
Das wollen wir testen! Wir, das sind drei Brüder in den 40ern, konditionell gut drauf, aber keinesfalls überragend. Bergerfahren, aber nicht im Klettern, mal von der einen oder anderen Via Ferrata abgesehen. Klingt so, als wären wir die Zielgruppe von „Kaiser hoch 6“. Das bestätigt vorab auch Gebi, der uns als Bergführer hinauf zum Totenkirchl – welch unheilsamer Name – begleiten wird. Auf den Vorbereitungstag verzichten wir jedenfalls. Und verabreden uns mit dem 37-Jährigen am Tag X an der „Griesneralm“ am Ende des Kaiserbachtals, am Ende der Straße.
Hauptsache kein Gewitter
Handshake und kurzes Plaudern, auch mit Gebis Guide-Kollegen, dem 67-jährigen Wastl Fürstaller, dann Austesten des Klettergurts und der Grundkondition. Mittels Aufstieg zur rund 550 Meter höher gelegenen „Strips“, dem „Stripsenjochhaus“, auf 1.580 Meter Höhe. Zu der geht es auf einem netten Wanderweg auch flott hinauf.
Nach einer guten Stunde erreicht das Kommando „Kaiser hoch 6“ die traumhaft auf einem Sattel gelegene Alpenvereinshütte, beziehen die Betten im Matratzenlager (schließlich wollen wir dort nach der Tour nächtigen), stärken uns mit Getränken und cremen uns ein. Die Hochsommersonne meint es schon jetzt gut mit uns, aber trotz wolkenlosem Himmel warnt Wastl: „Mit Gewittern muss man immer rechnen. Und dann wird’s ungemütlich im Fels. Manche mussten dann schon im Fels notbiwakieren.“
Der Fels. Damit meint er die imposante Wand, die unweit der Hütte hunderte Meter in den Tiroler Himmel ragt und einen krassen Gegensatz zu den sanften Wanderwegen rund um die Hütte bildet. Wo bitte soll es da überhaupt raufgehen? Gebi bestätigt: „Zu Predigtstuhl, Totenkirchl und Co. führt kein Wanderweg hinauf, hier sind nur Kletterer unterwegs, die in schier endlosen Felswänden hängen.“
Durch Latschen latschen
Endlos? Wastl konkretisiert: „Wir rechnen zum Gipfel und zurück mal mit sechs Stunden.“ Er ahnt nicht, dass er sich massiv verschätzen wird. Derweil geht der erste Teil zum Wandfuß noch fix. Auf einer teils durch Latschen und über Felsen führenden Pfadspur bleibt Zeit, mehr von Gebi zu erfahren. Wie Wastl ist er bei den Kitzbüheler Bergführern aktiv, daneben aber auch staatlich geprüfter Skiführer und ehemaliger Europacupteilnehmer im Sportklettern.
Zudem hat der studierte Germanist und Romanist ein Geschichtsbuch über den Wilden Kaiser geschrieben. Daher kann Gebi uns, und das wird er im Lauf des „Kaiser hoch 6“-Tages immer wieder tun, einiges über die Kletterpioniere erzählen.
Das sind allen voran Hias Rebitsch und Hans Dülfer. Allein auf dessen Konto gehen 50 Erstbegehungen in vier Jahren, etwa hinauf zur Fleischbank, noch so ein bizarrer Name. Das 2.190 Meter hohe Totenkirchl nebenan bezwang Dülfer auch, Erstbesteiger jedoch waren Karl Babenstuber, Gottfried Merzbacher und Michael Soyer – 1881.
Perspektivwechsel am Berg
141 Jahre später zählt der Berg immer noch zu den berühmtesten Kletterbergen der nördlichen Kalkalpen. Nun probieren es also auch wir. Motiviert durch Gebis Leitspruch: „Ich steige auf Berge, um mir von oben eine neue Perspektive vom Leben zu holen. Und: Weil es mich schlichtweg freut. Diese Freude möchte ich meinen Begleitern weitergeben.“
Stichwort neue Perspektive: Jetzt wird es ernst. Über uns 400 Meter Wand! Zweifel? Ein tiefer Blick in die Augen – und los! Wir schlüpfen in die Klettergurte, setzen die Helme auf und staunen über Dutzende Karabiner und viele, lange Seile – Wastl: „Hier hat sich in puncto Material und Gewicht wahnsinnig viel getan in den letzten Jahren“ – in die wir uns einklinken. Meine Brüder bilden eine Seilschaft mit Wastl. Ich folge, an Gebi angeleint.
„Kaiser hoch 6“: Nichts für Leute mit Höhenangst
Gelegentlich weisen rote Pfeile den Weg durch Geröllrinnen, mehr aber noch die „Linie“ von Gebi. Wo er hintritt, fasse auch ich Fuß. Wo er zugreift, lang auch ich hin. Immer wieder klinken sich die Guides in Bohrhaken ein, bevor sie uns zurufen, nachzusteigen. Manchmal seh ich Gebi kurz nicht. Unbehaglich, insbesondere an einer Stelle, an der ich mich nicht traue, umzugreifen und einen beherzten Schritt zu machen. Ist das bereits das Ende? Nein, nach Wackel- und Wankelminuten trau mich schließlich.
Auch nicht ohne: die Stelle, an der wir uns abseilen müssen und nur an einer schmalen Felsstelle „landen“ können, bevor es wieder durch einen Kamin hoch geht. Nach unten geht es hier gleich mehrere hundert Meter. Arrg! Für Leute mit Höhenangst oder Hang zur Panik ein geeigneter Moment, durchzudrehen.
Aber omm, das Wichtigste ist: kühlen Kopf bewahren, step by step, Passage für Passage. Nie an die ganze Wand denken. Und am besten: nie runtergucken! Geschweige denn an die tragischen Bergschicksale denken. Denn, ja, auch am Totenkirchl sind immer wieder Todesfälle zu beklagen, erst 2011 kam es hier zu einem Absturz nach Herzversagen. „Bei ,Kaiser hoch 6′ gab es aber noch nie Probleme”, versichert Wastl.
Weg mit diesen irren Gedanken und lieber die wirklich irren Ausblicke genießen. Und da wir immer mehr Vertrauen in den festen Fels gewinnen, geraten wir in einen wahren Flow. Läuft! Auch der Schweiß, denn die Kletterei ist ebenso abwechslungsreich wie anstrengend.
Hechelnder Atem, geschundene Knie
In einigen Kaminen muss man sich ordentlich hochziehen. Einmal behelfe ich mir mit dem „Mariazeller“, sprich: Ich gehe auf die zunehmend geschundenen Knie, eben wie die Wallfahrer in Mariazell, und wuchte mich hoch. Unter „wahren“ Alpinisten verpönt, aber uns ist’s egal.
Ein anderes Wort der Stunde lautet „Spreizen“. Bedeutet: Beine beidseitig gegen die Felsen stemmen und sich durch den Druck hochschieben. Gebi selbst scheint keinerlei Anstrengung zu empfinden. Federleicht tänzelt er die Wände, Rinnen und Kamine hinauf. Wir Brüder spreizend, stemmend, mariazellernd hinterher.
Der Watzmann wäre leichter …
Angeschlagen erreichen wir die erste Terrasse. Und können kaum glauben, dass wir trotz der Schinderei gerade mal ein Drittel haben! Es folgen weitere Kletterpassagen in den Graden 3 und 3-, meist jedoch im 2. Gebi motiviert uns: „Die Watzmann-Ostwand ist technisch leichter, aber halt viel länger.“ Noch länger?
Müsliriegelpause auf der zweiten Terrasse, die auf die Rampe oberhalb des von uns begangenen sogenannten „Führerwegs“ senkrecht bis überhängend mit 150 Meter hoher Wand aus bestem Gestein abbricht. Wir stellen uns vor, wie einst Dülfer und Co. die steilen Wände gemeistert haben, zumal nur mit genagelten Bergschuhen und, wenn überhaupt, mit haarsträubender Hanfseilsicherung.
Abhängen mit erhöhtem Puls
Das obere Drittel wird gefühlt etwas sachter, zumindest sitzt einem nicht mehr der Monsterabgrund im Nacken. Ab und an wird aus der „leichten alpinen Kletterei im 2. und 3. Schwierigkeitsgrad“ (so der Marketingssprech, den wir unterm Strich als zu blumig empfinden) eine alpine Wanderung, dann tatsächlich über mit Blumen bewachsene Graspolster. Anstrengend bleibt es dennoch: sich wo raufziehen, verkantete Seile entwirren, festen Stand suchen. Als wir nach fast sechs Stunden (!)endlich den Gipfel erreichen, können wir es kaum fassen: Wir sind ganz oben!
Dennoch: So richtig entspannen können wir nicht, trotz grandioser Aussicht auf die wanderweg- und menschenleeren Gipfel rundum. Weil: Sind das dahinten Gewitterwolken? Spoiler: Nein. Und: Müssen wir wirklich denselben Weg wieder runter? Ja! Doch es geht schneller, weil wir rund achtmal abgeseilt werden. Das heißt jedes Mal entsprechend sichern, rückwärts an die Steilkante stellen und sich dann – wo bitte geht’s lang? – langsam runterlassen. Wastls Tipp: „Am besten die Beine durchstrecken und nicht ins Baumeln kommen.“
Nur die Ruhe!
Genau das passiert aber! An einer Überhangstelle kommt mein Daumen beinahe unter das Seil, was im Worst Case „Finger ab“ bedeuten könnte … Doch Problem gelöst, Puls wieder runter. Und gleich wieder rauf, als ich einmal partout nicht den anvisierten Standplatz im glatten Fels finde. Doof: Gebi und Wastl können nicht dirigieren, weil sie uneinsichtig 50 Meter höher „ums Eck“ stehen. Wichtig hier wie immer auf dem „Kaiser hoch 6“: Cool bleiben. Neben Ausdauer, Trittsicherheit und Schwindelfreiheit schadet bei einer solchen Unternehmung auch eine gewisse mentale Stärke nicht.
Das gilt auch für das Finale, bei dem wir die vorherige Abseilpassage nun hochklettern müssen. Und das bei schwindenden Kräften und schwierigen Haltepunkten. Doch auch das kriegen wir in den Griff. Und laufen, wenn auch völlig erschöpft, wie die Kaiser auf der Terrasse der „Strips“ ein, wo wir einen duften Gegenpart zu den geduschten und Sundowner schlürfenden Gästen bilden. Den haben wir uns nach letztlich neuneinhalb Stunden „leichter Kletterei“ über 600 Meter Seillänge und insgesamt 1.240 Höhenmeter auch verdient.
Ein Bruder gesteht: „So krass hab ich es mir nicht vorgestellt. Ich bin an meine Grenzen gegangen – und darüber hinaus! Und bin enorm stolz und glücklich. Jetzt!“ Gebi auch. Er hat uns seine Bergfreude weitergegeben …
Lust auf weitere Bergabenteuer? Auf in die Sextener Dolomiten (in diesem Fall ohne Kletterei)! Oder hinein in die Schweizer Unterwelt!
Oder in den “Abenteuerspielplatz” Area 47!
Info
INFOS „KAISER HOCH 6“
Unterkunft
Stripsenjochhaus, ÖAV, 2- bis 8-Bett-Zimmer und Matratzenlager, ab 13 Euro,
Halbpension 29 Euro, geöffnet bis Mitte Oktober, stripsenjoch.at
Guides
Kitzbüheler Bergführer, kitzbuehelerbergfuehrer.at
Angebot „Kaiser hoch 6“
Touren auf Totenkirchl, Fleischbank, Predigtstuhl, Ellmauer Halt, Lärchegg, Hintere Goinger Halt. Maximal zwei Teilnehmer pro Guide, Preis auf Anfrage (abhängig auch vom etwaigen Vorbereitungstag, Gruppengröße, Ausrüstung, „Beiprogramm“), kitzalps.cc/kaiserhoch6
Weitere Auskünfte
Infobüro St. Johann in Tirol, kitzalps.cc