Wetterfest, hemdsärmelig und geradeheraus. So liebt man Schottlands raue Hafenstadt. Soeben erfindet sie sich wieder neu
Eine warme Wollmütze trägt der Stadtpatron, die kann auch im Südwesten Schottlands nicht schaden. Ebensowenig wie die enorme Übergröße. Denn sie zieht sich über eine ganze Feuermauer der High Street. Der Heilige Mungo als moderner Glaswegian zählt zu den bekanntesten Arbeiten des Glasgow City Center Mural Trail. Wer mehr Street Art sehen möchte, wird an der nahen Ingram Street fündig – dort huschen die Tiere der nahen schottischen Natur über das Mauerwerk.
Netter Nekropolenblick
Der Stadtpatron Saint Mungo weist aber auch den Weg zur ersten Orientierung. Und führt zu einem der berühmtesten Friedhöfe Schottlands. Wobei: Der historische Hügel neben der Castle Street verdient sich angesichts monumentaler Ruhestätten die Bezeichnung Nekropole. Wer selbst hier liegt, etwa ganz gemütlich auf dem saftigen Rasen, kann nicht nur den Blick in dem Himmel genießen, sondern auch auf Glasgow und auf die benachbarte Kathedrale.
Der Besuch der denkmalgeschützten Totenstadt lässt sich perfekt mit weiteren geistigen Dingen kombinieren. Rollt man den imposanten Gräberhügel hinunter, so landet man an der Duke Street 161 im neuen Tennent’s Visitor Center. Schottland berühmteste Brauerei bietet nach der Tour eine köstliche Rarität: nicht pasteurisiertes Lagerbier. Ähnliches gilt für die nahe gelegene Mikrobrauerei Drygate an der Duke Street 41.
Comeback im Hafen
Man sieht: Geister und Hochgeistiges gehören zur DNA der verkappten Trendcity Glasgow dazu. Nicht zu vergessen: 55.000 Studierende in gleich drei Universitäten halten die Stadt ebenfalls jugendlich fit. Das war schon immer so. Denn es gab Tage, da lag der Hafen der Stadt in der Poleposition. Näher dran an Amerika als die Londoner Docks. In den Werften am Clyde entstanden die bekanntesten Ozeanriesen der Ära. Langweilig war es auch später nie. Genie und Maschine, Werft und Wunder gehen im Südwesten Schottlands perfekt zusammen. Als roter Faden für Stadtspaziergänge taugt beides allemal.
Zuletzt entstanden am Ufer des River Clyde aber ganz andere spektakuläre Bauten. Zaha Hadids zackige Riverside Museum ist so ein Wegweiser Richtung Zukunft. Es ist dem Thema Transport gewidmet – und so parken hier Oldtimer wie Matchbox-Autos an den Wänden. Der Metallpanzer von Norman Fosters architektonischem Gürteltier, das die Glaswegians prompt „Armadillo“ tauften, ist ein weiteres Wahrzeichen.
Magischer Mackintosh
Als der Jugendstil-Pionier Charles Rennie Macintosh um 1890 über hochlehnige Stühle und eckige Buchstaben nachdachte, hatte man in Glasgow gerade New York fertig gestellt – allerdings minus einem Dutzend Stockwerke. Ohne den Mann, der Glasgow einst zur Jugendstilmetropole des Nordens stilisierte, ist keine Stadtvisite komplett – wobei blutleere Musealität im Abseits bleibt.
Denn im „Mackintosh at the Willow“ an der Sauchiehall Street 217, einziges Überbleibsel einer Reihe von Macintosh-Teestuben, kann man heute High Tea genießen. Zwar nachempfunden, aber auch nicht schlecht: Der „Willow Tea Rooms“ an der Buchanan Str. 97.
Das Kelvingrove-Kaleidoskop
Ganz andere kulturelle Freuden verspricht die Kelvingrove Art Gallery & Museum. Ausgestopfte Zebras, eine Spitfire, schottische Landschafts-Aquarelle, ein Ceratosaurier garantieren hier einen bunt zusammengewürfelten Inhalt. Das Motto ist typisch Glasgow und lautet einfach: Kunst für jedermann.
Wenige Schritte von Kelvingrove Park liegt das elegante West End Viertel Hillhead: Rund um die neogotische, von Kreuzgang-Gewölben geprägte University of Glasgow pulsiert studentischer Alltag. Ein ähnlich entspannender Ruhepol ist Kibble Palace, ein viktorianischer Wintergarten im Botanischen Garten.
Schottenröcke shoppen
Dudelsack-Sound und Straßenmusiker im Kilt stimmen auf die Einkaufsmeile Buchanan Street ein. Wer sich zünftig-schottisch kleiden möchte, kann das bei Hector Russel, dem traditionsreichen Tartan Wear Spezialist an der Buchanan Street 110. Eleganter sind aber das viktorianische Atrium-Kaufhaus Fraser auf Nr. 45 sowie die hochkarätige Argyll Arcade auf Nr. 30. Diese Glas-Eisen-Konstruktion stammt aus 1827 und beherbergt nun Juwelen und Uhrengeschäfte.
Wer lieber Entwürfe des Charles Rennie Mackintosh erwerben möchte, findet Jugendstil-Schmuck und -Drucke in den Museumsshops von The Lighthouse. Einen Besuch ist der vom Leitfossil der einstigen Arts & Crafts Bewegung entworfene Bau alleine schon wegen der schönen Wendeltreppe. Am Ende angekommen lohnt der freie Ausblick auf die Innenstadt. Noch höher, nämlich dreißig übereinander gestapelte Doppeldeckerbusse hoch – Umrechnung für Kontinentaleuropäer: 127 Meter – ist das Observation Deck des Glasgow Tower.
Am zentralen George Square stehen ganz andere Entscheidungen an. Ins moderne Kunstmuseum Gallery of Modern Art (GoMA) und dann weiter in den reichen Stadtteil Merchant City mit seinen edlen Läden und Bars? Oder sich lieber unter Straßenmusiker, Flaneure und Statuen berühmter Schotten mischen?
Letztere sehen mit versteinerter Miene zur ebenfalls strengen Fassade der neoklassizistischen City Chambers hinüber. Doch zugleich hat der bodenständige Biotop Glasgow auch seinen eigenen Sound entwickelt. Der klingt freilich so verschieden wie Dudelsack-Bewerbe, Simple Minds, Franz Ferdinand, Oasis und Amy Macdonald – allesamt Kids der herrlich geradlinigen Stadt!
Pub Crawl: Einer geht noch …
Die krumme Kopfsteinpflaster-Gasse Ashton Lane ist ein Epizentrum des Glasgower Nachtlebens. Aber im Uni-Viertel Hillhead finden sich weit schrägere Westend-Adressen. Die ehemalige Kirche „Òran Mór“, Ecke Great Western Road/Kersland Street, ist eine Kombi aus Pub und Kleinkunstbühne. Der nahe „Hillhead Bookclub“ an der Vinicombe Street 17 war ein viktorianisches Edelkino und punktet nun mit coolem DJeing.
Zentraler liegt die hufeisenförmige Theke der „Horse Shoe Bar“ an der schmalen Drury Street 17-19, ein rares Juwel aus der Ära der sogenannten Palace Pubs. Wer großen Durst hat, ordert am besten den Craft Ale Bucket, das sind 12 Biere für rund 33 Euro. Ähnlich zentral liegt „The Counting House“ am St. Vincent Place 2, ein Pub in einer ehemaligen Bank-Schalterhalle.
Besonders edel ist der Drink unter der Kristallkuppel des „Corinthian Club“ an der Ingram Street 191. Dort befand sich einst der Oberste Gerichtshof. Nun urteilt man hier über Ginsorten wie Tanqueray No. 10. Aber weil Glasgow die Stadt von Simple Minds, Franz Ferdinand, Marc Knopfler oder Amy Macdonald ist, kann man es auch ein wenig dröhnen lassen: Im Club-Urgestein „King Tut’s Wah Wah Hut“ an der Vincent Street 272a, das ist genau der Keller, in dem Oasis entdeckt wurden.
Darf es noch etwas mehr Stadt sein? Wie wäre es mit Singapur? Oder einem Klassiker wie Rom?
Glasgow
INFO GLASGOW
Schöner Schlafen
Lange, massive Holztische mit Spielen, bunte Graffiti über der schicken Bar und coole Coffetable Books: Das an der High Str. 210 gelegene Boutique-Hotel Moxy Glasgow Merchant City ist auch ein Ort der Begegnung und verströmt Party-Feeling.
Restaurant-Tipp für Glasgow
Schlemmen am urigen Barras Market 54 Calton Entry: Das Fisch-Restaurant „A’Challtainn“ serviert Jakobsmuschel Carpacchio mit Vanille und Schalotten-Confit oder Makrelen-Paté mit Fenchel und Roggen.
Info
visitscotland.com, peoplemakeglasgow.com
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