Österreichs größter See ist bei Tauchern beliebt, auch in der kalten Jahreszeit. Dafür sprechen eine Top-Sicht, Extrathrill dank Pfahlbauten und eine Krippe in zehn Meter Tiefe. Das Beste: Im Trockenanzug muss niemand frieren.
Wo wir unseren Open-Water-Diver gemacht hätten, will Gregor Bockmüller, den alle nur „Bocki“ nennen, am Telefon wissen. „Marsa Alam am Roten Meer? Oh, oh, ein Fehler!“ Klar, weil mit den bunten Korallen, Schildkröten, Rochen und Tausenden von Fischen könne „sein“ Attersee nicht mithalten. Dafür punkte dieser mit kurzer Anreise, klarem Wasser, guter Tauchinfrastruktur und Tauchmöglichkeiten rund ums Jahr. Also auch im Spätherbst und Winter? „Ja und wie! Dafür gibt es schließlich Trockis, mit denen es selbst bei niedrigen Temperaturen schön warm bleibt.“
Das ruft nach einem Praxis-Check, also auf nach Weyregg zu Bockis Tauchschule „Under Pressure“! Die Uhren stehen bereits auf Winterzeit, Strandliegen in Kellern und Garagen, die Attersee-Motorschiffe im Depot. Wer jetzt am mit 48 Quadratkilometer größten innerösterreichischen Gewässer Urlaub macht, konzentriert sich auf Spaziergänge, Wellness und Alpakatouren. Oder taucht!
Bis zu 171 Meter geht es in die Tiefe
Bereits auf der Fahrt entlang des 19 Kilometer langen, im Süden von markanten Kalkbergen eingerahmten Sees fallen ein halbes Dutzend Tauchteams auf, die entweder ihr Equipment neben ihrem Wohnmobil oder Kombi herrichten oder gerade in die Fluten des bis zu 171 Meter tiefen Sees steigen. An der größten Tauchschule am Attersee wuselt es geradezu. Dutzende Kunden und Mitarbeiter schwirren umher, einige im Laden, andere draußen im Ausrüstungslager, wieder andere am und im See, in dessen bauchtiefen Uferbereich eine Badeleiter führt.
„Bevor es ans Hausriff geht“, begrüßt uns Bocki, „bekommt ihr einen Einführungskurs ins Thema Trockenanzug.“ Malu, Mitte 20 und aus Nordbayern „übergesiedelt“, übernimmt und erklärt die Vorteile gegenüber den in wärmeren Gefilden üblichen Neoprenanzügen: „Dadurch, dass sie komplett abgeschlossen sind, bricht quasi kein Wasser ein. Das verhindern auch Haube, Handschuhe und angeschlossene Füßlinge. Nur im Gesicht, unter der Taucherbrille, kommt man mit Wasser in Kontakt.“
Tauch-Community mit über 1.500 Mitgliedern
Das mag heute mit rund zehn Grad noch erträglich sein, aber fortgeschrittene Taucher gehen auch bei drei Grad an einer der 21 gekennzeichneten Einstiegsstellen ins Wasser. Dann aber noch mit ordentlich vielen Fleece-Schichten drunter! „Von den rund 150.000 Tauchgänge und 30.000 Nächtigungen pro Jahr fällt ein immer größer werdender Anteil in den Herbst und Winter“, meint Malu. „Was auch an unserer aktiven Tauch-Community mit mehr als 1.500 Club-Mitgliedern liegt – da ist rund ums Jahr was los!“ Vorteil kalte Jahreszeit: Glänzt der See dank seiner Trinkwasserqualität schon im Sommer mit passablen Sichtweiten, steigern sich diese ab November deutlich – auf bis zu 25, gar 30 Meter.
Nach dem Theorieteil und dem Zurechtlegen des restlichen Equipments – Brille, Flossen, Tarierjacket, Blei, Flasche – lernen wir noch etwas über die für Warmtaucher ungewöhnlichen zwei Flaschenanschlüsse („falls mal einer einfrieren sollte“) und vor allem über die Connection zum Trocki. Denn ja, der wird auch mit Luft gefüllt. Dazu schlüpfen wir mit unserer Skiunterwäsche in die dicke „Außenhaut“, ziehen den quer über die Brust verlaufenden XL-Reißverschluss fest zu und stöpseln den Inflatorschlauch an.
Luft rein, Luft raus – Hauptsache schön angenehm!
Auf den „Wohlfühlknopf“ auf der Brust gedrückt, kommt Luft in den Anzug, hebt man den linken Arm nach oben, strömt diese wieder heraus. Warum das Ganze? Das lernen wir am von Bocki als „Hausriff“ vorgestellten See-Trainingsplatz. Wir stellen fest: 1. Es kommt wirklich gar kein Wasser rein und 2. Je weiter wir abtauchen, desto stärker werden wir vakuumiert, was dann eben das Nachströmen von Luft erfordert. Wie immer beim Tauchen: alles eine Frage des Drucks, pure Physik. Gut, wenn man ein Gefühl für die etwas ungewohnte Ausrüstung bekommt. Unser Gefühl sagt, dass ein sehr viel feineres Tarieren als mit dem Jacket möglich ist. Zum Wohlfühlen eben.
Beschwingt steigen wir aus dem Wasser. Beim Ausziehen und Aufwärmen in der Sonne stellen wir dann doch leichte Wasserflecken auf dem Underlayer fest. Stört aber nicht weiter, solang niemand friert. Es folgt Teil zwei. Brotzeitgestärkt geht es mit dem Auto ein paar Kilometer zum Tauchplatz Dixi. Der heißt nicht wegen des dortigen Klohäusls so, sondern aufgrund eines auf mehr als 20 Meter Tiefe liegenden Motorbootes selbigen Namens. Ferner wartet hier, was die Tauchtafel verrät, eine Holzplattform auf fünf Meter Tiefe, ein „Unterwassergebüsch“, eine umgedrehte Wanne, unter der man Luft holen kann, und vor allem ein von Mitgliedern des Tauchkompetenzzentrums Attersee versenktes Pfahlhaus.
Jahrtausendealte Siedlungsspuren
Wie kommt‘s? Eine Reminiszenz an die prähistorischen Pfahlbauten am anderen Seeufer, die mit ihren bis zu 8.000 Jahren und dem Status als UNESCO-Weltkulturerbe nicht betaucht werden dürfen. Um nicht in Versuchung zu führen, wurden an mehreren Plätzen Alternativziele geschaffen, etwa der Pfahlbauwald in Nußdorf. Stellvertretend für die 111 Pfahlbausiedlungen des Alpenraums stehen 111 Pfähle im Seeboden. Die Stempen sind in Form eines Steges sowie einer Einfriedung angeordnet und greifen damit Architekturelemente der urgeschichtlichen Siedlungen auf.
Beim Tauchplatz „Hinkelsteine“ in Steinbach finden Unterwassersportler eine Gruppe lebensgroßer Figuren aus der Stein-, Bronze- und Eisenzeit. Und am Dixi-Platz eben das Pfahlhaus. Eine gute Idee, da sich die Hingucker unter Wasser sonst in Grenzen halten. Gut, im Attersee leben Signalkrebse, Flussbarsche, Perlfische, Rotaugen, Aitel, wobei wir heute nur wenig Tiere erblicken. Bis auf einen rund ein Meter langen Hecht, ein Hingucker. Gilt erst recht für das abstrakte Pfahlhaus auf zehn Meter Tiefe. Im „Inneren“ sind mehrere Tafeln angebracht. Zum Lesen der schon ordentlich mit Pflanzenpatina versehenen Texte braucht es mehr Muße, das Unterwasser-Shooting beim Haus-Durchtauchen macht mehr Laune.
Mit Bravour zum Brevet
Danach schwimmt unsere Minigruppe weiter zur Plattform, um die letzten der für den Extraschein nötigen Trockenanzugübungen absolvieren. Eine purzelbaumartige Abtauchübung über Kopf samt kontrolliertem „Hochschießen“ und Abstoppen. (Einigermaßen) geschafft! Was – nach dem Umziehen am Parkplatz und dem Aufräumen in der Tauchschule – zur feierlichen Übergabe führt. Im Angesicht der untergehenden Sonne überreicht uns Malu das „Trockentauchen“-Brevet.
„Deko-Bier?“, fragt Bocki und meint damit ein Feierabendgetränk in Anspielung zur Dekompression, der kontrollierten Druckverminderung zur Verhinderung der Dekompressionskrankheit. Gerne doch. Wir kommen mit anderen Tauchern ins Gespräch, die hier ihren mehrtägigen Einsteigerkurs machen und nicht zuletzt von den taucherfreundlichen Unterkünften in der Nachbarschaft schwärmen, Stichwort „Bed & Dive“. Ein Pärchen aus Hessen lobt, dass man seine Luftflaschen rund um die Uhr an Münzautomaten befüllen kann – „praktisch für spontane Nachttauchgänge“.
Attersee, das Trocki-Paradies!
Eine Mitarbeiterin aus Holland erzählt, dass „wir im Sommer mit den Trockis auch in den Flüssen zum Schnorcheln unterwegs sind“. Ein Angebot, das unter dem Schlagwort „Wandern mit der Taucherbrille“ 2014 mit dem Tourismus-Innovationspreis in Oberösterreich ausgezeichnet wurde und eben auch Nicht-Taucher anspricht. Was wir auch lernen: Bockis Frau Nadine repariert hauptberuflich Trockis, im Shop gibt es reduzierte Anzüge und Ankündigungen für einen entsprechenden Flohmarkt. Der Attersee, das Trocki-Paradies.
Man kann sich vorstellen, dass sich ein Gutteil des Tauch-Hypes, der ebenfalls die Nachbarseen umfasst, insbesondere den Traun- und Gosausee, auch der aktiven Community geschuldet ist. Damit das feucht-fröhliche Hobby attraktiv bleibt, lassen sich „Under Presure“ und eine Handvoll weitere Tauchschulen stets etwas Neues einfallen. Etwa eine Unterwasserkrippe, die seit 2019 jährlich am ersten Adventsonntag im Dixi-Pfahlbauhaus zu Wasser gelassen wird und bis Maria Lichtmess Anfang Februar zu sehen ist.
Neuinterpretation der Jesus-Geburt
Und was genau? „Maria, Josef und das Jesuskind werden entsprechend dem Element Wasser adaptiert. So befindet sich das Christuskind in einer Muschel und die Gottesmutter Maria trägt eine Korallenkette“, erklärt Malu. „Als Analogie zu den drei Weisen aus dem Morgenland besuchen die drei Haie aus den Weltmeeren das Christuskind, Symbol für den Weihnachtstern ist ein goldener Seestern, und die traditionellen Schafe werden zu ,Meerschafen‘, einer Meerschneckenart, die den Schafen am Land ähnlich sieht und daher auch diesen Namen trägt.“ Das klingt nach der ungewöhnlichsten Krippe weit und breit – und nach einem erneuten Trocki-Kurztrip bei Schneefall.
Lust auf weitere See-, Meer- und Unterwasserabenteuer? Dann ab zum Night Kayaking und Coasteering an die istrische Adriaküste oder zum Schnorcheln mit Walhaien auf den Malediven!
Fotos: (c) Tourismusverband Attersee-Attergau/Angelika Neudorfer, Moritz Ablinger
Infos Attersee
INFO
Tourismusverband Attersee Attergau: attersee.at, atterseediving.at
Tauchen
Mehrere Tauchschulen, darunter „Under Pressure“ in Weyregg, up-divecenter.at
Preisbeispiel: Ein Anfängerkurs mit acht Freiwassertauchgängen, Lehrer und maximal 2 Schülern kostet 319 Euro pro Person, der eintägige Trockenanzug-Kurs ab 79 Euro. Komplettausrüstung
inkl. Flasche und Trocki ab 55 Euro pro Tag. Kurse und Ausrüstung auch für Kinder ab 8 Jahren geeignet. Das Betauchen der Unterwasserkrippe ist für alle Besitzer der Dive Card Österreich
(20 Euro pro Jahr) kostenlos.
Unterkunft
Es gibt mehrere tauchfreundliche Unterkünfte, darunter die Pension Nixe in Steinbach (ca. 60 Euro pro Nacht, nixe.at). Komfortabler sind die „7 Sterne Hotels“ am Attersee, darunter das Hotel Stadler, attersee7.at
Kulturhauptstadtjahr 2024
Mit Steinbach und Unterach stellt die Region Attersee-Attergau zwei der 23 teilnehmenden Gemeinden für die Kulturhauptstadt Europas Bad Ischl Salzkammergut 2024. Dazu wird es eine Reihe an Veranstaltungen geben. Eines der Highlight-Events wird am 1. Juni 2024 in Steinbach stattfinden: die Aufführung von Gustav Mahlers zweiter Symphonie „Resurrection“ in der Steinbach Halle. An diesem Tag wird zudem das Gulda-Stüberl, dem Pianisten und Komponisten Friedrich Gulda gewidmet, eröffnet – ein lebendiger Musikraum für junge Pianisten.
Weitere Infos: salzkammergut-2024.at