Schanfiggerstraße, Oberalppass, Gotthard-Pass, Nufenen, Furka, Grimsel, Susten. 15.634 Höhenmeter, 126 Spitzkehren und über 1.000 Kurven in drei Tagen
Die Schanfiggerstraße von Chur nach Arosa hat es in sich: 360 Kurven und fast 1.200 Höhenmeter prägen Europas wohl kurvenreichste Sackgasse. So schön Anfahrt und Arosas Lage sind, so ernüchternd ist das Ortsbild. Geschmacklose Betonbauten rund um den Untersee. Viele Gebäude – an erster Stelle das Hotel „Metropol“ – wirken wie aus der Zeit gefallen. Da leben die 1960er und 1970er munter fort.
Spätestens beim „Alpenblick“ endet die Fahrerei auf einem steilen, steinigen Feldweg. Wer noch weiter will, der muss gehen. Über hohe Berge. Oder in die nächste Berghütte, begleitet vom Pfeifen der Murmeltiere.
Das Bergsommer-Idyll rund um den „Alpenblick“ mit Braunvieh, Glockengebimmel und knusprigen Fladen genießt man am besten auf der Terrasse. Wer vom Berg, den saftigen Wiesen und der Kuhglockensonate nicht genug bekommt, mietet sich eines der Tipis, die im Sommer hinter dem Berggasthof vermietet werden.
Fünf-Sterne-Pitstop
Talseitig ist das „Tschuggen Grand Hotel“ von purem Seventies-Style geprägt, bergseitig der futuristische Totalkontrast. Der Spa-Komplex wirkt wie ein Raumschiff, das in den Fels gekracht ist. Einer der besten Wellnessbereiche der gesamten Schweiz, sagen Fachleute. Er wurde weit in den Berg getrieben und wird nachts gekrönt durch große, bunt beleuchtete Segel.
Der hoteleigene Tschuggen Express, eine domestizierte Achterbahn ohne Loopings, bringt Hotelgäste höher auf den Berg. Wo im Winter der Skizirkus tobt, tönen im Sommer Dutzende „Murmelis“ um die Wette. Wer höher hinauswill, der nimmt die Bahn zum 2.653 Meter hohen Weisshorngipfel. Oben wartet ein spektakuläres modernes Gipfelrestaurant mit 360-Grad-Blick über 400 Schweizer Gipfel. Bei klarer Sicht sieht man sogar Jungfrau, Mönch und Eiger, Piz Buin und die Bernina-Gruppe, einige der prominentesten Gipfel der Schweiz.
Von den 70 Quadratmeter großen Suiten des „Tschuggen Grand Hotel“ hat man einen wunderbaren Blick auf die gegenüberliegenden Berge und das Tal. Die Zimmer sind erlesen und teuer ausgestattet, aber es mangelt etwas an entspannter „coziness“.
Die Besitzerfamilie der Tschuggen Hotel Group hat einen Narren an dem Mann gefressen, der in der Schweiz gern als Salvador Dalí des Designs gerühmt wird. Mir kommt er eher wie ein Harald Glööckler des Interior Design vor. Farben, Muster, Stil – alles wild und bunt gemischt, alles vom Edelsten und immer wieder für eine Überraschung gut. Dazu handgefertigte Stühle, Sessel, Chaiselongues und handbemalte Zimmertüren. Gespart wurde hier an nichts – lediglich an Vorgaben für den Künstler.
85 Spitzkehren zum Fine Dining
Am Folgetag steht nicht nur eine Kurvenjagd mit Oberalppass, Gotthard-, Nufenen- und Furkapass auf dem Menü stehen, sondern auch ein asiatisches Dinner im „The Chedi Andermatt“. Doch vor die Schlemmerei hat die Topografie der Schweiz 85 Spitzkehren gesetzt. Der geradezu schnurgerade Gotthardpass kann da noch nicht viel bieten, selbst die alte Passstraße mit Kopfsteinpflaster ist kurventechnisch unterbelichtet. Mehr als neun Kehren sowie eine maximale Höhe von 2.108 Metern hat einer der wichtigsten und ältesten Alpenpässe nicht zu bieten.
Unsere Gelüste nach Spitzkehren befriedigt der Nufenenpass. Noch zahlreicher sind dort nur die Hochspannungsmasten – ein getrübtes Landschaftsvergnügen. Verglichen mit dem Gotthardpass, der bereits im 13. Jahrhundert eine granitgepflasterte, bis zu drei Meter breite Trasse bekam, ist der erst 1964 erbaute Nufenenpass ein Jungspund. Über 22 Kehren geht es bis auf 2.478 Meter Höhe und wieder hinab nach Ulrichen im Wallis.
Am und im Rhônegletscher
Nächste Station unserer Kurvenjagd durch die Schweiz: das Örtchen Gletsch. Geradeaus geht es zum Furkapass, links zweigt der Grimselpass ab. Schon nach den ersten Kurven auf der Furkastraße fällt eine helle, nackte, rundgeschmirgelte Felswand ins Auge, über die sich Wasserkaskaden stürzen.
Das, was dort donnernd zu Tal stürzt, stammt vom schrumpfenden Rhônegletscher. Der schwitzt gewaltig unter seinem staubgrauen Leichentuch. Das Eis des acht Kilometer langen und bis zu zwei Kilometer breiten Eisriesens reichte im Jahr 1945 noch bis hinunter ins Tal. 95 Jahre davor waren es vom 1850 eröffneten glamourösen „Grand Hotel Glacier du Rhône“ nur wenige Schritte bis zum Eispanzer.
„Vor acht Jahren hat es richtig angefangen, damals ging der Gletscher noch bis zur Kante des Felsens. Jetzt haben wir halt einen See. Aber schrumpfen tut der Gletscher schon immer“, schildert die 87-jährige Sophie Harmisch mit hilflosem Schulterzucken das Gletschersterben. Aber wenn man, wie wir, am Eingang der Eisgrotte steht, wo Frau Harmisch seit Jahrzehnten die Kasse bedient, dann schluckt man gehörig.
Das unewige Eis des Rhônegletschers
Der See ist groß … und wird immer größer. Die Gletscherzunge zieht sich um bis zu 15 Meter pro Jahr zurück. Wer sich ein Bild machen will, kann hier bestürzende Vorher-Nachher-Grafiken aus der Zeit zwischen 2007 und 2017 sehen. „Wer weiß, irgendwann kommt er wieder zurück“, ruft uns Kassenfrau Harmisch noch nach.
Vom ewigen Eis könne man nicht mehr reden, resümiert Fotograf Thomas Linkel, als wir zur Eisgrotte marschieren, über der das Eis mit isolierenden Vlieslagen „geschützt“ wird. Nichtsdestotrotz muss der Eingang zu dieser blauen Zauberwelt alle zwei, drei Jahre um bis 30, 40 Meter gletscheraufwärts versetzt werden.
Abends um acht. Es hat an diesem Augustabend immer noch 27 Grad – auf fast 2.500 Meter Höhe! Kaum mehr Verkehr – bis auf ein paar Wohnmobile, die sich an die Wildcamp-Plätze für die Nacht heranschleichen. So können wir uns eine flottere Kurvenfahrt hinab ins Tal von Andermatt gönnen.
Alpine Chic und Asia-Ästhetik
Dort thront keine drei Gehminuten vom Dorfzentrum seit Dezember 2013 das „The Chedi Andermatt“, eine gelungene stilistische Kernfusion aus alpinem Schick und asiatischer Ästhetik.
Überall im großen Resort aus vier Häusern im Chaletstil gilt: Darf’s etwas mehr sein? Bis zu fünf Meter hohe Räume im Erdgeschoss, extrem viel Platz; mehr Kamine (202) als Zimmer (123); Mindest-größe der drei Meter hohen Zimmer: 52 Quadratmeter; ein 35 Meter langer Pool. Man schläft auf handgenähten Betten von Hästens. Der Rolls-Royce unter den Betten kostet mehr als die komplette Zimmereinrichtung vieler Hotels: 50.000 Franken.
Gäste des „The Japanese Restaurant“ schlemmen an der Sushi-Bar oder auch am Tempura- und Teppanyaki-Counter. Für ein klassisches japanisches Kaiseki-Menü lässt man ein kleines Vermögen liegen, für deutlich weniger Geld wird man auch mit den Sushi und Sashimi des Meisters Taniguchi Kazuki glücklich. Gaumenglück verheißt auch „The Restaurant“. Dessen Paradestück ist ein fünf Meter hoher Käse-Kühlturm. Tausende Franken seien die dort gelagerten Käse-Laibe wert, erfahre ich vom Marketingchef.
Kulinarische Seelenmassage
Das „Chedi“entschädigt euch für vieles entschädigen, was euch andernorts in der Schweiz kulinarisch widerfahren mag, bis hin zum Cola-Schweinebraten für 27 Franken, der Reisenden im benachbarten Hospental im „Gasthaus zum Turm“ droht.
Der General Manager des „Chedi“ spendiert uns für den kommenden Tag den hoteleigenen Morgan Plus 4. Fotograf Thomas kurbelt dieses lautstark knatternde Prachtstück mit Verve und Genuss zurück über den Furkapass, durch die 18 Kehren des Grimselpasses und dann – landschaftlich mit Sicherheit der Höhepunkt unserer Kurvenjagd in der Schweiz – durch die 23 Kehren des Sustenpasses.
Hart gefedert, dazu schwergängige Lenkung, Bremsen, die nur nach harter Tretarbeit vernünftig verzögern, und ein ungehobelter, praller Sound – diesen anachronistischen, keine 900 Kilo schweren Freudenspender können Gäste des „Chedi“ tageweise mieten.
Durch die Mutter aller Tunnels
Kurz vor Andermatt passieren wir das Urnerloch, das in seinen Ursprüngen auf das Jahr 1707 zurückgeht. Ein Meilenstein des alpinen Straßenbaus, der erste Straßentunnel der Schweiz und der gesamten Alpen. Knapp 65 Meter lang wurde er unter der Ägide des Schweizer Festungsbaumeisters Piettro Morettini aus dem Fels gesprengt. 309 Jahre später wurde der längste Eisenbahntunnel der Welt eröffnet, der 57 Kilometer lange Gotthard-Basistunnel, der bis zu 2.700 Meter tief unter dem Alpenfels hindurchgetrieben wurde.
Lust auf mehr kurvige Vergnügen? Wie wäre es mit Norwegen und Slowenien?
Schweiz
INFO SCHWEIZ
Getestete Hotels
Tschuggen Grand Hotel
Großer Bau mit vielen Zimmern, DZ „Bergoase“ (32 Quadratmeter) sommers ab 330 Euro mit Frühstück. Schickes und renommiertes Spa
tschuggen.ch/de
The Chedi Andermatt
Große Zimmer, hohe Räume und eine hervorragende Küche. Erstklassige Weinauswahl. Sehr gelungenes Design, wohin man blickt. Top Wellnessbereich, großer Pool. Mit Frühstück ab 460 Euro.
thechediandermatt.com/de/