Mehrtägiges Wanderreiten in der Rhön bringt die Schönheit des Biosphären-Reservats näher – und selbst Anfänger wie unseren Autor in die Gänge
Drei Fragen beschäftigen mich, als wir, leicht verspätet, den „Wiesenköhlerhof“ in Roßdorf erreichen. Erstens: Gibt es einen passenderen Ortsnamen für einen Reitwanderhof als Roßdorf? Wohl kaum, auch wenn wir später erfahren, dass das jahrhundertealte 600-Einwohner-Nest zwischen Eisenach und Fulda lange Zeit herzlich wenig mit Gäulen zu tun hatte. 2. Kann man es schaffen, trotz vorliegender Adresse das Ziel mehrmals zu übersehen? Offenbar ja. Was wohl auch daran liegt, dass die Pferdehochburg nicht auf Anhieb als solche zu erkennen ist.
Der familiäre Hof des Vater-Sohn-Gespanns Eberhard und Lars Köhler verbirgt sich samt Ferienwohnungen hinter 217 Heuballen, viel Gartengrün und wenig Tamtam. Ferner sind die 18 Pferde dezentral untergebracht. Und 3. Bin ich je einem Mann mit mehr Bartwuchs begegnet als dem Senior-Chef, der uns beim erneuten Vorbeifahren abfängt und sich mit „Ich bin der Eberhard!“ vorstellt? Mit Sicherheit nein. Dass der freundliche 60er nebenberuflich als Weihnachtsmann im nahen Meiningen agiert, verwundert nicht angesichts der bis zur Brust reichenden Bartpracht.
Lars, der 37 Jahre alte Sohn und Junior-Chef, trägt den Bart kürzer. Sein Engagement fürs Familienprojekt Reitwanderhof aber ist dem des Vaters ebenbürtig, mindestens. Das merkt man spätestens, als er im Schatten einer Hoflinde erst allgemeine Worte über Organisatorisches verliert und dann spezielle darüber, wie wir den angekündigten Temperaturen jenseits der 30 Grad trotzen können. Stichwort: Schattenwege, Badepausen, Sonnenschutz.
Wanderreiten, ein Sommermärchen
Bei der Vorstellungsrunde stelle ich fest: Alle Teilnehmer – zwei Freundinnen um die 30, ein Ehepaar samt Bekannte sowie ein etwas älteres Damen-Trio – haben jahrelange Erfahrung als Reitwochenurlauber. Ich hingegen falle in die Kategorie „Greenhorn“. Saß hier und da mal auf einem Touristenpferd, das war’s.
Ob es also eine gute Idee war, ohne große Kenntnisse gleich einen mehrtägigen Wanderritt zu buchen? Auf dem Programm jedenfalls stehen pro Tag rund sechs Stunden im Sattel, sprich 20 bis 30 Kilometer, die meisten davon zwar im Schritt, aber durchaus mit Trab- und Galopppassagen. Lars jedoch beruhigt: „Wir haben schon viele Menschen zum Reiten gebracht.“
Mit Gefühl zur Premiere
Für den nun anstehenden Probenachmittag in Sachen Wanderreiten weist mir Lars Angelina zu, „ein Haflinger, der vielleicht nicht so kräftig ist wie andere, aber viel Gefühl hat und einiges verzeiht.“ Lars zeigt mir, wie das Fellbürsten geht, ebenso das Hufauskratzen. Aha! Es folgen Decken, Westernsattel Zaumzeug und Zügel und als alle Reiter von Lars geprüft und reitbereit sind, zieht unser 48-beiniger Tross aus dem Dorf.
Angelina, my dear!
Mittlerweile brennt die Sonne ordentlich, doch als wir kurz darauf den Asphalt verlassen und hügelaufwärts ziehen, weht ein angenehmer Wind. „Angelina, ich mag dich“, flüster’ ich ihr zu und ich meine, dass sie ein leises „Ich dich auch“ gewiehert hat.
„Westernreiten“, sagt Lars nach einer Weile, „ist das Gegenteil von Dressurreiten – ideal für alle, die neben dem Reiten eigentlich was anderes tun müssen.“ So wie Cowboys, die sich um Rinder zu kümmern haben. Oder wir, die die Natur genießen wollen.
Rhön? Schön!
In der 1991 von der Unesco zum Biosphärenreservat geadelten Rhön präsentiert sich diese mit einer enormen Vielfalt: Lärchen, Kiefern, Wacholder, Trockenmagerwiesen, Maisfelder – alles dabei. Und fast immer mit Weitblick! Je mehr wir physisch hochkommen, desto mehr kommen wir beim entspannten Wanderreiten psychisch runter.
An einem leichten Hang eröffnet uns Lars: „Erste Übung: Traben. Immer von hinten an den andern vorbei.“ Als ich dran bin, stoße ich mit den Füßen in Angelinas Flanken und schon schaltet sie einen Gang hoch. Alles noch recht wacklig, aber: Läuft! Dann folgt eine weitere Trab-Session, bevor es heißt: „Jetzt Galopp!“
Meditatives Wackeln, rasantes Galoppieren
Ehe ich mich versehe, zieht Angelina an. Eben noch die Ruhe in Person, hängt sie sich an die Fersen von Skippy, ein Spurtwunder. Die etwa 500 Meter lange Strecke vergeht wie im Flug, allerdings einem recht turbulenten. Der „kritische Bereich“ schmerzt, doch ich sitze fest im Sattel. Und will mehr.
In den nächsten Tagen werden die Ausritte länger, die Freuden größer, meine Bewegungen geschmeidiger und die Übungen häufiger und vielfältiger: beidseitig an der Gruppe vorbeitraben, auch mal in die Gegenrichtung ziehend, dann Postenlaufspiele und Galopp im Dreierteam (und mit Gerteneinsatz als Beschleuniger).
Wanderreiten eröffnet erhabene Ausblicke
Als wir abends den Reittag Revue passieren lassen, zählen wir auf, wem wir tagsüber begegnet sind: „Ein Radler, ein Wanderpaar und ein Schäfer samt Hunden und rund 200 Schafen – mehr Begegnungen hatten wir heute nicht, oder?“ „Tiere jedenfalls waren es deutlich mehr“, erwidert Tommi. Als da wären: etliche Käfer und Schmetterlinge beim Streifzug durchs hohe Gras, zwei Füchse, zwei Rehe, ein Bussard auf einem Heuballen sowie mehrere Rotmilane.
Und dann: sehr viele Fliegen und Pferdebremsen. „Jede Jahreszeit hat seine Vor- und Nachteile“, kommentiert Lars. Vorteil Sommer: Es ist warm, überall blüht es und man auch mal einen Badestopp einlegen. In der idyllischen Roßdorfer Kutte etwa, was wir auch ausprobieren.
Wer viel reitet, darf viel essen
Im Winter, wenn Lars ebenfalls mit Gästen unterwegs ist, kann es hingegen rutschig werden. Gut, wenn dann mit den Hufen alles stimmt. Angelina etwa bekommt diese Woche neues „Schuhwerk“. Derweil sattle ich um auf Sarah, ein Mischling „mit mehr Zug“. Auch wenn sich nicht alle Köhler’schen Pferde gleich gut für Anfänger eignen, sind doch alle in tollem Zustand und fremde Reiter gewohnt. Das verlangt aber auch der Exklusivpartner „Pferd & Reiter“, der damit wirbt, die Höfe nach strengen Richtlinien auszuchen, übrigens auch in puncto Gastfreundschaft.
Passt also in allen Punkten, wobei der letzte Aspekt auf dem „Wiesenköhlerhof“ besonders groß geschrieben wird. Für ein familiäres Ambiente sorgt auch die Gruppenobergrenze von zwölf Personen. Eberhard spricht bei diesem Konzept gerne von „einem eingebauten Kopierschutz“. Teil des Wohlfühlkonzeptes ist es auch, dass Eberhard, gelernter Koch im Zweitberuf, jeden Abend groß unter der Linde aufgetischt: Rhönschaf, Grill, Kartoffelklöße, Salat aus dem eigenen Garten. Alles selbstgemacht, alles in rauen Mengen.
Reitfortschritte wie im Flug
Danach wird am Feuer geratscht, gesungen und der in der Gegend gebrannte „Frankenheimer Rhöntropfen“ macht die Runde. Und Lars erzählt: „Wir fühlen uns als Rhöner, weniger als Thüringer. Allein rein sprachlich liegen zwischen diesem Teil und dem ,hinter dem Rennsteig’ Welten.“ Dort thüringisch-sächsisch, hier keine Rede davon, eher Fränkisch ohne den Frankenakzent. „Früher war alles fränkisch hier“, erklärt Lars , „bis dieser Teil an Preußen ging. Eine Erinnerung an die Schlacht am Nebel gibt es noch heute. Morgen reiten wir auf dem Gedenkweg entlang.“
Als ich tags darauf vom (jeansbedingt nötig gewordenen) Hinterneincremen komme, meint Brigitte: „Jeder Reiter fällt irgendwann vom Pferd.“ Schluck. Ich auch? Bislang kam ich gut durch (Lars’ Stilkritik: „Bisschen viel Rückenlage, aber das ist normal bei Anfängern!“), wenngleich an Tag 4 gewisse Rückenschmerzen nicht wegzuleugnen sind. Und wenig später werden die im Alltag oft brachliegenden Muskelpartien wieder beansprucht, als Angelina, dank neuer Hufe wieder in Fahrt, richtig abgeht.
Finale furioso
Der aus Übermut gegen den Reithelm getauschte Cowboyhut fliegt weg und so wird klar, dass der Galopp schneller ist als sonst. Ich könnte gar nicht groß bremsen, so sehr ich auch am Zügel ziehe. Auch wenn ich schon deutlich sicherer im Sattel sitze, gerate ich in leichte Schräglage und für einen Moment frage ich mich, wie es sich wohl anfühlt, bei solch einem Tempo vom Pferd zu rutschen. Zum Glück bekomme ich darauf keine Antwort.
Lust auf andere Outdoor-Abenteuer? Wie wäre es mit Seakayaking rund um die kroatische Insel Rab – oder mit Höhlentekking in der Schweiz?
Wanderreiten in der Rhön
INFOS WANDERREITEN
Eine Sternrittwoche (von Sonntag bis Samstag) auf dem „Wiesenköhlerhof“ in Roßdorf in der Rhön (wiesenkoehler.de) kostet pro Person im DZ in der Ferienwohnung und mit HP ab 725 Euro,
der Vorderrhön-Trail (u.a. mit einer Übernachtung im Zelt) 790 Euro; Buchung exklusiv über Pferd & Reiter, dem größten Anbieter für Reiterreisen in Deutschland. pferdreiter.de