Schnorcheln mit friedlichen Giganten, stylische Städte und wilde Inseln: Floridas Westküste ist mehr als ein Rentnerparadies! Und manchmal richtig tough
Die Annäherung kommt unvermittelt aus dem Nichts. Erst ist es ein zärtliches Zupfen an den Schultern, bevor struppige Barthaare den Nacken kitzeln, graue Flossen die Beine umschlingen und sich ein massiger Körper friedlich an den Rücken schmiegt. 600 Kilo … und federleicht. Eigenartige Liebkosungen sind das, befremdlich und besonders. Wer in freier Natur in die Fänge eines Tieres mit einer guten halben Tonne Lebendgewicht gerät, um den ist es meist schlecht bestellt.
Crystal River: Auf du mit der Seekuh
Anders bei den Süßwasserquellen der Three-Sisters-Bucht an Floridas Westküste. Dort zu schnorcheln ist ein großer Genuss, ein einzigartiges Erlebnis. Mit Hunderten von Seekühen, die jedes Jahr zum Überwintern hierherkommen. Willkommen bei den Manatis von Crystal River! Aber keine Angst, die wollen nur spielen!
Crystal River liegt im Citrus County, weit im Norden von Floridas Westküste und 250 Meilen von Naples. Ein kleiner Ort, 3.000 Einwohner. Worum es hier vor allem geht, sieht man schon beim schnellen Blick in die Schaufenster der Läden an der Hauptstraße, der N Citrus Ave. Alles ist voll mit den Viechern: Spielzeuggeschäfte, Juweliere, Souvenirshops. Plüschtiere, Armbänder, Kaffeetassen: Seekühe bis zum Abwinken.
Manatees: Floridas freundliche Riesen
Das verwundert nicht, ohne Seekühe wäre Crystal River ein unbedeutender Provinzort im Nichts. Dank seiner tierischen Stammgäste aber schafft es das Kaff an Floridas Westküste manchmal sogar landesweit in die Zeitung und ins Fernsehen, von der „New York Times“ bis CNN. Ist ja auch ein spektakuläres Bild, wenn sich mal wieder Hunderte von Seekühen übereinanderstapeln. Von den „friedlichsten Lebewesen der Welt“ spricht Captain Mike. Er nennt sie „Gentle Giants“, die freundlichen Riesen.
Mit seinem kleinen Boot schippert Captain Mike mehrmals am Tag Besucher über den Crystal River, eine halbe Stunde hinüber zu den Three Sisters Springs. Auf der Fahrt erzählt er von den West Indian Manatees, den Rundschwanzseekühen, die sich hier jeden Winter niederlassen, weil es ihnen draußen im Golf von Mexiko zu frisch wird und weil die Temperatur rund um die warmen Quellen konstant bei 72 Grad liegt. Fahrenheit. In Celsius: 22 Grad.
Zu Hunderten kuscheln sich die gewichtigen Tiere dann zur Winterruhe aneinander und nur ein paar wagemutige Hyperaktivisten brechen hin und wieder für einen kurzen Tagesausflug aus, weil das Seegras an der acht Kilometer entfernten Golküste doch besser schmeckt als die Wasserpflanzen hier. Die Manatees wittern von Natur aus ganz gut, wo es das beste Seegras gibt.
Manatees schützen: Nur gucken, nicht anfassen!
Was die Menschen in Crystal River witterten, war das große Geschäft. Vor vielen Jahren begannen sie – so wie Captain Mike – Touren für die Touristen anzubieten, für das Schwimmen mit den Seekühen. Doch den Tieren, die eh auf der Liste der bedrohten Tierarten stehen, wurde das zu viel. Sie wurden unruhig und nervös. Zu übergriffig verhielten sich die Urlauber, die sie betatschten, zwickten, piesackten. Das Benehmen ging einfach auf keine Seekuhhaut mehr.
Die Einheimischen haben daraus gelernt. Nun können die Manatis wieder aufatmen. An vollen Tagen werden die Drei-Schwester-Quellen abgesperrt, ansonsten schildern Mike und seine Kollegen auf der Fahrt zu den Springs eindringlich die richtigen Verhaltensmaßregeln: ruhig im Wasser liegen, passiv, defensiv. Nur gucken, nicht anfassen. Das mit dem Anfassen machen die Kühe von sich aus.
Um den Faktor Mensch im Wasser zu minimieren, hat man vor einem Jahr hier um die Bucht herum auch einen Holzsteg gebaut, mit wunderbarer Aussicht auf die friedfertigen Pflanzenfresser, die im Frühling hinaus entschwinden in den Golf und erst im Spätherbst allmählich wieder zurückkehren. Den Gentle Giants, deren nächste Verwandte die Elefanten sind, kann man stundenlang zusehen und sich dabei vorstellen, dass die Welt, wäre sie ausschließlich von Seekühen bevölkert, zweifellos eine vollkommen andere wäre.
Tampa: Floridas drittgrößte Stadt
Wenn die „Gasparilla“ reden könnte, sie hätte viel zu erzählen. Sie würde sich amüsieren über diesen komischen Kauz, der jeden Tag vor ihr herumhüpft, mit Augenklappe und Fluch-der-Karibik-Montur. Ein Jack Sparrow für Arme, dem manche Passanten aus Mitleid ein paar Quarter in den Leinensack werfen.
Dieses schöne und stolze Piratenschiff könnte vor allem aber über den Wandel der Stadt berichten, seit sie am Fuß der Skyline von Downtown Tampa vor Anker ging. Keine andere Stadt in Florida durchlebt so eine extreme Veränderung wie Tampa, nirgendwo sonst herrscht eine solche Aubruchsstimmung in Sachen Freizeit und Tourismus, die mancherorts aber auch große Skepsis hervorruft.
Die nach Jacksonville und Miami drittgrößte Stadt Floridas hat mächtig investiert, um sich aufzuhübschen. Zu sehen ist das beim Spaziergang auf dem vier Kilometer langen River Walk. Neue Museen, hübsche Cafés, Grünanlagen – charmant und unaufdringlich, wie sich Tampa dem Besucher präsentiert. Alles ein wenig bescheidener als etwa in Miami, unaufgeregter.
Toughes Tampa: Hier wird man noch richtig angeschnauzt
Man findet keine Sightseeing-Busse mit Oberdeck und keine Horden, die dem Reiseleiter mit erhobenem Regenschirm hinterherhecheln. Keine überteuerten und windigen Stadtführungen. Und obendrein – ganz untypisch für das Mainstream-Amerika – gibt es in einigen Lokalen sogar noch ruppig-rustikale Bedienungen. Ohne diese sonst übliche gut gelaunte, falsche “Amazing-That’s-Awesome-Oberflächlichkeit” der Kellnerinnen und Kellner.
Nein, hier wird man schon mal richtig angeschnauzt. Fast schon eine Wohltat …Wenn man etwa zwei Café con leche für sechs Dollar achtzig per Kreditkarte bezahlen möchte, kann es einem passieren, dass man ein mürrisches „You! Pay! Cash!“ entgegengeschmettert bekommt.
Ybor City: Hier geht’s etwas rauer zu
Einige Blocks nordöstlich von Tampa Downtown liegt Ybor City, eine ganz eigene Welt. Ybor City war früher einmal die Zigarrenhauptstadt Amerikas. Zehntausende Einwanderer kamen aus Kuba nach Florida. Anfang des 20. Jahrhunderts gab es 250 Manufakturen, in denen jährlich Millionen von Zigarren gerollt wurden.
Der große Einbruch kam nach 1945, die Mehrzahl der Werke zerbröselte es wie ein trockenes Tabakblatt. Im Gebäude der ersten Fabrik sitzt heute Scientology.
Läden wie El Sol Cigars aber haben sich gehalten, seit dem Jahr 1929. Produziert wird aber nicht nur in Tampa, sondern auch in Mittelamerika, vornehmlich in Honduras und Nicaragua. Viel blieb vom kubanischen Flair erhalten, und manche der alten Zigarrenroller blieben auch, die in vierter, gar fünfter Generation in den Läden an der 7th Avenue noch stoisch vor sich hindrehen.
Kuba-Flair mit Zigarrenduft
Einige von ihnen können sich noch erinnern, wie Mitte der 50er-Jahre ein gewisser Fidel Castro vorbeischaute, um seine Landsleute für den politischen Umsturz in Kuba zu gewinnen, eine PR-Tour in Sachen Revolution. Tampa, Kuba und die Castros – das gehört auch heute noch untrennbar zusammen.
An der Bar des „Columbia“-Restaurants erzählt einer der Gäste bei einem Drink besorgt von den Plänen der Stadt Tampa, direkt an der Westgrenze von Ybor das neue, gigantische Baseball-Stadion der Rays hochzuziehen. Die möglichen Folgen wären: kommerzieller Ausverkauf, Einzug von Fanshops, von Niederlassungen großer Handelsketten und Burger-Buden. Die drohende Amerikanisierung von Klein-Kuba – bedeutet am Ende gar noch freundliche Bedienungen … Ein wahrer Albtraum!
Fort Myers: Reif für die Inseln
Im Wohnzimmer hängt eine Lampe mit elektrischen Glühbirnen. Und in der Garage steht ein Auto. Ganz selbstverständlich. Wie sollte es anders sein, im gemeinsamen Anwesen von Thomas Edison und Henry Ford. Sie waren beide große Erfinder, kluge Köpfe und zwei der erfolgreichsten Unternehmer, die Amerika jemals hervorgebracht hat.
Sie waren aber vor allem auch dicke Freunde, weshalb sie mit ihren jeweiligen Familien jedes Jahr Tür an Tür wohnten. In ihrer Winterresidenz in Fort Myers. Wie sie damals lebten, wenn sie in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts den bitterkalten Monaten aus New Jersey und Michigan entflohen und sich im milden Südwesten Floridas niederließen, lässt sich heute gut nachempfinden.
In den Edison & Ford Winter Estates, einem bemerkenswerten Freilichtmuseum. Die stattlichen Häuser, die sich Edison und Ford auf dem gemeinsamen Grundstück hinstellten und deren schmuckes Interieur man zumindest durch die Fenster von außen betrachten kann.
Der Botanische Garten mit seinen riesigen und völlig schrägen Banyan-Bäumen, die sie hier wachsen ließen, um aus ihnen den Rohstoff Gummi zu gewinnen. Oder auch der Friendship Walk, auf dessen Pflastersteinen all die Namen jener Gäste eingraviert sind, die hier auf Kurzurlaub waren, viele davon ebenso berühmte Firmengründer und Großindustrielle.
Man liest Namen wie Colgate und Kellog und fragt sich, ob die hier schon vor dem Zähneputzen die Cornflakes aßen oder erst danach. Und sinniert darüber, dass die werten Erfinder für den damaligen Kaufpreis für das 52.000 Quadratmeter große Areal von 2.750 Dollar heute noch ganze zwei Quadratmeter an der Immobilie bekämen. Wären Edison und Ford noch am Leben, die Herren würden sich – Preis hin oder her – wohl wieder hier niederlassen. So beschaulich wie das am Caloosahatchee River gelegene Fort Myers immer noch ist …
Das gilt auch für Sanibel und Captiva Island, zwei Inseln, die dem Festland vorgelagert sind. Dorthin schipperten Edison und Ford gern von ihrem Pier über den Caloosahatchee River mit ihrem Boot „Reliance“. Die Inseln sind inzwischen rasch mit dem Auto über die lange Brücke des Sanibel Causeway zu erreichen. Auch diese beiden Eilande liegen wunderbar idyllisch vor der Küste, gelassen und harmonisch.
Captiva Island: Kajaktour durch Mangroven
Captiva Island liegt auf der Höhe von Fort Myers keine fünf Kilometer vor der Küste. Dort kann man mit dem Kajak stundenlang durch die von Mangroven überwucherten Seitenarme der Meeresbuchten paddeln. Wer es bequemer mag, tuckert mit dem Ausflugsboot rüber nach Cayo Costa, eine wahrhaft paradiesische Insel: ohne Bewohner, dafür aber mit kilometerlangen Sandstränden und Millionen von Muscheln.
Manchmal fühlt man sich der Zivilisation völlig entrückt, so, als sei die nächste Stadt nicht Fort Myers, das zehn Kilometer östlich liegt, sondern Brownsville in Texas gut 1.000 Meilen weiter im Westen, am anderen Ende des Golfs von Mexiko. Man könnte Wurzeln schlagen hier. So wie die Bäume in Edisons Garten.
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FLORIDAS WESTKÜSTE
Info Floridas Westküste
Schöner schlafen
Das Hotel The Plantation hat gemütliches Südstaaten-Flair, ist stilvoll und mondän, liegt eingebettet in
die King’s Bay von Crystal River und ist ein Idealer Ausgangspunkt für Ausflüge zu den Seekühen.
DZ/F ab 120 Euro
Das Aloft in Tampa bietet schicke Designzimmer und liegt mitten in Downtown
Tampa, direkt am River Walk – die ideale Lage, um die Stadt zu Fuß zu
erkunden. Die wichtigsten Museen und das Aquarium sind nur
wenige Gehminuten entfernt. DZ ab 120 Euro